Lisa W. Barbara

Avenae


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Red, ein Sonnenstrahl an einem tristen Tag? Oder ein tolles Angebot an Getränken, warm oder kalt, Snacks und Mittagskarte) gleich neben einer Polizeistation. Es war immer sehr interessant, wenn gerade ein Verbrecher, was er nun auch immer angestellt hatte, den Polizisten eine über die Rübe zog oder wenn die blauen Männchen ihre ach so teuren Wägelchen direkt an das Parken-verboten-Schild setzten.

      Aber so viel genug zu meinem Job, der zurzeit das einzige in meinem Leben war, an das ich mich klammern konnte. Denn Freunde hatte ich kaum welche. Wie das Schicksal es so wollte hatte es mir nicht nur ein langweiliges Leben sondern auch noch ein wahnsinnig vorlautes Mundwerk gegeben. Bei mir hielt es keiner länger als 10 Minuten aus, meistens nur um sich die neueste Ausgabe der Zeitung zu kaufen.

      Deshalb gab es auch keinen Mann in meinem Leben. Zwar fehlte mir diese komplizierte Spezies überhaupt nicht (nur manchmal, wenn ich wieder so einsam war, aber das hatte ich noch nie laut gesagt) aber doch wäre es mal schön, ein bisschen Zärtlichkeit zu erfahren.

      Aber es half ja nichts. Je mehr ich darüber nachdachte, desto größer wurde meine Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe. Dennoch musste ich mich jetzt auf das Wesentliche konzentrieren, was mit meiner Miete zu tun hatte, also verwarf ich den Gedanken wieder.

      Ich öffnete das Fenster und griff nach einem dunkelbraunen Haargummi, ging zum großen Wandschrank und sah in den Spiegel, der an der Schranktür hing. Aus einem blassen Gesicht starrten mir zwei blaue Augen entgegen. Das einzige, was mich noch an mein früheres Leben erinnerte. Mein früheres Leben war dieses eine Jahr, wo ich bei meinen Eltern gelebt hatte. Doch an meinem ersten Geburtstag hatte mich meine Mutter vor einem Waisenhaus abgegeben und sich seither nicht mehr gemeldet. Manchmal war ich sehr wütend auf sie gewesen, auf diese Frau, an deren Stimme ich mich nicht mehr erinnern konnte. Darauf, dass sie mich einfach im Stich gelassen hatte. Denn das Waisenhaus war die Hölle gewesen. Die Schwestern (ja es waren richtige Nonnen) hatten mich nicht sonderlich leiden können, was nicht zuletzt an meinem Charakter lag. Es ist echt eine Schande, dass man sich als Mensch erst mit ungefähr drei Jahren an etwas erinnern konnte. Doch manchmal bildete ich mir ein, ich würde meine Mutter sehen. Sie in den vielen Gesichtern auf der Straße erkennen. Als ich noch kleiner war, hatte ich bei einem Ausflug mit den Schwestern in den Zoo eine Frau gesehen. In ihr hatte ich zum ersten Mal meine Mutter gesehen. Jedenfalls hatte ich sie mir so vorgestellt. Ich war am nächsten Tag von dem Waisenhaus weggelaufen und in den Zoo, nur um sie wiederzusehen. Doch sie war nicht da und ich war bis zu meinem achten Lebensjahr davon überzeugt, dass das meine Mutter gewesen war. Und ja, ich hatte Märchen und Geschichten geliebt und mir immer gewünscht, dass sie mich holen würde.

      Bei dem nächsten Besuch im Schwimmbad war sie wieder da. Ich hielt es damals als kleines Kind für ein Wunder, aber ich war zu schüchtern, um mit ihr zu reden. Sie sah traurig aus und als sie zu uns rüber kam, um sich mit der Schwester zu unterhalten, hatte ich nicht einmal den Mut, sie anzusehen.

      Und dann, dann war es soweit. Sie und ihr Mann kamen in das Waisenhaus, um ein Kind zu adoptieren. Ich war davon überzeugt, dass sie niemals mich nehmen würden, doch als mich die Frau zum ersten Mal bewusst ansah, wusste ich, dass sie es war. Sie kam zu mir und redete mit mir, spielte mit mir und ich weinte fast vor Glück, als sie mich mit zu ihnen nach Hause nahmen.

      Als ich ungefähr 12 war, erzählte sie mir wieder, dass sie nicht meine echte Mutter war. Sie wollte das so und erzählte mir das oft. Doch da wurde es mir zum ersten Mal richtig bewusst. Aber dennoch, ich liebte die beiden, die mich wie ihre Tochter behandelten. Und dann, war alles vorbei. Mein Kindheitstraum von einer normalen Familie mit Eltern, die mich liebten. Denn sie bekamen ein Baby. Eine kleine Tochter und auf einmal liebten sie das Kind mehr wie mich. Als ich dann 17 war, lief ich von ihnen weg. Ich suchte mir eine Wohnung, gab ein falsches Geburtsdatum an (es ist ziemlich einfach, wenn man adoptiert ist, die Vermieter davon zu überzeugen, dass das Datum auf der Urkunde des Waisenhauses nicht richtig war).

      Ich meldete mich nie wieder bei den Meyers, auch nicht, als die Polizei vor meiner Tür stand. Ich wollte sie nie wieder sehen.

      Ich weiß, das ist ziemlich dumm gewesen, immerhin hatten sie ihre eigene Tochter bestimmt nie mehr lieb wie mich. Doch so war ich.

      Aber diese Zeit war jetzt vorbei. Seit drei Jahren wohnte ich nun schon in dieser Wohnung und versuchte mich durchzuschlagen. Eigentlich hätte ich das Abitur machen sollen, so wie die meisten in meinem Alter. Doch nach der Sache mit meinen Adoptiveltern wollte ich nicht noch länger in die Schule gehen. Zwar sagten immer alle, dass ich intelligent war, doch es nervte mich zu sehen, wie alle in meiner Klasse den ersten Freund hatten, die erste Trennung, und wie alle gleich aussahen. Wirklich, wenn ich mir heute das Klassenfoto von vor zwei Jahren ansehen würde, wüsste ich nicht mehr wer wer war. Die einzige, die ich am ehesten als Freundin bezeichnen konnte war Bea, die ich seit der 5. Klasse kannte. Wir hatten uns gut verstanden, sie war die einzige, die mir kontra geben konnte und die einzige, die immer zu mir gehalten hatte. Ja, eigentlich war sie die einzige und beste Freundin, die ich hatte.

      Seufzend griff ich nach meinen Haaren und band sie hinten am Kopf zu einem Zopf zusammen.

      Ich ging mit einem Grummeln im Magen zur Tür, während ich überlegte, welches Frühstück mein begrenztes Budget hergab. Es würde doch wohl bloß wieder eine heiße Schokolade aus meinem Café sein. Was war das für eine Ungerechtigkeit, wenn man sich nicht mal ein anständiges Frühstück leisten konnte?

      Wie jeden Tag strich ich über die Möbel. Sie waren aus weißer weicher Eibe gefertigt worden, mein Lieblingsholz. Es ließ das Zimmer hell und einladend erscheinen, damit wenigstens etwas positives in dieses Zimmer kam. Die Wände hatte ich in einem dunklen Rosé-Ton gestrichen, die einen richtig schönen Kontrast mit den weißen Möbeln gaben. Die Möbel bestanden aus einem großen (sehr großen) Schrank in dem eigentlich meine ganzen Habseligkeiten verstaut waren. Außerdem besaß ich noch ein Bett mit pinken Bettbezügen und unzähligen lila, pinken und weißen Kissen. Dann noch einen Schreibtisch, worauf mein Laptop stand. Meine Stereoanlage und mein Fernseher standen auf einer kleinen weißen Kommode, die eine kleinere Ausgabe des Schranks war. Mein schwarzer Ledersessel diente mir auch noch als Schreibtischstuhl und Kleiderständer. Das schöne Parkett wurde halb von einem schweren weißem Teppich bedeckt und einem Klavier, auf das ich wahnsinnig stolz war.

      Mein Zimmer war sehr groß und ich hatte viel freie Fläche, was nicht sehr gut war, denn Parkett, Kuschelsocken und meine nicht vorhandene Koordination vertrugen sich überhaupt nicht. Anfangs hatte ich meinen Schreibtisch geschrottet, weil ich mit meinen Kuschelsocken ausgerutscht und direkt auf das gute Holz gefallen war, was unter meinem Gewicht natürlich nachgab. Es krachte so laut, dass das gesamte sechste Stockwerk unter mir (ich wohnte im siebten Stock) in einem Protestmarsch vor meiner Tür stand, inklusive Vermieter. Ich hatte sie so laut angeschrien, dass sie es anscheinend für das beste hielten, wieder zu verschwinden, doch der Vermieter sah meinen kaputten Schreibtisch, und dass er eine winzigkleine Kerbe auf dem Boden verursacht hatte, die ihn fast zur Weißglut brachte. Doch bezahlen musste ich es nicht, dank meiner Überzeugungskraft. Er zog ein wenig später schlechtgelaunt von dannen.

      So viel zum Thema große Klappe und Koordination.

      Hier war einer der wenigen Orte, an denen ich mich geborgen fühlte. Ich liebte das Alte und Romantische. Ich weiß, romantisch passte zwar überhaupt nicht zu mir, zu meiner zynischen und beleidigenden Art, doch ich hatte mir so viele Liebesfilme reingezogen, dass ich mit den Taschentüchern einen ganzen Winter heizen konnte. Ja, ich hatte auch einen kleinen Kamin. Sie wissen gar nicht, wie wunderschön es ist sich vor den Kamin in eine warme Decke zu kuscheln, sich einen neuen Liebesfilm anschauen, den ich von Geld gekauft hatte, was ich eigentlich gar nicht besaß und eine schöne Tasse dampfende heiße Schokolade zu schlürfen.

      Ich zuckte aus meinen Tagträumen als es plötzlich klingelte. Ich rappelte mich schnell hoch und wollte schon zur Tür rasen, als ich über meine Tasche fiel, die mitten im Raum stand und ich knallte der Länge nach auf das harte Parkett. Einen Moment sah ich nur noch Sterne und ich wusste ehrlich nicht, wo ich überhaupt war. Nach gefühlten zehn Minuten rappelte ich mich wieder auf und humpelte zur Tür. Doch draußen stand niemand. Ich fluchte laut. Hatte ich jetzt wirklich einen weiteren blauen Fleck in meiner nicht unbeträchtlichen Sammlung auf meinen Beinen für nichts und wieder nichts?