ich ... Volkswagen! oder ... Opel! oder ... Mercedes!. Beim Mercedes mach‘ ich es sogar genauer. Mercedes 180, Mercedes 180 D oder Mercedes 220. Auto-Erraten machen mein Vater und ich oft, wenn wir unterwegs sind. Die Mercedes kenne ich deshalb so gut, weil wir auch einen haben, einen 180er. Leider keinen 190er. Aber dafür ist unserer blau-métallisée.
Warum ich in Wels gern bin, das weiß ich nicht so genau.
Jedenfalls ist das Essen viel besser als daheim. Und ich muss nicht aufessen, wenn ich nicht mag. Außerdem sitzt meist noch meine Cousine Maria mit uns beim Essen und macht Witze. Ihre Lippen sind blau und sie atmet schwer. Ich muss immer ihre Finger betrachten, wenn sie die Hände manchmal auf den Tisch legt. Die sind vorn so breit wie Kochlöffel und meist auch blau.
Dann gibt es da noch den Onkel Adolf. Der kann kaum gehen. Ein Auge zwickt er immer zu und der Mund hängt auf einer Seite ein bisschen runter. Da rinnt dann manchmal die Suppe raus. Aber Maria macht das schnell weg mit der Serviette. Onkel Adolf redet nicht viel. Eigentlich redet er gar nicht. Aber er sitzt immer am Tisch, wenn wir essen.
Wenn ich satt bin, darf ich mich aufs Sofa neben dem Esstisch legen. Ich liege da auf einem Perser, den Tante Resi direkt aus Persien mitgebracht hat. Geschmuggelt hat sie ihn, im Auto. Sie hat sich einfach am Rücksitz auf ihn draufgesetzt und ist so bis Wels gefahren. Ohne Probleme, sagt sie. Das erzählt sie oft, wenn alle am Tisch sitzen. Dann gibt es ein ziemliches Gegröle, das erst aufhört, wenn Maria zu wenig Luft bekommt und blau wird.
Maria hat nämlich ein Loch im Herz, deshalb wird sie manchmal blau. Besonders wenn sie lacht oder sich aufregt.
Einmal, erzählt sie uns, wäre sie fast gestorben. Da war sie im Spital, wegen der Luftnot. Dort ist ihr Herz bei irgend so einer Untersuchung plötzlich stehen geblieben und sie hat gehört, wie der Doktor zur Schwester sagt, ... jetzt ist‘s zu Ende. Da hat sie die Augen aufgerissen und laut geschrien – NEIN! Da haben die aber geschaut und schnell weitergemacht, bis das Herz wieder angesprungen ist.
Bei dieser Geschichte lächelt sogar Onkel Adolf. Das merkt man daran, dass er dann ein bisschen mit dem Kopf wackelt. Nur ganz leicht, man muss genau hinschauen.
Ich habe in Wels noch zwei Onkel, die immer wieder einmal beim Mittagessen dabei sind.
Onkel Hans ist so alt wie Onkel Adolf und redet auch wenig. Wenn er aber was sagt, dann ist es richtig laut. Außerdem hat er riesige Pranken, und der Tisch wackelt, wenn er sein Schnitzel zerschneidet.
Mausi und ich haben immer etwas Angst vor ihm gehabt, bis vor kurzem. Da hat uns nämlich die Maria vor ein paar Tagen eigens nachts aus dem Bett geholt, um den Onkel Hans beim Schnarchen zuzusehen.
Das war echt ein Abenteuer!
Im Pyjama sind Mausi und ich hinter Maria durch den langen Hausgang getrippelt, immer dem Schnarchen nach. Am Schluss sind wir vor dem Bett vom Onkel Hans gestanden. Der hat so laut geschnarcht, dass sogar das Wasserglas mit seinem Gebiss am Nachtkästchen gewackelt hat. Ein Steyrer Traktor ist nichts dagegen!
Als er sich dann plötzlich umgedreht hat im Bett und keinen Ton mehr von sich gegeben hat, haben wir es mit der Angst gekriegt und sind schnell zurückgestürmt in unsere Betten. Dort haben wir noch lange unter der Bettdecke gekichert.
Dann ist da noch der Onkel Franz, der Franzl. Der ist Messedirektor und der einzige Sozi in der Familie. Ich hab mir das gemerkt, weil mein Vater immer wieder Witze darüber macht. Mein Vater sagt, er ist ein Edelsozi. Dabei lacht er. Ich hab ihn einmal gefragt, was ein Edelsozi ist. ... Einer, der andere bestiehlt, ohne dass die es merken, hat er gesagt.
Das hätte ich nie gedacht – Onkel Franz, ein Taschendieb! Da muss man ja viele Tricks draufhaben, das weiß ich aus Erzählungen. Vielleicht kann er mir ein paar davon lernen, jetzt, wo wir ohnehin Sommerferien haben.
Im Hinterhof sind mehrere Garagen und dahinter ein großer Garten. Dort gibt es Ribisln und Stachelbeeren. In der Mitte steht ein schwarzer riesiger Wasserkessel, der immer randvoll ist. Wenn ich mich auf einen Ziegel stelle, dann kann ich tief unten die Kaulquappen sehen. Kaulquappen kann man ziemlich leicht in der Hand zerquetschen, wenn man nicht aufpasst. Wasserläufer hingegen sind kaum totzukriegen. Die kann man fangen, herumtragen und wieder aufs Wasser setzen. Dann laufen sie wieder.
Heute kommt also unsere neue Mutter.
Wir sind schon gespannt, wie die aussieht. Seit Tagen geht es nur mehr darum. Bei jedem Essen wird darüber gesprochen. Mir soll’s recht sein, mein‘ ich. Solang unser Vater bei uns ist, ist mir das egal. Tante Resi meint, dass wir uns darüber freuen werden. Sie meint, wir brauchen eine Mutter. Eine haben wir ja! Aber die ist jetzt weg. Solange Anni bei uns ist, find‘ ich das nicht wirklich notwendig. Vielleicht will das unser Vater einfach, damit er nicht allein ist.
Mausi und ich haben für diesen Samstag ein besonderes Spiel erfunden.
Ich steh‘ hinter dem Vorhang am Fenster zur Straße und beobachte die Einfahrt. Wenn da ein Auto zu uns einbiegt, dann verschwindet es kurz in der Einfahrt und kommt im Hof wieder raus. Mausi bewacht das Fenster im Badezimmer, das zum Hof zeigt. Wenn also zum Beispiel ein Auto einbiegt, dann rufe ich „Auto kommt“ quer durch die ganze Wohnung. Sobald Mausi das Auto im Hof erspäht, ruft sie zurück „Auto angekommen“.
Viele Autos fahren nicht in den Hof, vielleicht zwei waren es bislang. Und es ist schon gegen zwölf.
Tante Resi und Maria kochen, was das Zeug hält. Schließlich brülle ich Mercedes 180, blau-métallisée, und renne mit dieser Nachricht rüber ins Bad.
Ja, es ist das Auto unseres Vaters.
Mausi und ich hängen am offenen Fenster. Tante Resi hält Mausi fest, mich die Maria. Ihre Hände sind blau und ziemlich kalt.
Mein Vater hat den Wagen genau in der Mitte des Hofes abgestellt und steigt aus. Die Beifahrertür öffnet sich. Eine Frau steigt aus und winkt uns. Dann gehen die beiden zum Hauseingang und kommen rauf.
Wir sind alle im Hausgang und warten.
Adolf sitzt im Rollstuhl, ein Auge offen, eins zu. Maria hat sich einen Stuhl mitgenommen und atmet wie eine Dampflok. Sie hat Mausi am Schoß. Tante Resi hat die Schürze abgelegt und hält mich an den Schultern fest.
Dann taucht der Kopf meines Vaters auf, dahinter der von der Frau. Bei mir bleibt sie stehen. ... Du bist also der Hansi ... und gibt mir die Hand. Dann geht sie weiter zur Mausi und sagt wieder ... Du bist also die Mausi ... und berührt sie ganz leicht an der Schulter.
Wir müssen weder Kopfstand noch Brücke machen und setzen uns gleich nach der Begrüßung um den Esstisch. Ich sitz‘ wie immer auf meinem gepolsterten Sessel mit dem Samtüberzug und halt‘ mich am Stuhlrand fest. Die Frau sitzt an der anderen Tischseite neben meinem Vater. Er redet unentwegt, ziemlich laut, während die Frau neben ihm nur hie und da mit dem Kopf nickt. Manchmal lachen alle. Auch die Frau. Sogar Onkel Adolf gibt ein paar Geräusche von sich.
Während noch alle am Tisch sitzen und Sachertorte mit Schlag essen, schleiche ich mich hinüber zum Sofa und lege mich auf den Perser. Über mir hängt ein riesiges Bild in einem fetten schwarzen Rahmen. Es zeigt eine Frau, die mit Pfeil und Bogen einen weißen Hirsch jagt. Die Frau am Bild ist ziemlich nackt. Ich muss sie immer ansehen.
Die Frau dort neben dem Vater wird also mit uns zurückfahren im Auto, zu uns nach Hause. Ich wär‘ lieber allein mit meinem Vater zurückgefahren, mit Mausi neben mir.
Und was wird morgen sein? Ist sie dann immer noch da? Anni wird in Ohnmacht fallen, wenn sie das hört.
Auf der Heimfahrt unterhält sich mein Vater mit der Frau, die er Irmgard nennt, ganz leise, sodass wir nichts mitkriegen. Das ist mir ganz recht, weil ich müde bin. Ich lege mich in den Fußraum, das mache ich immer wenn wir von Wels nach Steyr fahren. Dort ist es warm und es riecht nach Gummi. Hinter Bad Hall ist mir fast immer so schlecht, dass ich schnell raus muss zum Speiben. Mein Vater weiß das und bleibt immer an derselben Stelle am Straßenrand stehen. Mausi bleibt im Auto sitzen und drückt