Antje Maria T. Frings

Gesternland


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Wir müssen nicht zur Polizeiwache fahren.“ Nadja grabscht den ihr hingehaltenen Kugelschreiber und unterschreibt.

      Der Beamte nickt und sie schließt das Fenster, schaut zu, wie die Beamten in ihren Wagen steigen und schlägt mit der flachen Hand auf ihr Lenkrad. Sie schließt kurz die Augen, hält sich mit beiden Händen die Schläfen und setzt sich dann aufrecht hin. Schließlich rutscht sie auf der großen Sitzfläche zurück und wirft den Motor an. Bevor sie losfährt, dreht sie sich noch einmal zur Rückbank und schaut in die erschrockenen Gesichter ihrer Jungs. „Es wird alles gut. Verspreche ich euch. Jetzt fahren wir erst einmal zum Pool und verbringen einen supercoolen Nachmittag, okay?“ Zögerlich erwidern Fred und Alexander das Lächeln.

      Als sie das Gate für die Community Mirador – La Collection passiert, parkt am Straßenrand ein Taxi. Sie gibt Gas, „Nein! Raus aus meinem Kopf. Wir haben jetzt einen schönen Nachmittag – verdammt noch mal!“

      „Mama?“ Alexander beobachtet im Rückspiegel das Gesicht seiner Mutter.

      „Tut mir leid.“ Sie lächelt in den Rückspiegel und parkt auf dem Seitenstreifen vor dem Park.

      „Endlich!“ Fin legt Alexander eine Hand auf die Schulter. „Ich habe schon eine Ewigkeit auf Dich gewartet!“

      „Wir hatten einen Unfall. Und mussten auf die Polizei warten. Die Polizisten tragen Waffen an ihrer Uniform!“

      Nina schaut von Fred zu Nadja. Nadja nickt. „Total doof und überflüssig. Aber es ist niemandem etwas passiert. Al-Hamdu lillah“

      „Und das Auto?“

      „Muss in die Werkstatt. Da ist bestimmt irgendetwas verzogen. Das Lenkrad knirscht in den Kurven.“

      „Ist ja glücklicherweise immer alles versichert.“

      Nadja fängt an zu lachen. „Das ist heute wirklich das einzige, was zu zählen scheint! Der Taxifahrer, der mir reingefahren ist, war auch nur an meiner Versicherung interessiert.“

      „Wieso? Hast Du Schuld gehabt?“

      „Nein, aber er wollte sie mir in die Schuhe schieben und mit Unterstützung der Polizei ist ihm das auch wunderbar geglückt.“

      „Was?“

      „Naja, die kennen ja nur seine Darstellung.“

      Weiter kommt sie nicht. Rebeccas Tochter Svea nähert sich dem Pool. Nadja öffnet den Mund, setzt zum Sprechen an und schweigt. Groß und langgliedrig schlendert Svea auf sie zu. Ihr langes hellbraunes Haar schimmert in der Sonne und umrahmt ein Puppengesicht. Aus dem schlichten, ärmellosen Kleid ragen braune Arme und knochige Knie. Gezielt, aber nicht hektisch, steuert sie die freie Liege neben ihrer Mutter an, ihre Tasche über der Schulter baumelnd. Sie setzt sich und lächelt reihum die Freundinnen ihrer Mutter an. Keiner spricht. Svea scheint das Schweigen zu genießen, das plötzliche Verstummen schnatternder Mittvierzigerinnen. Mohamad schielt von der anderen Seite des Pools zu dem Grüppchen um Svea. Nahezu regungslos und gespielt unbeteiligt, taxiert er Svea und scannt danach um sich herum die Liegeflächen und den Pool ab. Er wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn.

      Rebecca bricht das Schweigen. „Schön, dass Du da bist, Svea.“ Svea setzt ihre Sonnenbrille auf und streckt sich auf der Liege aus. Sie antwortet nicht. Langsam zieht sie ein Bein heran und wendet das Gesicht der Sonne zu. Rebecca täuscht eine abwinkende Geste an. „Man muss ja auch nicht mit jedem sprechen.“

      Nina greift den Faden wieder auf. „Du hast der Polizei nicht den Unfall aus deiner Sicht geschildert?“ Und beobachtet, wie Svea Mohamads Aufmerksamkeit immer stärker auf sich zieht.

      „Die haben mich einfach nicht zu Wort kommen lassen.“

      Langsam schiebt Svea die Sonnenbrille ins Haar und lächelt zu Mohamad herüber. Er nickt ihr zu und fährt sich erneut mit der Hand über die Stirn. Er räuspert sich, schlägt das Pool-Buch auf und kritzelt hinein. Svea greift neben sich in ihre Tasche und zieht einen dunkelblauen Bikini heraus, legt sich den auf den Bauch und bleibt liegen. Sie döst und blinzelt in die Sonne. Nach einer Weile steht sie gemächlich auf und schlendert zu den Umkleiden. Mohamad guckt von dem Notizbuch auf, ihr hinterher. Kaum ist sie im Umkleidebereich verschwunden, dreht sich Nina zu Rebecca und guckt sie durchdringend an.

      „Was ist?“, fragt Rebecca.

      „Bemerkst Du das nicht?“

      „Was genau bemerke ich nicht, liebste Nina?“

      „Da braut sich doch etwas zusammen.“

      „Warum braut sich etwas zusammen? Weil Nadja der Polizei nicht den Unfallhergang schildern konnte?“

      „Nun sei doch nicht so begriffsstutzig. Deine Tochter verdreht dem Lifeguard den Kopf.“

      Rebecca lacht. „Soll sie doch.“

      „Mein ja nur.“

      Nadja richtet sich auf. „Naja, der Hinweis ist berechtigt und nicht ganz unwichtig. In diesem Land gibt es für Teenager-Flirts kein Moratorium.“

      „Komm, erzähl mir nicht, dass die muslimischen Mädchen nicht flirten. Sofern sie eine Gelegenheit dazu haben. Aber hier...“, Rebecca zeigt mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf die Steinplatten, „könnten sie es definitiv.“

      „Es sieht nach Außen immer alles ganz westlich locker aus. Liberal und offen. Aber wenn es darauf ankommt, gilt die verbriefte Vorstellung von Recht, Tugend, Moral und, und, und…mit einem Wort die Scharia.“

      Rebecca seufzt. „Ich lese auch die 7DAYS, den ablenkenden, bunten und kostenlosen Zeitvertreib, und weiß, was hier angeblich mit Mädchen passiert, die vor der Ehe Sex haben. Aber entschuldigt mal bitte“, Rebecca kichert, „davon ist meine Tochter meilenweit entfernt. Sie geht schwimmen!“

      Nina gluckst.

      Nadja schaut von Nina zu Bettina. „Ich sag ja nur, was ich sehe.“

      „Mir tut der Kerl da drüben auch ein bisschen Leid.“ Rebecca räuspert sich. „Und ich bin heilfroh, dass meine Tochter nicht artig den Blick zu Boden senkt, senken muss, wenn ein Mann auf der Bildfläche erscheint.“

      Svea kommt zurück, fasst dabei das Haar am Hinterkopf zusammen und wickelt es zu einem Knoten am Oberkopf. Nadja, Rebecca und Nina sitzen auf ihren Sonnenliegen wie Zuschauer in einer Manege. Svea setzt sich auf die Stufen im Pool, die Füße im Wasser. Sie stützt sich auf den Handflächen ab und rutscht eine Stufe tiefer. Langsam beugt sie sich vor, holt Luft und stößt sich mit den Füßen an der Treppe ab und gleitet unterhalb der Wasseroberfläche. Sie kommt hoch, atmet aus, dreht sich auf den Rücken und streckt sich, bevor sie einige Züge krault. Elegant wendet sie sich auf den Bauch, holt mit den Beinen Schwung und kommt am Beckenrand an. Sie hält sich an dem Handlauf fest. „Hi!“ Sie strahlt Mohamad an.

      „Hi Svea.“

      „How are you?“ Sie lacht auf und verbessert sich, „kief halak?“

      Mohamad grinst. „Al-Hamdu lillah, shukran.“

      Nina stößt Rebecca in die Seite. „Guck!“

      „Ist doch alles gut. Ich würde auch mit ihm sprechen, wenn ich gerade meine Bahn beende.“

      „Du würdest dabei nicht so aussehen.“

      „Danke.“

      Nina dreht sich grinsend zu Nadja, aber die stimmt nicht ein. Abwartend beobachtet Nina, wie Nadja nachdenklich auf ihrer Liege sitzt und die beiden anstarrt, ohne eine Miene zu verziehen. Schließlich fasst sie Nadja ans Knie. „Dich nimmt der Unfall ganz schön mit, oder?“

      Nadja schrickt auf. „Wie bitte?“

      „Der Unfall. Der steckt Dir in den Knochen.“

      „Ach so. Ja, schon.“

      Ein metallisches ‚Krawumms‘ lässt alle drei zusammenfahren und sich zur zufallenden Tür umdrehen.

      Batul zuckt zusammen,