Michael Vahlenkamp

Jenseits der Zeit - Historischer Mystery-Thriller


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bitte«, sagte er zu dem Gastwirt, ein dicker Kerl mit fettigem Haar.

      Der sah ihn durch die Schlitze seiner zusammengekniffenen Augen an.

      »Du bist doch der Müller Riekhen.«

      Was sollte das denn nun? Wenn das eine Frage sein sollte, hörte es sich aber nicht so an. Warum gab der ihm nicht einfach das Bier, damit er den schlechten Geschmack loswerden konnte?

      »Um genau zu sein, ist mein Bruder Herold der Müller. Ich bin nur sein Gehilfe,« antwortete Jacob. »Was ist nun mit meinem Bier?«

      Ein anderer Mann erschien beim Fass und wollte ebenfalls etwas von dessen Inhalt. Der Wirt überließ ihm den gerade gefüllten Krug und nahm sich einen neuen, um weiter zu zapfen.

      »Gehilfe, was?« Er sah Jacob so an, wie zuvor. »Das macht es nicht besser. Der Gehilfe vom Gauner ist ein ebensolcher Gauner.«

      »Was soll das heißen?«, fuhr Jacob ihn an. »Du nennst meinen Bruder und mich Gauner?«

      »Das seid ihr Müller doch alle, wie man hört. Mehlverschlechterer, die sich von den Bauern ihren Wohlstand zusammengaunern.«

      Wohlstand! Wenn Jacob nicht so wütend geworden wäre, hätte er darüber lachen können. Das mochte vielleicht für andere Müller gelten, sein Bruder und er spürten von diesem Wohlstand jedenfalls nichts. Ihre Einnahmen reichten gerade so aus, um die Mühlenpacht und ihren Lebensunterhalt davon zu bezahlen. Arm waren sie sicherlich nicht, von Wohlstand konnte jedoch keineswegs die Rede sein. Aber Jacob war an solche Verleumdungen von klein auf gewöhnt. Alle glaubten, dass Müller Betrüger waren, sich von ihrem Lohnanteil am Mahlgut durch Zusätze oder falsche Gewichte mehr ergaunerten, als ihnen zustand, und es gab sogar noch einige, die die Mühlentechnik für Teufelswerk hielten. Schon als Kind konnte er keine Freunde finden, weil er der Müllersohn war und daran hatte sich bis heute nicht viel geändert.

      Doch es war eine Sache, hinter vorgehaltener Hand über ihn zu tuscheln, und eine andere, ihn direkt als Gauner zu beschimpfen. Jacob hatte große Lust, dem Wirt in sein feistes Gesicht zu schlagen. Der Gast, der soeben sein Bier bekommen hatte, mischte sich rechtzeitig ein.

      »Nun gib ihm doch eines, Fritz. Wir wollen hier heute Abend nur gute Laune haben und keinen Streit.«

      »Wer sagt mir denn, dass er auch bezahlen kann?«, fragte der Wirt.

      Der Gast wandte sich an Jacob.

      »Hast du auch Geld?«

      Jacob zog zur Antwort seinen Geldbeutel hervor und ließ ihn klimpern. Als der Wirt das sah, gewann sein Geschäftssinn die Oberhand.

      »Also gut.« Er stellte Jacob das neu gezapfte Bier auf das Fass. »Das macht dann ... drei Schwaren.«

      »Fritz!«, ermahnte der andere Gast. »Du kannst ihm doch nicht mehr abknöpfen als allen anderen.«

      Der Wirt wand sich, schien mit sich zu kämpfen.

      »Na schön, also zwei Schwaren. Aber im Voraus.«

      Jacob legte das geforderte Geld neben das Bier, nahm den Krug an sich und drehte dem Wirt den Rücken zu. Dann trank er mehrere tiefe Züge, nach denen es ihm viel besser ging.

      Mit dem Krug in der Hand schlenderte er zu den Tanzenden. Die drei Musikanten, die auf der anderen Seite der Gasse spielten, machten ihre Sache wirklich gut. Mit einem Kribbeln in den Beinen sah Jacob sich nach einer Tanzpartnerin um. Und er wurde schnell fündig: Direkt neben den Musikanten stand mit ihren Freundinnen ein Mädchen, das ihm vor kurzem in der Kirche aufgefallen war. Im Takt der Musik schaukelte sie leicht ihren Rock hin und her. Sie war ein paar Jahre jünger als er, ungefähr siebzehn musste sie wohl sein. Ganz gewiss hatte sie sich aus ihrem Elternhaus gestohlen und würde eine Menge Ärger bekommen, wenn dies auffallen sollte. Ihre Schönheit war umwerfend: Langes, rotblondes Haar umspielte ihr ebenmäßiges Gesicht und fiel ihr anschließend auf den Rücken, ihre Haut war rosig zart und ihre Wimpern waren so lang, wie er es bisher bei keinem anderen Menschen gesehen hatte. Doch am meisten reizte ihn der kecke Ausdruck in ihren Augen: Sie sah sich um, als suchte sie nach Gelegenheiten, so ausgiebig wie möglich gegen möglichst viele Regeln zu verstoßen. Offenbar reichte es ihr nicht, dass sie zu Hause ausgebüxt und auf eine verbotene Tanzveranstaltung gegangen war.

      Jacob kippte die zweite Hälfte seines Bieres in einem Zug herunter und wand sich durch die Leute, um zu dem Mädchen zu gelangen. Unterwegs stellte er den Krug auf einer Fensterbank ab. Bei jedem Schritt, den er sich dem Mädchen näherte, nahm das aufregende Gefühl in seinem Bauch zu. Er liebte das. Sie bemerkte seine Annäherung, lächelte und senkte in gespielter Verlegenheit den Blick. Doch allzu gut war sie nicht in dem Spiel, denn Jacob entging nicht der kesse Zug um ihren Mund.

      Als er bei ihr ankam, merkten ihre Freundinnen, was vor sich ging, und traten kichernd beiseite. Für ein paar Sekunden stand er grinsend vor ihr und wusste nicht, was er sagen sollte. Der einzige Gedanke in seinem Kopf war die Verwunderung darüber, dass jemandem, der mit Worten sein Geld verdienen wollte, einfach keine einfielen. Dann sah sie auf, wahrscheinlich weil sie langsam ungeduldig wurde.

      »Lass uns tanzen«, sagte er, um ihr zuvorzukommen, griff ihre Hand und zog sie mit sich zur Mitte der Gasse, die als Tanzfläche diente.

      Dort schmiegte sie sich schon nach zwei, drei Tanzschritten dichter an ihn, als er zu hoffen gewagt hatte. Sie fühlte sich unbeschreiblich gut an und ihr Duft erinnerte ihn an frische Blüten. Eine Weile war er wie in einem Rausch, während sie wild tanzten.

      Dann wurde die Musik langsamer.

      »Wie heißt du?«, fragte er sie.

      Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie sich fortwährend in die Augen gesehen hatten. Ihre waren genauso blau wie seine eigenen, nur unendlich viel schöner.

      »Rosa.« Ihre Stimme war so zart wie ihre Haut. »Und du?«

      »Jacob.«

      Sie lächelten sich an und tanzten weiterhin in die Runde. Jacob nahm sie nun fester in den Arm und wie aus Versehen rutschte seine Hand auf ihrem Rücken immer tiefer, bis er den Beginn der Rundung ihres Gesäßes spüren konnte. Es fühlte sich fest und aufregend an. Sie sahen sich noch immer in die Augen, und die ihren verengten sich leicht, als wollte sie ihn einen Schelm nennen. Er konnte nur bübisch grinsen.

      Nach einigen Minuten des Tanzens zog er sie wieder an der Hand mit sich.

      »Lass uns ein Bier trinken«, sagte er, ohne auf den Weg zu achten, den er nahm, denn er konnte nicht den Blick von ihr wenden.

      Trotzdem kamen sie ohne einen Zusammenstoß mit den anderen Tänzern beim Gastwirt an. Sogleich ließ er vier Schwaren auf das Fass kullern und verlangte nach zwei Bieren. Der Wirt sah ihn zwar wieder böse an, doch Jacob erhielt ohne Murren seine Bestellung. Er und Rosa prosteten sich lächelnd zu und nahmen jeder einen ordentlichen Zug.

      »Ahh«, machte Jacob und wischte sich den Schaum vom Mund. »Das ist mal was anderes als das Dünnbier, das man sonst bekommt.«

      Während sie tranken, sah er sich ein wenig um und bemerkte jenseits der tanzenden Leute zwei Männer, die ständig zu ihnen herüberstarrten. Sie waren beide groß und breitschultrig und machten finstere Gesichter, während sie miteinander sprachen. Jacob tat so, als merkte er es nicht. Bösen Hunden soll man nicht in die Augen sehen.

      Er unterhielt sich lieber weiter mit Rosa. Sie behauptete, dass sie bereits 24 Jahre alt wäre, was er ihr nicht eine Sekunde glaubte. Dass sie in einer feineren Straße innerhalb der Stadtmauern Oldenburgs wohnte, glaubte er ihr allerdings sofort.

      Zwischendurch sah er immer wieder unauffällig zu den Männern. Er hatte das Gefühl, je länger er sich mit Rosa unterhielt, desto wütender wurden sie. Der größere der beiden ballte unentwegt die Fäuste und trat von einem Bein auf das andere.

      »Hast du eine Ahnung, was das da drüben für Kerle sind?« Er wies mit seinem Bierkrug zu den Männern. »Die starren uns schon die ganze Zeit an.«

      Rosa trank gerade von ihrem Bier und schielte währenddessen in die angezeigte Richtung. Im nächsten Moment prustete