Friedrich Schiller

Gesammelte Dramen: Die Braut von Messina oder die feindlichen Brüder • Die Jungfrau von Orleans • Die Räuber • Die Ve...


Скачать книгу

hat ihre Ketten mit beiden Händen kraftvoll gefaßt und zerrissen. In demselben Augenblick stürzt sie sich auf den nächststehenden Soldaten, entreißt ihm sein Schwert und eilt hinaus. Alle sehen ihr mit starrem Erstaunen nach.

      Zwölfter Auftritt

      Vorige ohne Johanna.

      ISABEAU nach einer langen Pause.

      Was war das? Träumte mir? Wo kam sie hin?

      Wie brach sie diese zentnerschweren Bande?

      Nicht glauben würd ichs einer ganzen Welt,

      Hätt ichs nicht selbst gesehn mit meinen Augen.

      SOLDAT auf der Warte.

      Wie? Hat sie Flügel? Hat der Sturmwind sie

      Hinabgeführt?

      ISABEAU.

      Sprich, ist sie unten?

      SOLDAT.

      Mitten

      Im Kampfe schreitet sie – Ihr Lauf ist schneller

      Als mein Gesicht – Jetzt ist sie hier – jetzt dort –

      Ich sehe sie zugleich an vielen Orten!

      – Sie teilt die Haufen – Alles weicht vor ihr,

      Die Franken stehn, sie stellen sich aufs neu!

      – – Weh mir! Was seh ich! Unsre Völker werfen

      Die Waffen von sich, unsre Fahnen sinken –

      ISABEAU.

      Was? Will sie uns den sichern Sieg entreißen?

      SOLDAT.

      Grad auf den König dringt sie an – Sie hat ihn

      Erreicht – Sie reißt ihn mächtig aus dem Kampf.

      – Lord Fastolf stürzt – Der Feldherr ist gefangen.

      ISABEAU.

      Ich will nicht weiter hören. Komm herab.

      SOLDAT.

      Flieht, Königin! Ihr werdet überfallen.

      Gewaffnet Volk dringt an den Turm heran.

      Er steigt herunter.

      ISABEAU das Schwert ziehend.

      So fechtet, Memmen!

      Dreizehnter Auftritt

      Vorige. La Hire mit Soldaten kommt. Bei seinem Eintritt streckt das Volk der Königin die Waffen.

      LA HIRE naht ihr ehrerbietig.

      Königin, unterwerft Euch

      Der Allmacht – Eure Ritter haben sich

      Ergeben, aller Widerstand ist unnütz!

      – Nehmt meine Dienste an. Befehlt, wohin

      Ihr wollt begleitet sein.

      ISABEAU.

      Jedweder Ort

      Gilt gleich, wo ich dem Dauphin nicht begegne.

      Gibt ihr Schwert ab und folgt ihm mit den Soldaten.

      Die Szene verwandelt sich in das Schlachtfeld.

      Vierzehnter Auftritt

      Soldaten mit fliegenden Fahnen erfüllen den Hintergrund. Vor ihnen der König und der Herzog von Burgund, in den Armen beider Fürsten liegt Johanna tödlich verwundet, ohne Zeichen des Lebens. Sie treten langsam vorwärts. Agnes Sorel stürzt herein.

      SOREL wirft sich an des Königs Brust.

      Ihr seid befreit – Ihr lebt – Ich hab Euch wieder!

      KÖNIG.

      Ich bin befreit – Ich bins um diesen Preis!

      Zeigt auf Johanna.

      SOREL.

      Johanna! Gott! Sie stirbt!

      BURGUND.

      Sie hat geendet!

      Seht einen Engel scheiden! Seht, wie sie daliegt,

      Schmerzlos und ruhig wie ein schlafend Kind!

      Des Himmels Friede spielt um ihre Züge,

      Kein Atem hebt den Busen mehr, doch Leben

      Ist noch zu spüren in der warmen Hand.

      KÖNIG.

      Sie ist dahin – Sie wird nicht mehr erwachen,

      Ihr Auge wird das Irdsche nicht mehr schauen.

      Schon schwebt sie droben ein verklärter Geist,

      Sieht unsern Schmerz nicht mehr und unsre Reue.

      SOREL.

      Sie schlägt die Augen auf, sie lebt!

      BURGUND erstaunt.

      Kehrt sie

      Uns aus dem Grab zurück? Zwingt sie den Tod?

      Sie richtet sich empor! Sie steht!

      JOHANNA steht ganz aufgerichtet und schaut umher.

      Wo bin ich?

      BURGUND.

      Bei deinem Volk, Johanna! Bei den Deinen!

      KÖNIG.

      In deiner Freunde, deines Königs Armen!

      JOHANNA nachdem sie ihn lange starr angesehen.

      Nein, ich bin keine Zauberin! Gewiß

      Ich bins nicht.

      KÖNIG.

      Du bist heilig wie die Engel,

      Doch unser Auge war mit Nacht bedeckt.

      JOHANNA sieht heiter lächelnd umher.

      Und ich bin wirklich unter meinem Volk,

      Und bin nicht mehr verachtet und verstoßen?

      Man flucht mir nicht, man sieht mich gütig an?

      – Ja, jetzt erkenn ich deutlich alles wieder!

      Das ist mein König! Das sind Frankreichs Fahnen!

      Doch meine Fahne seh ich nicht – Wo ist sie?

      Nicht ohne meine Fahne darf ich kommen,

      Von meinem Meister ward sie mir vertraut,

      Vor seinem Thron muß ich sie niederlegen,

      Ich darf sie zeigen, denn ich trug sie treu.

      KÖNIG mit abgewandtem Gesicht.

      Gebt ihr die Fahne!

      Man reicht sie ihr. Sie steht ganz frei aufgerichtet, die Fahne in der Hand – Der Himmel ist von einem rosigten Schein beleuchtet.

      JOHANNA.

      Seht ihr den Regenbogen in der Luft?

      Der Himmel öffnet seine goldnen Tore,

      Im Chor der Engel steht sie glänzend da,

      Sie hält den ewgen Sohn an ihrer Brust,

      Die Arme streckt sie lächelnd mir entgegen.

      Wie wird mir – Leichte Wolken heben mich –

      Der schwere Panzer wird zum Flügelkleide.

      Hinauf