Michael Vahlenkamp

Jenseits der Zeit - Historischer Mystery-Thriller


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es zu schade, wenn das Gebräu schal würde.

      Seine Gedanken versanken in die Geschichte, die er gerade schrieb. Die Umgebung nahm er kaum noch wahr, während er sich den Fortgang der Handlung überlegte, verschiedene Wendungen erwog und darüber nachdachte, wohin sie führen würden. Ab und zu nippte er an dem Bier, das er aber kaum schmeckte.

      Nach einer Weile ließ ein Gast die Eingangstür zuknallen, was Jacob aus seine Gedanken wieder herausriss. Er hob den Krug zum Mund, doch der war mittlerweile leer getrunken. Auf dem Hocker drehte er sich zum Gastraum und stellte fest, dass der sich inzwischen gefüllt hatte. Er sollte einen Tisch für sich und Herold besetzen, bevor es zu spät dafür war. In der hintersten Ecke war noch einer frei.

      Gerade als er aufstehen und sich dorthin begeben wollte, merkte er, dass die zwei Männer vom Nebentisch direkt zu ihm herüberstarrten. Jacob musste kurz überlegen, dann fiel ihm ein, woher er sie kannte: Es waren die beiden Kerle, die auf dieser Tanzveranstaltung so wütend auf ihn waren, Rosas Bruder und dessen Freund. Heute sahen sie genauso wütend aus, wie vor einer Woche. Was musste das für ein bemitleidenswertes Leben sein, in dem sie ständig schlecht gelaunt waren.

      Jacob grinste sie an und nickte zum Gruß mit dem Kopf. Das schien ihre Launen nicht zu verbessern, denn sie wirkten noch wütender. Sie sahen sich kurz an, erhoben sich und kamen mit finsteren Mienen zu Jacob an die Theke.

      Was wollen die denn nun schon wieder von mir, dachte er, grinste ihnen aber weiterhin entgegen.

      Sie bauten sich vor ihm auf, doch obwohl Jacob oftmals allen Grund dazu hatte, war er niemand, der sich leicht einschüchtern ließ.

      »Seid gegrüßt«, sagte er fröhlich. »Wie ich sehe, habt ihr heute wieder die beste Laune. Wie schmeckt euch das Bier?«

      Sie sahen sich erneut kurz an.

      »Lass Rosa in Ruhe«, knurrte dann ihr Bruder.

      Der tat ja gerade so, als würde Jacob jeden Abend unter ihrem Fenster stehen und ihr ein Ständchen bringen. Dabei hatte er sie seit der Tanzveranstaltung nicht wieder gesehen.

      »Ja, lass die Finger von ihr«, stimmte der Freund des Bruders ein.

      Jacob hatte zwar nicht mehr an sie gedacht, seit er die betrunkene Schönheit an jenem Abend sicher vor ihrem Haus zurückgelassen hatte. Trotzdem ließ er sich nicht gerne etwas vorschreiben, egal von wem. Er schob sein Kinn vor.

      »Und wenn ich es nicht tue?«

      Rosas Bruder kam so nahe an Jacob heran, dass sich ihre Nasen fast berührten.

      »Dann brechen wir dir jeden Knochen, den du im Leibe hast«, zischte er durch zusammengebissene Zähne.

      Ganz weit hinten in Jacobs Kopf flüsterte eine Stimme, dass er klein beigeben sollte. Sie sprach ihm zu, dass diese Angelegenheit keine besondere Bedeutung für ihn hatte, und er einfach sagen könnte, dass er Rosa fortan in Ruhe lassen würde. Die beiden großen und viel stärkeren Männer würden dann von ihm lassen und die Sache wäre erledigt. Jacob war geneigt auf diese Stimme zu hören. Aber da war noch eine andere Stimme. Diese schrie, dass er sich das nicht bieten lassen konnte, dass die Männer ihm gar nichts zu sagen hatten.

      »Genau«, sagte da der andere Mann. »Wir werden dir deinen Verstand aus deinem hübschen Köpfchen herausprügeln, du dämlicher Müllerjunge.«

      Dieser Hornochse nannte ihn Müllerjunge? Die laute Stimme in Jacobs Kopf gewann.

      »Oh, nein«, entgegnete er in übertriebenem Tonfall. »Dann werde ich ja ein so hässlicher Strohkopf wie du.«

      Dem Mann war förmlich anzusehen, wie die Wut ihn übermannte. Sein ohnehin nicht freundliches Gesicht verwandelte sich in eine Hassfratze. Er packte Jacob am Kragen, hob ihn wie einen Jungen vom Hocker und schleuderte ihn gegen einen Pfeiler, der sich wenige Schritte von der Theke befand. Der Schmerz explodierte in Jacobs Rücken und er bekam für einen Moment keine Luft. Rosas Bruder setzte sogleich hinterher, dicht gefolgt von seinem Freund, und packte Jacob erneut am Kragen. Jacob wollte um Hilfe rufen, doch gerade als er dachte, er hätte wieder den Atem dafür, rammte ihm der andere die Faust in den Magen. Wiederum blieb Jacob so sehr die Luft weg, dass er dachte, er müsste sterben.

      Nun drängte sich der Freund nach vorne. Offenbar wollte auch er seinen Anteil beitragen. Jacob sah noch, dass er weit ausholte, während Rosas Bruder ihn festhielt, dann schloss er die Augen und wartete auf sein Ende.

      Doch es kam anders. Er hörte ein Ächzen und als er die Augen wieder öffnete, kniete der Freund von Rosas Bruder vor seinem Bruder. Herold hielt die Faust, mit der der andere gerade noch ausgeholt hatte, in seiner Hand und quetschte sie dermaßen zusammen, dass dem anderen Tränen über das schmerzverzerrte Gesicht liefen. Dann schlug Herold mit seiner freien Faust zu, woraufhin der Mann sofort in sich zusammensackte.

      Rosas Bruder hielt Jacob immer noch am Kragen, aber jetzt kam Herold auf ihn zu. Er ließ Jacob los, richtete sich auf und nun war ersichtlich, dass Herold ihn um Haupteslänge überragte. Er ging auf Jacobs Peiniger zu und gab ihm eine schallende Ohrfeige.

      »Scher dich weg«, fuhr er ihn an.

      Er machte rückwärts einige Schritte zum Ausgang, drehte sich dann um und rannte los. Aber kurz vor der Tür blieb er stehen und wandte sich zu Jacob und Herold.

      »Das werdet ihr noch bereuen«, schrie er. »Das wenige, was euch geblieben ist, werden wir euch auch noch nehmen.«

      Dann machte er kehrt und floh aus der Tür.

      Herold rieb sich die Faust und sah ihm hinterher. Jacob rappelte sich hoch. Sein Rücken fühlte sich an, als wäre er gebrochen, und sein Magen, als hätten sie ihm alle Eingeweide zerquetscht.

      Herold drehte sich zu ihm um und packte ihn am Kragen, so wie es der Andere gerade gemacht hatte.

      »Was hatte das zu bedeuten?«, fuhr er ihn an. »Das hatte doch bestimmt wieder mit Weibern und deiner vorlauten Klappe zu tun.«

      Jacob ging nicht darauf ein, denn die Worte des Geflohenen kamen ihm eigenartig vor.

      »Wie hat er das gerade gemeint? Was ist uns wovon geblieben?«

      Herold sah eben noch wütend aus, doch jetzt änderte sich sein Gesichtsausdruck unvermittelt. Es schien Jacob, als wäre er verlegen. Und dann wurde er wieder ärgerlich, schüttelte den Kopf und machte eine abweisende Handbewegung.

      »Ach, woher soll ich wissen, wie dieser Dummkopf das gemeint hat?«

      Er dreht sich um und verließ die Schenke, wobei er einen Mann, der nicht schnell genug ausweichen konnte, unsanft zur Seite stieß.

      Jacob blickte mit gefurchten Brauen die Tür an, die Herold hinter sich zugeschlagen hatte. Erst die eigenartige Bemerkung von Rosas Bruder und dann diese merkwürdige Reaktion seines Bruders. Er wusste nicht, was er davon halten sollte.

      Als er schließlich den Blick von der Tür abwandte, bemerkte er, dass die eine Hälfte der Gäste ihn anstarrte und die andere den Bewusstlosen.

      Vielleicht sollte er sich lieber davon machen, bevor der aufwachte.

      Im schwachen Schein der Straßenlaternen musste Jacob aufpassen, dass er nicht in eine der Pfützen oder Schlammansammlungen trat. So gut das löchrige Straßenpflaster es zuließ, umkreiste er die betreffenden Stellen. In den letzten zwei Tagen hatte es häufig geregnet und durch die Außenwälle flutete in solchen Zeiten immer viel Wasser in das Innere der Stadt und brachte Schmutz und Schlamm mit sich.

      Mittlerweile war er bei einem der beiden Stadtbrunnen angelangt, bei der Einmündung der Achternstraße in die Langestraße. Das Heiligengeisttor lag nicht mehr weit vor ihm. Er glaubte, schon den Schein der Wachlaternen erkennen zu können. Bei jedem Schritt schmerzte sein Rücken. Die Prügel, die er gerade bezogen hatte, würden ihm noch ein paar Tage zu schaffen machen.

      Er dachte an die Situation in der Schenke vorhin. Was hatte das zu bedeuten? Wenn Herold glaubte, dass er ihm einfach so davonlaufen und eine Antwort schuldig bleiben konnte, dann hatte er sich gewaltig getäuscht. Gleich morgen