Antwort.
„Danke für Ihre Ehrlichkeit.“
„Ich zähle nur eins und eins zusammen.“ Er schwieg kurz. „Ihr Freund?“
„Mein Ehemann.“ Emma griff nach der Flasche und trank ausgiebig. Aber um sich zu betäuben, würde sie Hochprozentigeres brauchen. „Sind Sie aus London?“ Fest umklammerte sie die Flasche und unterdrückte ein Rülpsen. Scheiß Kohlensäure. Scheiß Brandon!
„Nein. Ich wollte mir ein paar schöne Tage machen.“
„Hat super geklappt“, zog sie seine Aussage ins Lächerliche, obwohl sie das nicht wollte. „Sie stehen hier oben mit einer Frau, die Lust hat, sich sinnlos zu besaufen. Nebenbei lädt sie ihren ganzen Frust bei Ihnen ab und hat keine Hemmungen, Sie vom Dach zu stoßen, weil sie zu einer Gattung gehören, von der sie die Nase gestrichen voll hat.“
„Tja, insofern haben sich die zwei Richtigen getroffen“, konterte er. „Frauen können mir ebenfalls gestohlen bleiben. Also halten Sie sich gut fest. Womöglich stürzen Sie vor mir in die Tiefe.“
„Darauf trinke ich.“ Emma hob die Flasche in die Höhe, dann rieselte das Kribbelwasser ihre Kehle hinunter. Allmählich spürte sie, wie sich ein warmes Gefühl in ihr ausbreitete und sich die Stadt verzerrte. Vielleicht reichte der Sekt doch? „Sind Sie mit dem Auto da?“, kam ihr plötzlich eine Idee, während sie sich die Flasche an die Brust drückte.
„Ja, warum fragen Sie?“
„Leihen Sie es mir?“, bat Emma.
„Bestimmt nicht. Sie haben getrunken.“
„Dann fahren Sie mich. Ich zahle natürlich.“
Der Unbekannte begradigte sich. „Wollen Sie zu ihm?“
Emma nickte und fuhr sich tastend über den Dutt. „Ich brauche Gewissheit“, flüsterte sie. „Und muss mit eigenen Augen sehen, dass es so ist. Sonst erzählt er mir wer-weiß-was und ich dumme Pute wäre imstande ihm zu glauben. Weil ich leider Gottes so gemacht bin. Bloß keine Konfrontation, immer schön kuschen, um die Harmonie nicht zu zerstören. Dabei sollte ich endlich aufwachen. Immerhin musste ich bisher auf die harte Tour lernen, dass das Gute nicht immer siegt, so wie die Hoffnung manchmal schon gestorben ist, bevor man sie fühlt.“
Er räusperte sich. „Ich will mich nicht in Ihr Leben einmischen, aber gelegentlich sollte man eine Nacht darüber schlafen, um klarer zu sehen.“
„Irrtum. Manches wird selbst nach tausend Stunden Schlaf nicht klarer.“ Emmas Schultern sanken herab. „Wollen oder können Sie mir nicht helfen?“
„Wir kennen uns erst seit zehn Minuten! Haben Sie keine Freunde?“
„Natürlich, aber sehen Sie einen von ihnen?“, keifte Emma. „Momentan sind Sie mein einziger und könnten ruhig für mich da sein.“
Ein genervtes Seufzen war die Antwort. „Wissen Sie denn, wo er ist?“, schob er wenig begeistert nach.
„Ich nicht. Jemand anders schon …“
„Ich fühle mich, als würden wir einen Verbrecher observieren“, offenbarte der Unbekannte, nachdem sie unweit vor dem Noblesse-Hotel geparkt hatten. Die Scheiben seines blauen Hondas waren angelaufen. Dank des Gebläses, das auf Hochtouren lief, hatten sie jedoch bald klare Sicht.
„Das tun wir ja auch“, antwortete Emma abwesend. „Wir observieren meinen zukünftigen Ex-Mann und Verbrecher der übelsten Sorte.“ Sie hielt die inzwischen leere Sektflasche fest, als wäre sie ein Rettungsanker. Der Anruf bei Linda hatte sie jede Menge Mut gekostet. Sie abzuwimmeln noch viel mehr, denn die Freundin wollte sofort zu ihr. Doch Emma brauchte keine Zeugen und keinen, der ihr zu Hilfe eilte. Da musste sie alleine durch. Allerdings war die Theorie ein Ponyhof gegen die praktische Absicht, Brandon stellen zu wollen. Kein Wunder, dass sie die Prickelbrause förmlich in sich hineingeschüttet hatte und sich nun mit den Nebenwirkungen herumplagte. Zuerst hatte sie einen Schluckauf gehabt, jetzt stellte sich leichter Kopfschmerz ein. „Dafür wird er büßen, das schwöre ich Ihnen.“ Zwar zählte der Unbekannte ebenfalls zu einem Zeugen, aber im besten Fall würden sie sich danach nie wiedersehen.
„Noch fehlen Ihnen die Beweise.“ Natürlich half diese Spezies im Notfall zusammen! „Er könnte den Fernseher angehabt haben. Schon mal daran gedacht?“
„Oder er betrügt mich schlicht und ergreifend“, stellte Emma fest und hörte selbst, dass sie ihre Zunge nicht mehr ganz unter Kontrolle hatte. „Heuchelt mir Verständnis für meine Arbeit vor, um freie Bahn zu haben. Von wegen, er hat so viel zu tun und weiß nun, wie es mir geht.“
„Sie sind betrunken und obwohl ich mich ungern wiederhole, rate ich Ihnen lieber ins Bett zu gehen. Morgen sieht die Welt sicher anders aus. Abgesehen von Ihrem Kater.“
„Der ist im Augenblick mein geringstes Problem.“ Emmas Blick heftete sich auf die Leuchtreklame. Das grelle Licht schmerzte in den Augen wie der Gedanke an Brandons möglichen Betrug ihr Herz verletzte. Aber tat sie tatsächlich das Richtige? Hatte der Mann womöglich recht und sie sollte lieber nach Hause fahren? Andererseits hätte sie morgen keinen Mumm mehr, um sich der Situation zu stellen. Weil sie in jeder Lebenslage bevorzugt die Augen verschloss. Konnte es sein, dass sie deshalb viele Zeichen übersehen hatte? Im Grunde lebten Brandon und sie wie Geschwister zusammen, tauschten weder Zärtlichkeiten aus noch hatten sie übermäßig viel Sex. Und wenn, war er vorbei, bevor sie bis drei zählen konnte. Meistens war sie von der Arbeit ohnehin so kaputt, dass sie sogar froh darüber war, wenn er sich danach zur Seite drehte und einschlief.
„Worauf habe ich mich bloß eingelassen“, verschaffte sich ihre neue Bekanntschaft Luft. Dabei rieb er die Hände aneinander, als wäre ihm kalt. „Sollen wir die ganze Nacht warten oder wie haben Sie sich das vorgestellt, Sherlock?“
„Keine Ahnung, Watson.“ Trotz der ernsten Situation musste sie lachen. „Aber ich habe nicht vor, mir in Ihrem Auto den Allerwertesten abzufrieren.“
„Sondern?“
„Ich werde in das Hotel stürmen und nach Brandons Zimmernummer fragen.“ Nur der Gedanke daran verstärkte ihr Kopfweh.
„Die man Ihnen natürlich sofort gibt.“
„Habe ich schon erwähnt, dass ich Sarkasmus hasse?“, ärgerte sie sich. Schon wieder wurde sie von seiner Vernunft gestoppt, obwohl sie erneut Fahrt aufgenommen hatte.
„Und ich hasse Aktionen wie diese. Eigentlich wollte ich in Ruhe über mein Leben nachdenken. Nun befinde ich mich mitten in einem Ehe-Krimi.“
„In London müssen Sie mit allem rechnen und …“ Emma unterbrach sich, weil sie auf ein Pärchen aufmerksam wurde, das Arm in Arm auf den Eingang des Hotels zu schlenderte. Die Frau wurde vom Licht erfasst. Sie trug einen roten Kapuzenmantel! Sofort musste Emma an Lindas Aussage denken und in der nächsten Sekunde mitansehen, wie der Mann die Frau an sich zog und hingebungsvoll küsste. Wie hypnotisiert starrte Emma auf die Liebenden und hatte ein untrügliches Gefühl im Bauch.
Beinahe mechanisch öffnete sie die Tür und stieg aus. Ihre Beine fühlten sich an wie Blei, als sie auf das Pärchen zuging. Die Frau stand mit dem Rücken zu ihr. Der Mann fuhr mit seinen Händen zärtlich über ihre Schultern. Sein Goldring blitzte auf.
„Ich liebe dich“, hörte Emma ihn sagen, als sie sich voneinander lösten. Eine Stimme, die sie unter Tausenden erkannt hätte. Brandons Stimme! Und weil ihn das Licht nun ebenfalls erfasste, bekam sie das Gesicht gratis dazu. „Deshalb werde ich morgen mit Emma reden. Nach unserem Telefonat ist sie ohnehin im Bilde und sogar sie wird kapiert haben, was Sache ist.“
„Wie recht du hast“, entfuhr es Emma, deren Herz raste wie sie am ganzen Körper zitterte. Voller Wut und Enttäuschung über einen Betrug, für den sie keine Worte fand. Obwohl die Zeichen für seine Affäre untrüglich gewesen waren, traf sie seine Aussage dennoch,