Nadja Christin

Natascha


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einen verknitterten braunen Umschlag, den er mir zuwarf.

      »Hier, ich habe zufällig deinen nächsten Auftrag dabei.«

      Ich fing den Umschlag auf und warf ihn sofort uninteressiert auf den kleinen Tisch neben dem Sofa. Trotzig sah ich in Franks Gesicht, ich wartete nur auf ein falsches Wort von ihm. Ich war bereit, es jetzt und hier zu einer Entscheidung kommen zu lassen.

      Er aber ignorierte scheinbar mein Verhalten und ging zur Wohnungstür, den Griff schon in der Hand drehte er sich noch mal halb zu mir um.

      »Wir sehen uns, Tascha«, dann war er draußen.

      Ich saß abwartend auf dem Sofa.

      Wo bleibt denn Justin, fragte ich mich und stemmte mich aus dem bequemen Sitz hoch um im Badezimmer nach dem Rechten zu sehen.

      Frank hatte die Tür nur angelehnt gelassen, ich zog sie auf und knallte sie augenblicklich wieder zu, um mich mit der Stirn dagegen zu lehnen.

      Tief atmet ich ein und aus. Der Geruch aus dem kleinen Raum hatte mich tief getroffen. Es war ein Gemisch von frischen, lieblichen Blut, Angst, Wut, Gier, Lust und über dem ganzen schwebte der Duft von Justin.

      Das war zu viel für meine Beherrschung. Aber trotz der Schnelligkeit meiner Bewegung hatte ich Justin auf dem Boden liegend gesehen.

      »Justin«, rief ich durch die geschlossene Tür, »ist alles in Ordnung?«

      Ich erhielt keine Antwort, ich hatte es mir gedacht. Ich hielt meinen Atem an und machte die Tür auf.

      Da lag er, auf den kalten Fliesen. Sein Oberkörper war noch nackt, nur mit Jeans bekleidet. Das Gesicht war ganz entspannt aber seine Haut war kalkweiß. An seinem Hals prangten zwei kleine Einstichstellen, die immer noch nachbluteten. Ich verstand nicht, wieso Frank sie nicht verschlossen hatte, so konnte es leicht passieren, dass Justin verblutete. Ich kniete mich zu ihm und hob seinen Kopf auf meinen Schoß.

      »Justin«, leicht schlug ich ihm auf die Wangen. »Justin, wach auf, los.«

      Seine Augenlider flatterten, dann schlug er die Augen auf und blickte mich aus diesen Brunnen der Unendlichkeit an.

      »Was ist passiert?«, fragte er leise nuschelnd.

      »Frank ist dir passiert«, antwortete ich grimmig, »er hat vergessen die Wunden zu verschließen, hast du irgendwo Verbandszeug? Dann kann ich die Blutung stoppen, du verlierst eindeutig zu viel Blut.« Ich sah ihn fragend an.

      »Kannst … kannst du das nicht machen?«, seine Augen fielen ihm zu. »Ich meine darüber … wie auch immer … und alles ist wieder gut?« Seine Stimme war nur ein leises Murmeln. Er schlug die Augen wieder auf und blickte mich an. Unergründlich, in diesen Augen könnte man sich tatsächlich verlieren und es würde einem noch nicht einmal auffallen. Ich löste mühsam meinen Blick und betrachtete die zwei Einstichstellen, aus denen sein köstlich, duftender Lebenssaft unermüdlich heraustrat. Es wäre keine gute Idee, jetzt von seinem Blut zu kosten.

      »Justin, ich … « begann ich zögernd und überlegte, wie ich es ihm sagen sollte.

      »Ich glaube, das wäre nicht gut für dich, ich kann mich nicht so gut beherrschen. Ich … könnte vielleicht nicht wieder aufhören.« Ich presste die Lippen aufeinander und ärgerte mich über mich selbst.

      »Bitte, Tascha«, er machte eine Pause und leckte sich über die Lippen, »ich vertraue dir.« Damit legte er mir sanft seine Hand auf den Unterarm, eine Berührung, leicht wie eine Feder. Ich schloss die Augen und atmete tief durch den Mund ein. Dann schluckte ich meine Befürchtungen, meine Angst herunter und öffnete meine Augen wieder.

      Er sah mich immer noch an. Langsam und zögerlich hob ich seinen Oberkörper zu mir hoch und beugte gleichzeitig meinen Kopf zu ihm herunter. Immer näher kam ich seinem Blut, immer intensiver wurde sein Geruch, immer schlimmer spürte ich die Gier in mir aufsteigen. Ich bemerkte, wie meine Zähne wieder zu Dolchen werden wollten. Krampfhaft versuchte ich diesen Zustand niederzukämpfen. Ich schloss meine Augen erneut, vor seinem allzu köstlichen Blut. Langsam umschloss mein Mund seine Wunden am Hals, Justin stöhnte leicht und zuckte kurz zusammen.

      Es gab nur zwei Bewegungen, die ich ausführen konnte. Die eine bedeutet Tod, seinen Tod, die andere bedeutete sein Leben. Tief in mir drin entbrannte ein Kampf. Mein Monster schrie heiser, es brüllte und kreischte. Das Feuer loderte heiß auf. Sein Blut konnte ich riechen und jetzt auch schmecken. Was sollte ich nur tun, wie sollte ich mich entscheiden? Zerstörte ich sein junges Leben jetzt und hier mit einer falschen Bewegung, die aber meinen Körper mit seinem köstlichen Blut nährte? Oder gab ich ihm sein Leben, indem ich stark war? Stärker als ich es je zuvor gewesen bin. Stark genug, um diesen wunderbaren Duft und köstlichen Geschmack zu widerstehen?

      Ich entschied mich für sein Leben und verschloss mit meinem Speichel seine Wunden.

      Das Monster in mir stieß einen schrillen, enttäuschten Schrei aus, dann verstummte es. Doch Justins Blut war nun genau dort, wo es nichts zu suchen hatte, in meinem Mund.

      Wo ich es zwar vor einer halben Stunde noch unbedingt haben wollte, aber jetzt nicht mehr.

      Auch wenn es mir fast körperliche Schmerzen zufügte, wendete ich meinen Kopf ab und spuckte sein Blut in hohem Bogen gegen die Badezimmerwand. Es klatschte ein bisschen, als es auftraf und floss dann langsam die Wand hinunter. Ein schauriger Anblick, wie aus einem Horrorfilm entsprungen. Der Geruch seines Blutes traf mich wieder, aber diesmal war es auszuhalten. Nur ganz kurz flackerte das Feuer nochmals auf, um dann ganz zu verlöschen.

      Ich blickte in sein Gesicht, ein Lächeln verzog seine Lippen. Die Augen verdrehten sich nach oben und sein Kopf kippte ein zur Seite. Er war ohnmächtig geworden.

      Ich hob ihn hoch und trug ihn, wie ein kleines Kind auf dem Arm, zum Sofa. Dort legte ich ihn wieder ab, setzte mich zu ihm und bettete seinen Kopf auf meinen Schoß. Ich hatte nicht vor, ihn in diesem Zustand allein zu lassen, also würde ich hier warten, bis er wieder zu sich kam.

      Die Sonne ging gerade auf, ich sah ihr durch das große Fenster zu, es war ein herrlicher Anblick.

      Ein friedlicher Augenblick, in dem ich fast vergaß, Wer oder Was ich bin.

      Als Justin unruhig wurde und seine Lider zu flattern begannen, war es schon später Nachmittag. Immer wieder hatte er im Schlaf, der die Ohnmacht irgendwann ablöste, gemurmelt, unverständliches vor sich hin gebrabbelt.

      Er schlug die Augen auf und sofort war ich wie gebannt. Jetzt, da er dem Vampirdasein noch ein kleines Stück näher gerückt war, war sein Blick nur noch intensiver geworden, noch eindringlicher.

      Ich musste lächeln.

      »Na, wieder unter den Lebenden?«, fragte ich ihn und zog die Augenbrauen noch oben.

      »Ja«, er fasste sich an die Stirn, »und mir geht es erstaunlich gut, ich fühle mich … ausgeruht und klar im Kopf.«

      Er setzte sich auf und blickte mich an. Mit einer raschen Bewegung zuckte seine Hand zu seinem Hals und strich über die Seite.

      »Nichts mehr«, sagte er leise, »ich glaube, du hast mir das Leben gerettet … oder wenigstens mein Halbes.«

      Er lachte kurz auf, es klang bitter in meinen Ohren.

      »Ich verstehe nicht, wie Frank es versäumen konnte, dir die Wunden wieder zu verschließen«, stellte ich fest.

      »Ich schätze, er war ziemlich sauer auf mich«, Justin grinste flüchtig.

      Ich zog die Stirn in Falten und blickte ihn an.

      »Was hast du denn gesagt, oder getan. Hast du etwa Krach mit ihm angefangen im Bad?«

      »Tja, Frank stand wohl schon etwas länger vor der Tür und … na ja, er gab mir die Schuld dafür, was da passiert war. Ich antwortete etwas Unpassendes und dann ist er über mich hergefallen. War wohl alles nicht so toll.« Er grinste leicht.

      Ich schüttelte den Kopf, das alles verstand ich nicht und es ergab auch keinen Sinn.

      »Was