Melinde Manner

Schwingungswelten


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Leichtigkeit auf.

      Wieder zu Hause zieht Valentin das Anmeldeformular aus der Schreibtischschublade hervor und hofft, ein Gefühl dafür zu bekommen, die richtige Entscheidung zu treffen. Doch er kommt nicht weiter. Er ist müde, die Nacht hängt ihm nach.

      Er schaltet den Fernseher ein und legt sich auf die Couch. Vorsorglich überprüft er den Akkustand seines Smartphones, deaktiviert "lautlos", um den erwarteten Anruf nicht zu verpassen, und lässt sich von einer Komödien-Serie berieseln. Kurze Zeit später schläft Valentin tief und fest.

      Gegen 14.30 Uhr weckt ihn das Läuten seines Handys. Hastig greift Valentin nach dem Gerät, lässt es fallen und drückt versehentlich den Anrufer weg. Fluchend setzt er sich auf und überlegt, was er machen soll. Die Nummer ist unbekannt. Wahrscheinlich war es Silvio, denkt er sich. Unschlüssig sitzt er einige Augenblicke auf der Couch, als es wieder läutet.

      Erleichtert atmet er auf und meldet sich mit einem "Hallo?"

      "Hier ist Silvio. Spreche ich mit Valentin?"

      "Ja, ich bin`s. Danke, dass Sie wieder anrufen. Ich wollte Sie nicht wegdrücken, mir ist das Telefon aus der Hand gerutscht."

      Silvio lacht. "Macht nichts, jetzt bin ich ja wieder dran. Erzählen Sie mal..."

      "Ich habe eine furchtbare Nacht hinter mir. Es sind mir so viele Gedanken durch den Kopf gegangen. Jetzt bin ich wieder ganz verunsichert, was ich machen soll. Und dann ist mir eingefallen, dass Sie gesagt haben, das würde oder könnte passieren. Ich weiß es nicht mehr genau."

      Unsicher bricht Valentin seinen Redeschwall ab und wartet.

      "Das ist normal, machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Sie möchten, können wir uns irgendwo treffen und in Ruhe darüber reden. Das ist kein Thema, das man am Telefon ausdiskutieren sollte. Wie wär's?"

      "Gern. Wann haben Sie Zeit? Ich bin sehr flexibel."

      "Morgen um 14.00 Uhr? Neben der Schule gibt es ein nettes Café, das Unicorn. Kennen Sie es?"

      "Ja, stimmt. Ich habe es auf dem Weg zum Sekretariat entdeckt, sah nett aus. 14.00 Uhr passt wunderbar. Danke, dass Sie sich so schnell Zeit nehmen."

      "Gerne, Valentin. Dann sehen wir uns morgen und sprechen über alles."

      "Ja, bis morgen. Auf Wiedersehen."

      Nach dem Telefonat füllt sich Valentin Tee in eine Thermoskanne, setzt sich damit auf den Balkon und versucht, die restlichen Sonnenstrahlen zu genießen. Ganz gelingt ihm das nicht.

      Es erfasst ihn eine Unruhe. Sein Herz hämmert wie wild. Das ist für Valentin ein Zeichen. In diesem Moment wird ihm klar, dass der Aufenthalt im BKH doch nicht nur "für die Katz" war, wie er ihn sonst zu beschreiben pflegte.

      In den Therapiegesprächen hat er gelernt, die Anzeichen einer aufkeimenden Panik zu erkennen. Jetzt kann er seine Unruhe zumindest insoweit einordnen, dass er vor etwas Angst hat. Was mag es sein? Die Frage wühlt ihn noch mehr auf. Sie will nicht gestellt werden. Valentin hält die Anspannung nicht aus. Er zieht sich schnell um und läuft los.

      Er legt gleich zu Beginn ein hohes Tempo vor, wissend, dass ihn das beruhigen wird. Nach einer gewissen Zeit fühlt er sich besser und lässt seinen Gedanken freien Lauf.

      Wie gewohnt tauchen verschiedene Bilder vor ihm auf. Situationen, in denen er Persönliches preisgegeben hat. Situationen, in denen er Gefühle gezeigt und ausgesprochen hat. Situationen, in denen er deswegen verletzt wurde. Situationen, in denen er nicht mehr bereit war, dieses Risiko einzugehen.

      Valentin atmet erleichtert auf. Ihm wird die Befürchtung bewusst, Silvio zu viel von sich erzählen zu müssen und erneut verletzt zu werden. Er nimmt sich vor, es nicht so weit kommen zu lassen, und läuft Richtung Wohnung zurück.

      Eine gewisse Unruhe bleibt. Valentin macht sich nichts vor. Die Entscheidung, nicht mit offenen Karten zu spielen, hinterlässt einen faden Geschmack. Er kann es nicht richtig einordnen, gibt sich aber damit zufrieden, die restliche Unstimmigkeit zu ignorieren.

      Ein wichtiger Austausch

      Am nächsten Vormittag räumt Valentin seine Wohnung auf, putzt gründlich und versucht, sich abzulenken. Alles ist ihm lieber als bewusst nachzudenken oder Gedanken zuzulassen, die ihn verunsichern.

      Selbst das Mittagessen lässt er ausfallen. Er macht sich einen Eiweißshake, doch mehr bekommt er nicht hinunter.

      Um 13.30 Uhr macht er sich auf den Weg zum Unicorn. Obwohl er gemütlich schlendert, ist er eine Viertelstunde später am Treffpunkt. Er betritt das Café und sieht sich um. Silvio ist noch nicht da. Valentin sucht sich einen Platz am Fenster, um den Eingang außen zu überblicken und bestellt sich ein Mineralwasser.

      Kurz vor 14.00 Uhr entdeckt er Silvio. Es ist nicht schwer, den Lehrer wiederzuerkennen. Sein südländisches Aussehen und seine Ausstrahlung fallen angenehm auf.

      Als Silvio das Lokal betritt, winkt Valentin und eilt ihm entgegen.

      "Hallo, Valentin. Wo sitzen Sie?"

      "Gleich da hinten. Schön, dass wir uns so schnell treffen können.“

      Sie setzen sich und Silvio bestellt sich einen doppelten Espresso. Nachdem die junge Bedienung ihren Tisch verlässt, wendet sich der Lehrer Valentin zu:

      "Also, erzählen Sie. Was ist passiert? Sie sagten am Telefon, Sie seien wieder ganz verunsichert."

      "Genau. Ich war gerade am Einschlafen, als mir plötzlich alle möglichen Gedanken durch den Kopf gingen. Um mich kurzzufassen: Zum Schluss war ich mir nicht mehr sicher, ob ich die richtige Entscheidung treffe. Ging es Ihnen auch so?"

      "Ja, bei mir war es so ähnlich. Und an dieser Stelle will ich ganz offen zu Ihnen sein, Valentin. Ansonsten bringt unser Gespräch nichts.

      Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich nichts zu verlieren. Meine Ehe ist nach 6 Jahren in die Brüche gegangen, und da ich starke Rückenschmerzen hatte und auch der rechte Arm oft nicht richtig frei beweglich war, konnte ich in meinem Beruf als Schreiner nicht mehr weiterarbeiten. Die Ärzte haben nichts gefunden und meinten, es sei psychosomatisch. Sie wollten mich in eine dafür spezialisierte Klinik zur Reha schicken. Das war für mich unvorstellbar. Ich musste umdenken.

      Ich hatte schon immer viel Spaß an Sprachen und war gern unter Menschen. Also, habe ich mir gedacht, warum nicht das Ganze miteinander verbinden und neu anfangen?"

      Silvio macht eine Pause und nippt an seinem Espresso. Er wirkt nachdenklich und fährt nach einem kurzen Innehalten mit seiner Erzählung fort:

      "Mir ging alles Mögliche durch den Kopf. In diesem Alter nochmal neu anfangen? Wovon soll ich in der Zwischenzeit leben? Was, wenn das alles keine Zukunft hat und ich keinen Job finde? Was, wenn ich die Ausbildung nicht schaffe?

      Das ist alles schon so lange her, dass ich mich an die vielen Wenns und Abers gar nicht mehr erinnern kann. Doch ich weiß noch sehr genau, dass mich die vielen Fragen etliche Nächte wachgehalten hatten.

      Zu dieser Zeit las ich sehr viel, habe verzweifelt nach Antworten gesucht. Und eines Tages wurde mir klar, dass all die Fragen, die Zweifel nichts als Ausreden waren.

      Ich wollte mein gewohntes Umfeld nicht verlassen. Es war alles um mich so voraussehbar. Das erfüllte mich zwar nicht, machte aber mein Leben bequem. Nichts Neues, keine Anstrengungen. Ich steckte fest in meinen Gewohnheiten.

      Das macht die Entscheidung genau genommen so schwer: Alte Gewohnheiten aufzugeben und auf eine neue Art zu denken und zu handeln.

      Aber das ist die einzige Möglichkeit, herauszukommen: Eine klare Entscheidung zu treffen, von der du dich nicht mehr abbringen lässt. Egal von wem oder was.

      Und ich wollte weder in eine psychosomatische Klinik, noch mit Schmerzen leben oder gar so arbeiten. An dem Tag, als meine Entscheidung so fest war, dass sie alle Wenns und Abers in den Schatten stellte, fing es an, bergauf zu gehen. Auf einmal fiel es mir leicht,