Antje Maria T. Frings

Gesternland


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Baby.

      Nadja schluckt, so etwas habe ich hier noch nie erlebt.

      Das asiatische Mädchen hat kurzgeschnittenes, struppiges Haar. Das Baby ist hingegen groß und kräftig. Nadja beugt sich über das Bündel, atmet geräuschvoll aus und lässt die Schultern fallen. „Konstantin will nicht schlafen?“

      Mit Tränen in den Augen schüttelt die Filipina den Kopf. „Ich habe alles versucht.“ Die Tränen beginnen zu fließen. Sie flüstert, „ist Mam hier?“

      Nadja holt tief Luft, streckt ihren Arm aus und will ihr über die Schulter streichen, aber das Mädchen zuckt und tritt einen schnellen Schritt zurück.

      „Wie heißt Du?“

      Sie schaut auf den Boden. „Mali.“

      „Du scheinst erfahren mit Babys. Bist Du selber auch schon Mama?“

      Energisch schüttelt Mali den Kopf. „Nein, Ma’am.“ Sie zögert und stammelt, „aber ich habe viele Erfahrungen. Mit Babys, Putzen, im Haushalt. Ich bin immer fleißig.“

      „Das glaube ich Dir, Mali. Ich hole Eileen.“

      Mali nickt.

      Nadja findet Eileen auf der Terrasse in einer angeregten Unterhaltung mit Abigail. „Eileen, Deine Maid steht mit Konstantin vor der Tür.“

      Eileens Gesichtszüge erstarren. „O Gott, sie ist mit ihm allein über die Straße gekommen?“ Der Terrassenstuhl fällt um, als Eileen aufspringt und sich an Nadja vorbei durch die Terrassentür drängt.

      Nadja ruft ihr hinterher, „es ist nichts passiert. Er ist nur aufgewacht.“

      Eileen schiebt sich durch das Wohnzimmer, bahnt sich ihren Weg durch die Gäste und die vielen sperrigen Möbelstücke.

      Nadja schüttelt ihren Kopf. „Steht da plötzlich ein Kind mit Baby auf dem Arm vor mir.“ Sie legt ihre Hand an die Stirn, Daumen und Finger drücken ihre Schläfen, und schließlich läuft sie Eileen hinterher.

      Als sie in den Hof kommt, drückt Eileen ihren Sohn fest an sich. Mali steht abseits und starrt auf den Boden.

      Mit Tränen in den Augen schaut Eileen von Konstantin auf. „Mali, Du hättest mich anrufen müssen.“ Trotz Tränenschleier funkelt es jetzt aus ihren Augen. „Und nicht einfach kopflos mein Kind nehmen und nach draußen gehen.“

      Nadja beobachtet, wie Mali schützend ihre Hände über den Kopf hält. „Ma’am, I’m so sorry.“ Mali ringt nach Luft und beginnt zu schluchzen. Sie hält abwechselnd beide Hände vor ihr Gesicht und wieder über ihren Kopf.

      Nadja schaut von Mali zu Eileen. Mit fester Stimme fragt sie: „Eileen, wo drückt eigentlich dein Schuh?“

      Eileen schließt die Augen und legt ihren Kopf in den Nacken. „Ich hätte sie nicht zu uns holen dürfen. Seither ist Angst mein ständiger Begleiter.“

      „Wovor hast Du Angst?“

      Eileens Körper beginnt zu beben, sie weint, holt Luft und presst hervor, „ich habe solche Angst, dass Konstantin etwas zustößt. Dass er entführt wird, wenn sie Mali finden.“

      „Warum sollte das passieren? Wer will Mali finden?“

      „Ihr früherer Arbeitgeber sucht sie. Sie ist abgehauen…in einer Nacht- und Nebelaktion ist sie aus einer emiratischen Familie geflohen.“

      Mali senkt die Hände. Ein fleckig verweintes Kindergesicht mit struppigem Haar kommt zum Vorschein.

      Stefan lehnt an der Hauswand neben dem Maharadscha und steckt sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Er greift in seine Hosentasche und zieht ein Feuerzeug heraus. Als er die Flamme an die Zigarette hält, schaut er auf, blickt in Nadjas Gesicht. Sie halten Blickkontakt und Stefan schüttelt langsam mit demn Kopf.

      Und plötzlich stolpert eine wohlduftende antilopenhafte Gestalt in seine Seite. Zula ist auf den Stufen vor der Haustür auf ihren High Heels umgeknickt. Eine entkorkte Flasche Champagner fest am Flaschenhals umklammernd. Reflexhaft fängt Stefan sie auf und hält sie am Arm fest. Als sie schwankend Stabilität erlangt, lockert er seinen Griff. „Geht’s? Gefährlich diese Stufen.“

      Michael folgt und lallt, „die Frau will jeder im Arm halten!“ Laut lachend schlägt er mit der flachen Hand Stefan zwischen die Schulterblätter. Stefan öffnet den beiden schweigend die Tür zur Straße. Auf dem Sandstreifen vor dem Haus parken mehrere Autos. Michael wählt den Porsche Cayenne und die beiden brausen davon.

      Nadja und Stefan gucken sich wortlos an. Nadja zuckt mit den Schultern. Stefan deutet mit einem Fingerzeig auf Eileen und Mali und räuspert sich dann. „Ich kann euch gern nach Hause begleiten.“

      Eileen schaut auf, wartet und nickt schließlich.

      Sehr behutsam schließt Nadja die Tür hinter ihnen, und trotzdem klappert die Plastikscheibe. Sie setzt sich auf die Stufen vor der Haustür. Die Laterne flackert noch einmal auf und erlischt. Sie schaut in den dunklen Himmel. Kein Stern am Firmament. Nadja fühlt neben sich etwas auf der Treppe, greift nach Stefans Zigarettenschachtel und steckt sich eine Zigarette an.

      5.Begegnungen

      Nadja steckt ihren Kopf in Hennys geöffnete Tür zum Arbeitszimmer. „Wir sind zum Isha-Gebet wieder da“.

      „Wie bitte?“

      „Alexander, Fred und ich sind zwischen halb sieben und sieben wieder hier. Pünktlich zum Abendessen.“

      „Wo wollt ihr denn hin?“

      „Zu Nina und Rebecca.“

      Henny schiebt die Tastatur dicht vor den Bildschirm. Die Rückenlehne biegt sich zurück als er die Arme vor dem Bauch verschränkt. „Kannst Du mir mal erklären, was das soll? Du fährst seit unserem Umzug fast täglich in die Ranches.“ Nach einer Pause fährt er fort, „dabei müsstest Du doch am besten wissen, warum wir jetzt hier wohnen. Und hier sollte auch dein Lebensmittelpunkt sein. So viel zu deiner Rechtleitung. Kannst Du ja mal in das Isha-Gebet integrieren.“

      Nadjas Blick erkaltet. „In den Ranches lebt mein sorgsam aufgebauter Freundeskreis. Mein Alltag! Und die Freunde unserer Jungs leben ebenfalls dort. Nicht hier.“

      Henny spannt die Mundwinkel kurz an, schüttelt den Kopf und beugt sich wieder zum Schreibtisch vor. Er schaut auf den Bildschirm und murmelt, „und deine Affaire.“

      Nadja schlägt mit der flachen Hand gegen die Türzarge. „Daran hältst Du immer noch fest, nicht wahr? An einer haltlose Unterstellung, die Dir vermeintlich das Recht gibt, Dich im Selbstmitleid zu suhlen. Hast Du Dir einmal überlegt, wie Du mich damit verletzt? Da war nie irgendetwas anderes als Schwimmtraining und Arabischunterricht. Ich hoffe, das geht irgendwann einmal in deinen Kopf rein.“

      Nadja schlägt die Zimmertür zu, leck mich am Arsch.

      Sie bleibt stehen, wartet bis sich die Atmung und der Herzschlag beruhigt. Mit etwas zittrigen Beinen schaut sie in Alexanders Zimmer, beugt sich über ihn und schaut auf das Heft, das vor ihm auf dem Schreibtisch liegt. Alexander schreibt, radiert und unterstreicht sorgsam mit einem Geodreieck das akribisch und mühsam Geschriebene. Mit dem Daumenballen wischt sich Nadja eine Träne aus dem Augenwinkel. „Brauchst Du noch lange für deine Hausaufgaben?“

      „Ich bin fast fertig. Ich muss noch zwei Strophen auswendig lernen. Aber das kann ich im Auto machen.“

      „Prima, dann kann es ja losgehen!“ Sie klatscht in die Hände und hält inne: „hast Du dein Zimmer so picobello aufgeräumt?“

      Alexander nickt.

      „Respekt.“

      Vorsichtig öffnet sie die Tür zu Freds Zimmer und sieht ihn schlafend auf seinem Bett liegen. Sie schleicht hinein, setzt sich auf die Bettkante und streicht Fred die Haare aus der Stirn. Ihr beide entschädigt mich für alles. Ihr seid der Sinn meines Lebens. Sie