Antje Maria T. Frings

Gesternland


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Überdachung. Eine Überdachung aus weißem gewölbtem Plastik, den beduinischen Zeltplanen einer Oase nachempfunden. Die Lampe hat Nadja bei Lucky’s, einem Möbelgeschäft für importierte indische Möbel im Nachbaremirat Sharjah erstanden, zusammen mit dem lebensgroßen, hölzernen Maharadscha, der jetzt auf der oberen Stufe den Eingang bewacht. Später entdeckte sie für östliche Deko-Gegenstände das Antique-Museum, in das sie Nina nur einmal hineinschleppen konnte. In brütender Hitze bei schummrigem Licht fiel es beiden schwer, verstaubte Gegenstände zu identifizieren. Dafür ließ sich handeln, wie auf einem Bazar, und das hatte zweifelsohne einen exotischen Reiz.

      Henny telefoniert. Energisch schließt Nadja die Tür des Arbeitszimmers und hastet die Treppe hinunter. Fred und Alexander hocken nebeneinander auf dem Sofa und schauen gebannt in den Fernseher. Der flüchtige Blick über das Treppengeländer bestätigt Nadjas Vorahnung: Tom und Jerry. „Habt ihr gegessen?“ Die Jungs reagieren nicht. Ist okay. Ich bin gar nicht da. Ignoriert mich. Lasst mich ruhig alle im Stich – kurz vor der Feier. Nadja inspiziert die Küche, bewahrt durch schnelles Umrühren das thailändische Essen in den Edelstahlwannen vor dem Anbrennen, öffnet schließlich den Kühlschrank und greift nach einer Flasche Prosecco. Es ploppt. Sie schenkt sich ein Glas ein, schaut zwischen den Holzlamellen am Küchenfenster auf die bunt leuchtende Lampe im zubetonierten Vorgarten, hebt das Glas und prostet der Laterne zu: „Auf eine gelungene Feier!“ Langsam und genussvoll lässt sie den perlenden Wein die Speiseröhre hinunterlaufen, setzt ab und wieder an. Sie stellt das leere Glas auf die dunkle Granit-Arbeitsfläche und geht ins Wohnzimmer zurück. „Wenn die Gäste kommen, macht ihr die Glotze aus.“ Prompt klingelt es an der Tür.

      Abigail und Jack stehen vor ihr. Beim Einkaufen hätte ich sie ohne ihren riesigen Sonnenhut nicht wiedererkannt, denkt Nadja. „Schön, dass ihr da seid.“

      Abigail lächelt. „Vielen Dank für die Einladung.“ Und hält Nadja zwei Schalen entgegen.

      „Hmmm…das sieht lecker aus und duftet herrlich, vielen Dank.“ Rückwärts geht sie den engen Flur entlang bis zur Küche.

      „Das ist ja lustig. Ich dachte, die Häuser hätten alle den gleichen Grundriss. Bei uns kommt man durch die Haustür sofort ins Wohnzimmer. Direkt und unmittelbar.“

      „Na, da fällt man dann wohl mit der Tür ins Haus.“ Nadja schließt kurz die Augen, was rede ich, wo bleibt Henny, ich hasse Small-Talk und ich will und kann das jetzt auch nicht. Sportlich-dynamisch tänzelt Henny die Treppe herunter. „Habt ihr auch so eine schlechte Internet-Verbindung?“ Er reicht erst Abigail, dann Jack die Hand. „Hallo überhaupt erst mal.“ Er lächelt und erklärt übergangslos, „seit einer Woche telefoniere ich jeden Tag mit Etisalat aber es passiert… nichts.“

      „Willkommen in Dubai.“ Jack grinst. „Ein wochenlanges Unterfangen!“

      Henny runzelt die Stirn. „Läuft das Internet bei euch denn jetzt?“

      Jack nickt. „Nahezu einwandfrei.“

      „Das lässt mich hoffen!“ Henny lacht. „Was mögt ihr trinken?“

      Alle vier haben sich in die Küche vorgearbeitet. Aus dem Wohnzimmer klingen weiterhin die typischen Cartoon-Geräusche. Nadja stellt die Schüsseln auf die noch freien Flächen der Arbeitsplatte. Henny öffnet den Kühlschrank, schaut auf den Verschluss der Prosecco-Flasche, sucht mit den Augen die Anrichte ab und stolpert über ein benutztes Glas. Nadjas und sein Blick treffen sich. Er nimmt ein Sektglas vom vorbereiteten Gläsertablett und füllt es für Abigail. Nadja nimmt ihm die Flasche aus der Hand und schenkt sich nach. Mit routiniertem Handgriff greift Henny zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank und streckt Jack eines entgegen. „Auf gute Nachbarschaft!“

      Ein harmonisch, warmes Klingeln unterbricht die lebendiger werdende Unterhaltung in der Küche. Der Klingelton passt nicht zur Beleuchtung, denkt Nadja während sie zur Haustür geht und öffnet. Das Paar aus dem alleinstehenden Haus ist da. Am späten Nachmittag hatte Nadja das Bobby-Car-Rennen zwischen deren Sohn und Fred im Hinterhof beobachtet. Fred sauste vergnügt und für ein Bobby-Car in beachtlicher Geschwindigkeit vor der Umzäunung des Pools entlang. Dem anderen Jungen war das nicht geheuer gewesen. Er hatte immer wieder zu weinen angefangen und war schließlich zu seiner Mutter gelaufen. Nadja hatte gesehen, wie seine Mutter in die Hocke ging, ihren Sohn in den Arm nahm und mit ausgestrecktem Finger auf Fred zeigte. Dann erhob sie sich und ging mit ihrem Kind an der Hand zu Fred, baute sich vor ihm auf und redete auf ihn ein, was Nadja leider nicht verstehen konnte. Sie sah nur, wie Fred nickte. Und diese sich Kinderspiele einmischende Frau steht jetzt mit ihrem Mann vor mir, denkt Nadja, vor uns. Nadja weicht ein wenig zur Seite, soweit es der Flur zulässt. Henny eilt aus der Küche hinzu.

      „Hallo, ich bin Inja.“

      „Hi Inja.“

      „Carl und Fred haben sich ja schon kennengelernt, nicht wahr. Wie geht es euch? Schon eingelebt?“

      „Nadja, ich heiße Nadja, das ist mein Mann Henny.“ Nadja zeigt auf Henny, der bereits mit Injas Mann in ein Gespräch vertieft ist.

      Inja deutet mit einer Handbewegung auf den Mann an ihrer Seite. „Jasper, mein Mann.“

      In jetzt neu formatierten Zweierreihen schieben sie sich durch den Flur und Inja ruft in die Küche, „Abigail, begeisterst Du mal wieder mit kulinarischen Köstlichkeiten?“

      Nadja steht, sich etwas überflüssig fühlend, in der Küchentür und eilt zur Haustür als es erneut klingelt. Niemand da. Sie durchquert den kleinen Hof und öffnet die Tür zur Straße mit blickdichter, gelber Plastikscheibe, die bei jeder Bewegung in ihrer schmiedeeisernen Einfassung scheppert.

      Auf dem Sandstreifen zwischen Straße und Mauer steht eine kleine blondierte Frau im Stil der ausklingenden 80er gekleidet, obwohl sie dafür zu jung wirkt. Sie versteckt sich hinter einem gewaltigen Blumenbouquet. „Eileen, bist Du es?“ Nadja kann sich das Lachen nicht verkneifen. Der Prosecco wirkt langsam. „Schön, dass es geklappt hat!“

      „Ist ja nur einmal über die Straße.“ Eileen lächelt gewinnend, ungekünstelt, herzlich. Sie wirkt trotz dieser ganzen russischen Aufmachung erstaunlich natürlich, fast kindlich, denkt Nadja.

      „Dein Mann ist bei Konstantin geblieben?“

      „Nein, der ist gerade in Deutschland. Aber wir haben seit zwei Wochen eine Maid.“

      „Ehrlich?“ Nadja zieht die Stirn hoch. „Bei euch im Haus?“

      „Ja, ganz klassisch. Sie stammt aus Manila.“ Eileen streckt Nadja nun lächelnd die Blumen entgegen.

      „Wow, welch‘ üppiger Strauß. Kennst Du die anderen aus unserem Compound schon?“

      „Inja treffe ich manchmal auf der Straße. Sie ist dann eigentlich immer gerade auf dem Sprung und unter Zeitdruck. Wirkt zumindest jedes Mal so gehetzt, dass ich ihr kein Gespräch aufdrängen mag.“

      Nadja nickt, passt.

      Während sie sich den Flur entlang arbeiten, dreht sich Eileen zu Nadja um. „Arbeitest Du auch?“

      „Housewife – not allowed to work. So steht es in meinem Pass.“ Nadja grinst.

      Inja steht in der Türöffnung zur Küche und zieht die Augenbrauen hoch. „Also, mir würde die Decke auf den Kopf fallen. A propos Decke, das ist ja mutig, wie Du das Haus eingerichtet hast. So orientalisch. Sehr gewagt. Gefällt mir.“

      „Das hat mir wirklich auch sehr viel Spaß gemacht. Ich mein das Einrichten. Alles wohnlich zu gestalten – damit sich alle wohl und zu Hause fühlen.“

      Injas Blick verfängt sich in dem halben Meter überschüssigen Vorhang im Ornamentmuster, der auf den kalten Bodenfließen Wellen schlägt und schaut dann auf gestapelte Umzugskartons in der Wohnzimmerecke. „Du musst mal zu uns kommen, wir haben es ganz puristisch gehalten. Allein dieser Kontrast bringt eine arabische Villa ganz besonders zur Geltung.“

      Nadja mustert Inja von Kopf bis Fuß. Und wartet ab. Lässt sacken. „Machst Du beruflich etwas mit Design?“