Kerstin Hornung

Hinter verborgenen Pfaden


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Gnomen nur so wimmelt?« König Levians Faust fuhr auf die Tischplatte nieder. »Gibt es in deinem verdammten Land keine Zauberer, die über eine weniger große Gnomschar verfügen?«

      Valerian seufzte still und erklärte dann seinem Bruder geduldig, was dieser ohnehin wusste.

      »Mächtige Zauberer verfügen nun mal über viele Gnome. Du wolltest einen mächtigen Zauberer, und es waren seine Gnome, die schließlich die Elben in den Quellenbergen aufgespürt haben.«

      Der König lachte wild. »Die ganze Brut gehört ausgerottet.«

      »Du wirst dich schon entscheiden müssen. Willst du Elben jagen oder Gnome töten?«, erwiderte Herzog Valerian grimmig.

      Wütend griff Levian den silbernen Pokal und warf ihn an die Wand. Er hinterließ damit einen dunklen Rotweinfleck an der hölzernen Täfelung.

      »Du weißt ganz genau, dass ich keine andere Wahl habe. Ich brauche den Zauberer und die Gnome, um die Elben zu fangen.«

      »Dann beschwer dich nicht«, mahnte Valerian. Er war müde und spürte die Erschöpfung eines anstrengenden Tages.

      »Aber natürlich beschwere ich mich«, rief König Levian aufgebracht. »Die ganze Welt hat sich gegen mich verschworen. Die Elben wollen mir mein Land stehlen. Vor meiner Burg liegt ein Ozean aus Bäumen, der ihnen Schutz bietet und von dem aus sie mich jederzeit angreifen können.« Wie ein eingesperrtes Raubtier lief der König in seinem Schlafgemach auf und ab. »Ich bin der König eines Landes, das mir nicht unterliegt. Der Wald gehört den Elben und im Süden regiert der Archiepiskopos, der sich das Oberhaupt der Gläubigen nennt.« Glaub nicht, dass mein Wort dort im Süden von Bedeutung ist. Der Heilige Vater«, Levian zog eine Grimasse, »hat keine Ahnung von der Bedrohung, die hier lauert. Aber dieser machthungrige Scharlatan wäre unverfroren genug, in meinem eigenen Land einen Krieg gegen mich anzuzetteln, wenn er erfährt, dass ich zwei Zauberer hierhergerufen habe.«

      Valerian kannte die Verträge, die den ardelanischen König und den Heiligen Vater, den Archiepiskopos, in Eberus banden. Es war ein fünfhundert Jahre alter Pakt, in dem sich die Kirche und die Krone schworen, keine Zauberer im Land zu dulden.

      »Er wird es nicht erfahren«, beruhigte er seinen Bruder. »Wenn du, wie ich dir geraten …«

      Levian trat wütend gegen einen Stuhl, riss den Beistelltisch um und zerschmetterte einen Krug, dann warf er sich auf sein Bett und vergrub den Kopf in den Händen wie ein Kind.

      »Einer von den Verrätern dort draußen läuft bestimmt nach Eberus«, murmelte er erstickt.

      »Keiner wird es wagen, Lev. Alle deine Grafen sind an den Eid, den sie dir gegeben haben, gebunden und jeder von ihnen weiß, dass der Archiepiskopos stur genug ist, dir, trotz der Spannungen, die zwischen euch herrschen, jeden Verräter auszuliefern – gleichgültig, was er ihm berichtet.«

      Levian rappelte sich auf. Er sah seinen Bruder hinter einem Vorhang aus zerzausten Haaren wütend an.

      »Alle, bis auf dich«, zischte er.

      »Bist du vollkommen verrückt geworden?«, rief Valerian empört. »Ich bin dein Bruder. Ich würde dich nie verraten, und das weißt du!«

      »Nein?«, kreischte Levian zurück. »Und was hast du heute im Wald getan? Die Elben standen vor dir, und du hast sie ziehen lassen.« Verzweifelt grub er den Kopf in die Hände. »Einer! Ein Einziger hätte mir genügt.«

      »Lev«, sagte Valerian sanft. Er kannte die plötzlichen Stimmungsumschwünge seines Bruders nur zu gut und war schon immer der Überzeugung gewesen, dass seine Wut nur der Ausdruck tiefer Verzweiflung war. »Ich glaube nicht, dass sie so böse sind, wie du denkst. Sie hätten uns leicht überwältigen können, wenn sie es gewollt hätten …«

      »Geh weg, Valerian, dein Anblick macht mich wütend. Ich kann dieses Volk nicht in meinem Land dulden. Auch nicht die Zauberer und erst recht nicht diesen machtgierigen Eunuchen in Eberus. Niemanden, der mächtiger ist als ich, niemanden, der meine Macht nicht anerkennt, und niemanden, von dem ich abhängig bin. Geh weg und bring mir diesen Zauberer, damit ich ihm eigenhändig den Kopf abreißen kann.«

      Valerian verließ die Kemenate des Königs langsam und würdevoll, obwohl dieser einen Schuh vom Boden aufhob, um ihn nach ihm zu werfen. Die Drohgebärden seines Bruders und seine Temperamentausbrüche beeindruckten ihn lange nicht so wie dessen Untertanen. Dennoch war der Herzog zornig. Was bildete sich Levian ein, ihm in diesem Ton zu befehlen? Valerian war schließlich nicht sein Untergebener. Er war sein älterer Bruder. Siebter in der Thronfolge des mendeorischen Kaisers. Das Herzogtum von Erdolstin lag jenseits der Grenze hinter dem Kaisergebirge im Westen und gehörte zu Mendeor, der Wiege der menschlichen Zivilisation. Der Name Erdolstin war bis weit über alle Grenzen bekannt, und zu einem nicht geringen Teil war das Valerians Verdienst. Der König von Ardelan, Levian von Vrage stammte aus der zweiten Ehe von Valerians Mutter. Nach dem frühen Tod von Valerians Vater hatte seine Mutter ein weiteres Mal geheiratet, um sein Erbe so lange verwalten zu können, bis er selbst dazu in der Lage war.

      Es gab nichts Gutes über den alten Vrage, seinen Stiefvater, zu berichten, außer dass er gut rechnen konnte. Er hatte die Mutter verprügelt, seine Kinder sowieso. Mindestens die Hälfte aller Dienstmägde hatte er vergewaltigt, und wenn sie dann ein Kind erwarteten, hatte er sie rausgeworfen. Zwei Halbschwestern waren frühzeitig gestorben, eine hatte sich vom Turm der Kapelle gestürzt, da war sie zwölf, die andere war sogar noch jünger gewesen, als sie angeblich verunglückt war.

      Valerian konnte seinen Halbbruder gut verstehen, als dieser die Vorteile seiner herzoglichen Verwandtschaft nutzte und die zwar nicht besonders schöne, aber immerhin sehr kluge zukünftige ardelanische Königin, Eleonore zur Frau nahm. Diese Heirat war die beste Art, sich seinem Vater restlos zu entziehen.

      Viele Jahre hatte Valerian seinen Bruder danach nicht gesehen, da der Herzog im Auftrag des Kaisers in den südlichen Provinzen unterwegs gewesen war. Als er wiederkam, war Levian von dem Gedanken besessen, dass sein Land von diesem feenhaften Volk bedroht wurde. Er hatte eine alte Schriftrolle entdeckt, welche von den Elben berichtete, und später war ihm von irgendwoher noch eine zweite zugetragen worden. Fortan war Levian fest davon überzeugt, in großer Gefahr zu schweben. Er verlangte nach einem Zauberer.

      Nun waren Zauberer in Mendeor zwar durchaus bekannt, aber nicht beliebt. Einen Zauberer brauchte man, um ein Haus an einem steilen Berghang zu bauen oder auf sumpfigem Grund. Manchmal riefen die Leute einen Zauberer, wenn das Vieh aus ungeklärten Gründen einging oder kein Regen fiel. Mancher Zauberer behauptete, mit seinen Tränken Totgesagte gesund machen zu können oder aber auch durch seine Beschwörungen jemandem zu schaden, sogar bis hin zum Tod. Die Zauberer waren mit Vorsicht zu genießen und hatten zudem meist ein Gefolge an Gnomen, die noch unbeliebter waren. Deshalb lebten Zauberer abgeschieden in von Menschen kaum bewohnten Gebieten.

      In Ardelan hingegen gab es schon seit mindestens fünfhundert Jahren keine Zauberer mehr. Valerian zweifelte nach wie vor an der Richtigkeit, sie wieder ins Land zu rufen und das, obwohl er heute die fremden Wesen, die sein Bruder so sehr fürchtete, mit eigenen Augen gesehen hatte. Den Anblick würde er sein Leben lang nicht vergessen.

      Mit ungeahnter Geschwindigkeit waren ihre Pferde durch den Wald herangestürmt, und dabei waren sie beinahe lautlos. Aufrecht saßen sie auf ungesattelten Tieren, in deren Mähnen grüne Bänder eingeflochten waren. Hinter einem Baum verborgen hatte Valerian sie nur wenige Schritte von der Stelle entfernt, an der sie plötzlich zum Stehen kamen, belauert.

      Obwohl die Elben kein Wort miteinander gewechselt hatten, waren sie auf Valerians Angriff vorbereitet, doch nur einer von ihnen hatte sich den Menschen entgegengestellt. Seine Pfeile waren so schnell in alle Richtungen geflogen, dass die Menschen es nicht wagen konnten, ihre Deckung zu verlassen. Dabei hatte Valerian aber ständig das Gefühl, dass der Schütze bewusst danebenschoss. Graf Wilberg, dieser übereifrige Hitzkopf, hatte sich natürlich sofort todesmutig in die Schusslinie gestellt und seinerseits auf dieses fremde Wesen geschossen, was ihm einen wohlverdienten Pfeil in seinen Bogenarm eingebracht hatte. Wann es Baron Felhorn erwischt hatte, konnte Valerian nicht genau sagen. Dann, als hätte sich die Erde aufgetan und die Elben samt ihren