Bettina Reiter

Ein fast perfekter Winter in St. Agnes


Скачать книгу

sie nicht anders. Vor allem ihr Geburtstag und Weihnachten waren in dieser Hinsicht äußerst kontraproduktiv. Die Enttäuschung war vorprogrammiert.

      „Im Gegensatz zu Tiff bist du grundehrlich, liebenswürdig und hast ein großes Herz“, ergriff Grant Partei für Emma. „Kim kenne ich zu wenig, aber sie kann dir in dieser Hinsicht ebenfalls nicht das Wasser reichen. Demzufolge gibt es einen riesigen Unterschied zwischen euch.“

      „Grant hat recht“, sagte Linda und lächelte aufmunternd. „Doch statt Trübsal zu blasen, sollten wir feiern gehen.“ Sie trug eine beige Baskenmütze mit aufgenähten Blumen an der linken Seite und einen dazu passenden Kurzmantel. „Deswegen sind wir schließlich gekommen.“

      „Ist Brandon eigentlich von seiner Geschäftsreise zurück?“ Mit gequältem Gesicht streckte sich Grant durch, der plötzlich nervös wirkte.

      „Er kommt morgen.“ Emmas Stimmung sank auf den Tiefpunkt. Tiefer ging es nicht mehr. Seit vier Jahren waren sie ein Ehepaar. Zwischenzeitlich mehr auf dem Papier als in Wirklichkeit. Anfangs hatte Brandon wegen ihres Arbeitspensums oft gemeckert. In den letzten Monaten zeigte er jedoch viel Verständnis. Vermutlich, weil er befördert worden war und daher oft auf Reisen gehen musste. Somit saßen Sie in einem ähnlichen Boot. Umso größer war Emmas Befürchtung, dass sie sich über kurz oder lang auseinanderleben würden. „Ich schätze, wir feiern morgen ein bisschen“, machte sie sich selbst Mut.

      „Du schätzt?“, hakte Linda nach. „Hat er sich nicht gemeldet?“

      Emma schüttelte den Kopf. „Er wird viel zu tun haben.“

      „Und wenn schon. Brandon weiß, wie viel dir der Tag bedeutet.“

      „Ich sollte damit aufhören, meinen Geburtstag so wichtig zu nehmen“, ließ Emma verlauten. „Oder mich selbst. Immerhin bin ich einunddreißig und kein kleines Kind mehr.“

      „Die Kindheit prägt jeden Menschen“, erwiderte Linda. „Du hast mir oft unsagbar leidgetan.“

      Emma schaute zu ihr hoch. „Aber irgendwann muss man darüber hinwegkommen.“

      „Ist das deine Meinung oder Brandons?“ Linda strich sich einige Strähnen aus der Stirn. Sie und Emmas Mann hatten nie das beste Verhältnis gehabt. Ihre Freundin hielt ihn für oberflächlich, woraus sie nie einen Hehl gemacht hatte. Dennoch versuchte sie sich mit ihm zu arrangieren, sofern sie aufeinandertrafen.

      „Du kennst Brandon nicht so wie ich, Linda.“ Abrupt erhob sich Emma und trat vor den Spiegel. „Außerdem hat er es nicht einfach mit mir …“

      „Hör endlich damit auf, dich runterzumachen.“ Linda trat hinter Emma und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Du hast so wenig Selbstbewusstsein, dass es wehtut.“

      Eingehend betrachtete sich Emma. Ihr langes schwarzes Haar trug sie wie üblich zu einem Dutt. Sie war ungeschminkt und hatte eine fahle Gesichtsfarbe. Kein Wunder, sie kam kaum an die frische Luft. Infolgedessen nicht zum Shoppen. Das Geld war ohnehin knapp. So knapp wie die Auswahl in ihrem Kleiderschrank. Deshalb trug sie seit Jahren dasselbe: Weite Jeans, weite T-Shirts, noch weitere Pullis und flache Schuhe. Für die Arbeit genau das Richtige wie die Rüschenschürze mit dem Familienemblem auf der Brusttasche. By Eclaires stand in grüner Schrift darauf. Der Vater hatte seine Laden-Kette nach ihrer Mutter Claire benannt. „Ich dachte immer, dass alles gut werden würde, sobald ich verheiratet bin“, bekannte Emma. „Dass ich nur den einen Menschen brauche, der mich liebt, um mit der Vergangenheit abschließen zu können. Dennoch kommt ständig alles wie ein Bumerang zurück. Das ist schwierig für Brandon. Noch dazu bin ich ein Workaholic und sehe dementsprechend aus.“

      „Das kannst du jederzeit ändern“, mischte sich Grant ein, dessen Blick Emma im Spiegel auffing. „Nimm deinen Geburtstag zum Anlass und fang ein neues Leben an. Befrei dich von der Sklaverei, die du Arbeit nennst. Kehr allen den Rücken, die dich seit Jahren piesacken und nicht einmal davor zurückschrecken …“ Er brach ab.

      Prüfend musterte Emma sein finsteres Gesicht, bevor sie sich umwandte. „Die nicht einmal wovor zurückschrecken, Grant?“ Ihre Freunde senkten beinahe gleichzeitig den Kopf. „Was ist hier los?“

      Ein Ruck ging durch Lindas Gestalt, bevor sie den Kopf hob. „Brandon betrügt dich.“

      Drei Worte. Nur geflüstert. Trotzdem fühlten sie sich an, als hätte soeben eine Bombe eingeschlagen, die einen tiefen Krater in Emmas Herzen hinterließ. „Spinnst du komplett?“, unterstellte sie ihrer Freundin mit krächzender Stimme. „Wie kommst du auf diesen Blödsinn?“

      „Sorry. Ich hätte das nicht sagen sollen.“

      „Aber du hast es getan.“ Emma sah ihrer Freundin an der Nasenspitze an, wie entsetzt sie über sich selbst war. „Woher hast du diesen Humbug?“

      „Aufgeschnappt“, behauptete Linda mit unsicherem Blick zu Grant.

      „Von wem? Tiffany? Oder Kim? Erzählen meine Schwestern diese Lügen herum?“

      „Sie tun nichts dergleichen und damit sollten wir das Thema beenden. Vor allem an deinem Geburtstag.“ Linda strich sich glättend über den Mantel. „Himmel, ich könnte mich dafür ohrfeigen, dass ich damit angefangen habe!“

      „Eben. Du hast damit angefangen. Nun solltest du Klartext reden.“ Emma spürte, dass sie zitterte. „Immerhin habe ich ein Recht darauf zu wissen, wer hinter meinem Rücken solche Märchen verbreitet.“

      „Emma … ich habe … Brandon selbst gesehen. Er ist in der Stadt.“ Linda hatte Tränen in den Augen. „Vor einigen Stunden machte ich Weihnachtseinkäufe“, fuhr sie fort. „Dabei entdeckte ich ihn. Er kaufte einen Ring bei einem teuren Juwelier.“

      „Schön. Ich habe Geburtstag“, warf Emma ein, die sich fragte, woher er das Geld haben sollte. War er hinter ihr Notfallkonto gekommen? Nein, das würde er weder angreifen noch war er berechtigt, etwas abzuheben. Allein aus diesem Grund musste es sich um eine Verwechslung handeln. Oder hatte er sich Geld geliehen? Um ihr heuer eine besondere Überraschung zu bereiten, die so viel Planung erforderte, dass er seine Rückkehr geheim hielt, um in London einiges zu organisieren.

      „Hast du in den letzten Monaten Rosen bekommen? Oder einen hübschen roten Kapuzenmantel?“, hielt Linda an ihrer Behauptung fest und die Unsicherheit war plötzlich wie weggeblasen. Übrig blieb eine zutiefst wütende Frau. „Der Typ ist so dämlich und kauft in meinem Viertel ein“, redete sie sich in Rage, als hätte sie monatelang darauf gewartet, sich Luft zu verschaffen. „Obwohl er weiß, dass ich dort lebe und arbeite. Außerdem übernachtet er im nobelsten Hotel. Das weiß ich aus erster Hand, weil ich ihm gefolgt bin und da ich den Concierge kenne, erfuhr ich, dass Brandon wiederholt mit seiner Frau ein Zimmer mietet. Exakt zur selben Zeit, wenn er angeblich auf Geschäftsreise ist.“

      „Du musst dich irren.“ Emma zog sich den Hocker heran und setzte sich. Sonst wäre sie umgefallen. „Brandon würde mir das nie antun. Er weiß, wie sehr ich ihn liebe.“

      „Bevor Linda ihn zum ersten Mal in der Stadt gesehen hat“, sprang Grant ihrer Freundin zur Seite, „kamen uns Gerüchte zu Ohren. Wir hielten sie für Nonsens. Immerhin wissen wir alle, wie viel aufgebauscht wird. Umso schlimmer ist es, dass die Leute nicht gelogen haben.“

      „Stopp!“, rief Emma mit Wut im Bauch aus. „Was reimt ihr euch da zusammen? Es kann jeder gewesen sein, der Brandon ähnlich sieht. Oder hast du ihn zur Rede gestellt, Linda?“ Atemlos starrte sie auf deren blasse Lippen.

      „Ich habe ihn nur von weitem beobachtet. Aber da ist die Sache mit dem Hotel …“

      „Wofür es sicher eine plausible Erklärung gibt und bevor ich nicht mit Brandon gesprochen habe, glaube ich keinem ein Wort. Selbst euch nicht!“, griff Emma sie an. „Sobald mein Mann sämtliche Vorwürfe aus der Welt geschafft hat, könnt ihr euch übrigens bei uns entschuldigen!“

      „Ich weiß, was ich gesehen habe. Und du weißt, wo du mich findest, wenn du mich brauchst“, blieb Linda uneinsichtig. „Trotz allem bin ich froh, dass