Bettina Reiter

Ein fast perfekter Winter in St. Agnes


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drei Kindern (die Zwillinge und ihr Mädchen), rollen jeder Nanny den roten Teppich aus und während George weiterhin als Pilot arbeitet, hat Josie einen Job in einem Tourismus-Büro angenommen.

      Leni: Bei ihr hat sich wenig geändert. Sie besucht die Schule in Redruth und genießt ihre Liebe zu Harry - dem Sohn des Schuldirektors. Ihre Leidenschaft gehört weiterhin der Schauspielerei und natürlich ihrem Hund Rocky.

      Annie und Jack: Sie scheinen das große Glück gepachtet zu haben und lieben sich stärker als je zuvor. Die beiden Herzschlösser haben demnach ihre Zauberkraft nicht verloren und auch Annies Geschäft läuft super. Inzwischen hat sie sich einen guten Namen gemacht und Jack lebt seine Leidenschaft zu Antiquitäten aus. Allerdings befasst er sich seit geraumer Zeit mit dem Gedanken, einem weiteren Geschäftszweig nachzugehen. Ob er Nägel mit Köpfen macht, werden wir sicherlich im Laufe der Geschichte erfahren.

      Wem begegnen wir noch? Rose und Annies Dad Joseph, der keinen Tropfen mehr trinkt und Rose manchmal im Geschäft hilft. Auch Trijn und Hermes sind noch zusammen, die jedoch meistens auf Tour sind und ihr Leben in vollen Zügen genießen.

      Sally ist mittlerweile die beste Kundschaft im eigenen Tattoo-Geschäft und ein Verkaufs-As im Porzellanladen. Amber und Todd lieben das Aloha heiß und innig, das sie ja von Lance und dessen Frau übernommen haben, die sich auf Mallorca ein neues Leben aufbauen.

      Roger und Trish: Die zwei haben nur aufgrund der Unterhaltszahlungen Kontakt miteinander. Sie lebt weiterhin mit seinem Sohn Lucas in Dublin. Allerdings ließ Roger in den letzten zwei Jahren bekanntlich nichts anbrennen und betäubt sich mit Alkohol. Als Chef der Bank nicht unbedingt von Vorteil. Mal sehen, ob er sich besinnt …

       Weihnachten bedeutet: nach Hause kommen .

       In der Heiligen Nacht tritt man gern einmal aus der Tür

       und steht allein unter dem Himmel, nur um zu spüren, wie still es ist,

       wie alles den Atem anhält, um auf das Wunder zu warten.

       Heinrich Waggerl

      19. Dezember 1995, London

Grafik 24

      Emma konnte die alte Eiche vor ihrem Elternhaus bereits von weitem sehen, als sie die verschneite Straße in Greenwich entlangschritt. Fahles Sonnenlicht fiel auf die knorrig verzweigten Äste und ließ die Schneekristalle schimmern, als hätte jemand einen Eimer voller Glitzer über den Baum gestreut. In Emmas Fantasie hatte die Eiche ohnehin Zauberkräfte und oft stellte sie sich vor, dass Elfen darin wohnten, die jeden Wunsch erfüllen konnten.

      Je näher Emma der Eiche kam, desto mehr kribbelte es in ihr. Zu sehr hoffte sie, dass heuer alles anders werden würde. Deshalb nahm sie den Polizeiwagen nur am Rande wahr, der vom Grundstück ihres Elternhauses fuhr.

      Viel wichtiger war ihr neunter Geburtstag und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ein Geschenk von ihren Eltern. So, wie es bei ihren Schwestern Tiffany und Kim der Fall war, deren Geburtstage gefeiert wurden. Sie bekam bisher stets nur den doofen Spruch zu hören: In einigen Tagen ist Weihnachten, da gibt es ohnehin Geschenke.

      Aber Emma wollte nicht auf Weihnachten warten, sondern zu ihrem Geburtstag etwas bekommen. Ein Tag, dem sie förmlich entgegenfieberte. Außerdem könnte sie endlich in der Klasse erzählen, was sich ihre Eltern für sie einfallen lassen hatten. So wie es die Schulkameraden oder ihre besten Freunde Linda und Grant taten.

      „Du bist spät dran!“, begrüßte die Mutter sie, kaum dass Emma die Küche betrat. „Außerdem hast du noch deine Stiefel an. Zieh sie sofort aus. Ich habe gerade alles durchgewischt.“ Emma zögerte und schaute ihrer Mom dabei zu, wie sie im Topf rührte. Es gab Kartoffelsuppe. Ob die Torte im Kühlschrank war? Für Kim und Tiff gab es immer eine. „Wird’s bald, Emma. Ich habe nicht ewig Zeit und muss in einer Stunde in der Innenstadt sein. Deine Tante Camilla veranstaltet eine Lesung und kann jeden Zuhörer brauchen. Tiff und Kim kommen später mit Dad heim. Bis dahin bist du allein. Also kümmere dich in der Zwischenzeit um die Hausaufgaben und mach niemandem die Tür auf, verstanden?“ Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch. „Es schleicht sich allerhand Gesindel in Greenwich herum.“

      „War die Polizei deshalb da?“

      „Du hast sie gesehen?“ Ihre Mutter wirkte plötzlich hektisch. „Nein“, dementierte sie sogleich. „Das hatte einen anderen Grund. Und jetzt mach was ich dir gesagt habe.“

      Emma stand weiterhin wie angenagelt vor ihrer Mutter. Gleich würde sie lachen und sie in die Arme nehmen, um ihr zu gratulieren. Sie konnte unmöglich vergessen haben, wie schlecht es ihr beim letzten Geburtstag gegangen war. Immerhin hatte sie wie ein Schlosshund geweint. Oder war das Geschenk in ihrem Zimmer versteckt?

      Flugs eilte Emma zur Schuhanrichte im Gang und schlüpfte aus den Stiefeln. Wenige Sekunden darauf landete der pinke Schulranzen daneben. „Ich gehe auf mein Zimmer“, rief sie der Mutter durch die halboffene Tür zu und war bereits bei der Treppe.

      „In fünf Minuten wird gegessen“, kam es zurück. „Ach ja: Happy Birthday.“

      Ihre Mom hatte es nicht vergessen!

      Übermütig hopste Emma die Treppen hoch und kaum in ihrem kleinen Zimmer angelangt, ließ sie den Blick durch den Raum schweifen. Die weißen Stores vor dem gekippten Fenster blähten sich. Der Quilt auf dem Bett zeigte keine einzige Falte, die darauf schließen ließ, dass etwas darunter versteckt war. Vielleicht würde sie in den Schubladen fündig? Emma öffnete eine nach der anderen und verdrängte die aufkommende Enttäuschung. Noch hatte sie nicht alles abgesucht!

      Aber weder im Kleiderschrank noch unter dem Bett oder hinter ihrem schneeweißen Lieblingsbären fand sie ein Geschenk. Als die Mutter zum Essen rief, trottete Emma hinunter und setzte sich an den großzügigen Tisch in Stein-Optik, der sich neben der offenen Küche befand.

      Die Mutter stellte den dampfenden Teller vor Emma hin. „Ich muss mich umziehen. Kann ich mich auf dich verlassen?“

      „Ja, Mom.“ Missmutig griff Emma zum Löffel. „Bekomme ich … ähm … nachher mein Geschenk?“ Sie dachte an die Eiche. An die Elfen.

      „Ach, Emma, bald ist Weihnachten. Da gibt es genug Geschenke.“

      „Ich habe aber heute Geburtstag!“, begehrte Emma auf und ließ den Löffel los, der dumpf auf dem Tisch aufschlug. „Kim und Tiff kriegen jedes Jahr etwas. Warum ich nicht?“

      „Du und deine dumme Eifersucht“, fuhr die Mutter auf. „Was ist schon ein Geburtstag? Außerdem gibt es nichts, worüber du dich beklagen könntest. Wir tun alles für euch, also hör auf so undankbar zu sein und nimm dir ein Beispiel an deinen Schwestern. Die dramatisieren nicht laufend jede Kleinigkeit. Vielleicht solltest du deine Nase nicht ständig in Bücher stecken. Das Leben ist nämlich keine deiner Fantasiewelten. Davon abgesehen ist dein Dad ohnehin sauer, dass du mir ständig das Leben schwer machst. Also reiß dich gefälligst zusammen. Es gibt Menschen, die wirkliche Probleme haben.“

      Damit ließ die Mutter sie allein. Emma starrte auf die Suppe, in die hin und wieder eine Träne platschte. Sie hasste Kartoffelsuppe. Vor allem hasste sie Weihnachten, weil dieses blöde Fest an allem schuld war. Aber Hauptsache, dieser Jesus wurde von allen gefeiert. Da kamen sogar drei Könige mit Geschenken vorbei. Blöder Geburtstag!

      Missmutig trug Emma den vollen Teller in die Küche und sah die Mutter wegfahren. Das Funkeln der Eiche war erloschen. Schiefergrau hing der Himmel über dem Baum. Unzählige Schneeflocken wirbelten herab. Emma wünschte sich eine von ihnen zu sein. Irgendwann tauten sie und verschwanden für immer. Als wären sie nie da gewesen. Genauso fühlte sie sich. Als wäre sie nicht vorhanden. Deshalb würde es keinen interessieren, wenn sie die Hausaufgaben nicht machte. Wieso sollte sie? Trotz