Antje Maria T. Frings

Gesternland


Скачать книгу

n id="u46b534b7-5cab-599a-8ce9-fc80cdb10415">

      Antje Maria T. Frings

      Gesternland

      Dieses ebook wurde erstellt bei

       Verlagslogo

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       1.Fernweh

       2.Sharjah Police-Department

       3.Expat-Enklave: Arabian Ranches

       4.Einweihungsparty in Mirdif

       5.Begegnungen

       6.Kochkurs

       7.Expat-Alltag

       8.Ausflug in die Wüste

       9.Sveas Affaire

       10.Karama

       11.Gartenparty

       12.Glaubensfragen

       13.Aufbruch

       14.Abschied

       Impressum neobooks

      1.Fernweh

      Nadja beugt ihre Schultern vor, zieht die Vorderseiten der grauen Alpaka-Strickjacke übereinander und verschränkt die Arme. Sie schaut durch das weiße Sprossenfenster in den Garten. Kraftlos vegetiert der moosdurchsetzte Rasen vor sich hin. Die Blätter der alten Bäume und mannshohen Büsche haben sich bunt verfärbt. Nur noch wenige Wochen und die Bäume werden wie Mahnmale im Garten stehen. Dann passt das graue Licht dazu. Oder wird es nur noch einige Tage dauern, bis das letzte Laub abgeworfen ist? Sie erinnert sich nicht mehr genau. Zu lange ist ein Herbst her, den sie in Deutschland verbracht hat. Zu viel ist geschehen, dass sie sich an diese Jahreszeit erinnern könnte. Und eigentlich will sie sich auch nicht erinnern.

      Hinter dem bedeckten Himmel steckt irgendwo die Sonne. Die Sonne, die woanders auf der Welt genau jetzt zu diesem Zeitpunkt strahlend scheint. Was würde sie darum geben, die Zeit zurückdrehen zu können. Warme Sonnenstrahlen auf der Haut spüren, orangefarbenes Licht hinter d en geschlossenen Augen wahrnehmen und sich leicht und lebendig fühlen. Stattdessen schleppt sie sich schwer und träge in die Küche, stellt den Wasserkocher an und bereitet eine Kanne für schwarzen Tee vor. Sie lächelt. Wie oft hat sie in den vergangenen Jahren morgens Tee gekocht und Mohamad davon in einer Thermoskanne mitgebracht, wenn sie zum Schwimmen an den Pool ging. Er hat sich jedes Mal über die Geste gefreut. Den Tee hingegen hatte er kritisiert. Zu dünn oder zu lange gezogen oder die Bergamotte-Note im Earl Grey passte ihm nicht. Sie hatte sich darüber immer amüsiert. Bei grauem Novemberhimmel und nasskaltem Wind hätte sie sich dagegen maßlos geärgert und den Tee-Service sofort eingestellt. Er hatte sich auch immer gefreut, sie frühmorgens zu sehen. Eine der wenigen Bewohnerinnen der Community, die sich auf Augenhöhe mit dem Lifeguard unterhielt. Die ihm das Gefühl gab, nicht nur Service-Personal zu sein. Und sie? Sie hatte den fremdartigen Einfluss in ihrem Leben genossen. Vielfältige Freundschaften – nicht nur hinsichtlich der geografischen Herkunft.

      ‚I don’t feel comfortable to keep in touch with you.‘ Nadja lässt sich seine letzten, an sie gerichteten Worte auf der Zunge zergehen. Du biegst Dir deine Welt, wie sie Dir gefällt. Ich hätte allen Grund gehabt, den Kontakt zu beenden! Ich, nicht Du! Wäre so etwas wie eine Freundschaft überhaupt jemals möglich gewesen? Nach all dem? Eine Freundschaft zwischen einer Christin und einem Moslem?

      Sie greift zu ihrem Handy. Der WhatsApp-Info zu urteilen war Rebecca bereits online. „Ich bin‘s Nadja.“ Nadja stellt sich vor, wie Rebecca verschlafen im Yoga-Outfit ihre Sonnengrüße in Angriff nimmt und dieser Anruf das Vorhaben gerade vereitelt.

      „Ich ruf Dich in zehn Minuten zurück.“

      „Ich freu mich darauf!“ Sie meint es ernst und schenkt sich lächelnd eine Tasse Tee ein. Der Geruch katapultiert sie augenblicklich wieder zurück. In die räumlich und zeitlich ferne Welt. Nicht die real gemessene Zeit, mit einem aktuellen Zeitunterschied von drei Stunden. Die gefühlte Zeit, die sie glauben lässt, ihr Leben dort muss lange her gewesen sein oder vielleicht auch nur geträumt. Der durchdringende Telefonton reißt sie aus ihrem Versunkensein. +41 – die Schweizer-Vorwahl.

      „Bist Du mit deinem Yoga-Programm schon durch?“

      „An Yoga ist momentan gar nicht zu denken. Der Morgen ist dem Baby vorbehalten. Und der süße Fratz hat für mich derzeit kein morgendliches Yoga vorgesehen.“

      „Lass uns zusammen in die Emirate fliegen!“

      Rebecca verschluckt sich, ringt nach Luft und räuspert sich. „Fernweh, meine Liebe?“

      „Ich weiß nicht…. Vielleicht…Ich glaube schon. Und ich wollte deine Stimme hören.“

      „Meine Stimme gibt es nur noch im Doppelpack: hör mal…“ Nadja hört zufriedenes Gebrabbel und Gegluckse.

      „Pack ihn ein, nimm ihn mit. Wird höchste Zeit, dass er alles dort kennenlernt. Seinen Zeugungsort.“

      Stille.

      „Du hast Nerven!“

      „Ich meine es ernst. Wir besuchen Nina.“ Nadja lächelt bei dem Gedanken an Nina und ist sich in dem Moment hundertprozentig sicher, dass sich Nina über nichts mehr freuen würde. „Nina, Du und ich – wir drei. Als wäre keine Zeit vergangen, alles so wie früher. Ich komme mit dem Direktflug ‚Hamburg – Zürich‘ und hole Dich ab.“

      „Nadja, nichts kann mehr so sein wie früher. Nach all dem was passiert ist. Und Du weißt auch, dass ich mir meinen gegenwärtigen Alltag anders vorgestellt habe. Bei Dir ist alles glimpflich ausgegangen. Überlege mal, was damals hätte passieren können. Dann wärst Du froh gewesen, noch rechtzeitig nach Deutschland zu kommen. Hast Du das denn alles vergessen?“

      Ein Kloß macht sich in Nadjas Hals breit.

      Wieder Stille.

      „Nadja, es tut mir leid, ich lebe im Hier und Jetzt. Alles andere war gestern.“

      Langsam lässt Nadja den Telefonhörer sinken. Sie scheint in ein Scheinwerferlicht zu starren.

      2.Sharjah Police-Department

      Reflexartig kneift sie die Augen zusammen. „Was ist das?“

      „Bolice! Fahr los!“

      Vorsichtig blinzelt sie. Der grelle Scheinwerferstrahl leuchtet direkt in ihr Gesicht und schmerzt in den Augen. Ihre Gedanken erhalten einen Turbo-Boost, alle gleichzeitig, in Bruchteilen von Sekunden. Durchatmen. Sortieren. Sie schließt die Augen und atmet. Warum fällt den Arabern die Unterscheidung von B und P nur so schwer?