Antje Maria T. Frings

Gesternland


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sitzen die drei im Auto. Auf der alten Bypass-Road wird nichts los sein, aber die Strecke ist lang und langweilig. Wenn ich die Emirates Road nehme, bin ich schneller am Ziel. Sie schaut auf das Display. Um diese Zeit ist dort bestimmt noch nicht viel los, denkt sie und startet den VW in Übergröße. Der Wagen blubbert und setzt sich in Gang. Sie schaut aus dem Seitenfenster zu Eileens Haus. Ob bei Dir alles okay ist? Morgen gehe ich mal rüber.

      Zwischen den bebauten Grundstücken sind Wüstenstreifen, Erinnerungen an einen urban gemachten Landstrich und willkommene Abkürzungen zu Fuß.

      Ihr Blick wandert zum Rückspiegel. Sie lächelt. Alexander hat den Ausdruck des Gedichts vor der Nase. Seine Lippen murmeln, „Herr von Ribeck von Ribeck im Havelland….“

      „…ein Birnenbaum in seinem Garten stand. Das habe ich in meiner Schulzeit auch auswendig gelernt, Alexander.“ Alexander schaut von seinem Zettel auf. „Eine Dattelpalme in seiner Oase stand.“

      Fred hat sich ein Bilderbuch aus der Tasche des Vordersitzes gezogen und saugt zufrieden am Strohhalm eines Trinkkakaos.

      Die Sonne steht hoch und trotz getönter Scheibe blendet die Helligkeit. Nadja klappt den Blendschutz herunter. „Alexander, magst Du mal in meine Handtasche gucken, ob meine Sonnenbrille darin liegt?“

      Alexander reicht ihr die Sonnenbrille aus dem Etui entgegen. Auf der rechten Seite türmt sich das Mirdif City Center auf. Und Nadja fährt auf die Sheik Mohammed bin Zayed Road, die ehemalige Emirates Road. Wie viel Taxen Chaos es nach der Umbenennung in 2012 wohl gab?, geht es Nadja durch den Kopf.

      „Willst Du schon mal probieren, die erste Strophe aufzusagen? Also die Original-Strophe?“

      „Mama, guck nach vorn. Papa hat gesagt, die E311 ist die unfallreichste Straße in den Emiraten.“

      Nadja schmunzelt und kann den Blick trotzdem nicht vom Rückspiegel loseisen. „Was ist das denn für ein Spinner. Warum fährt der denn so dicht auf? Ja, klar, und Lichthupe. Hier sind nur 130 erlaubt. Vollpfosten.“ Im Seitenspiegel sieht sie, wie ein Muscle-Car mit A-Kennzeichen überholt. „War ja klar. Ich weiß, wer da drin sitzt.“ Sie riskiert einen Blick zur Seite und schaut in ein grinsendes, von einer rotweißen Kufiya gerahmtes Gesicht eines jungen Emiratis auf dem Beifahrersitz. Die makellose Dishdasha hebt sich weiß von dem beigen Ledersitz ab. „Ihr braucht mich nicht herauszufordern. Ihr Söhne.“ Die Araber geben Gas und mit Getöse nehmen sie Fahrt auf. „Vergesst nicht zu bremsen. Die Radarkontrollen filtern die A-Kennzeichen nicht heraus.“

      „Mama, stimmt es, dass die Kontrollen die durchschnittliche Geschwindigkeit zwischen zwei Stationen bestimmen und daraus eine Geschwindigkeitsüberschreitung feststellen können?“

      „Ja, das habe ich auch gehört. Hat Papa uns das mal erzählt?“

      „Weiß nicht mehr so genau.“

      „Es wird aber auch immer viel geredet. Sollte es sich nur um ein Gerücht handeln, das zur Abschreckung in Umlauf gebracht wurde, ist es wenigstens mal ein Sinnvolles.“

      Sie überlegt, wird nicht auch immer behauptet, rebellierende Arbeitsmigranten würden in der Wüste ausgesetzt? Bauarbeiter, die gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen protestieren? Dieses Gerücht hält sich auch hartnäckig…

      Nach der Emarat Tankstelle fährt Nadja auf die rechte Spur. „Gleich haben wir es geschafft, Jungs.“ Sie fährt ab und ordnet sich in der rechten Spur für den Fly-Over über die E311 ein. Ein plötzlicher Ruck lässt den Wagen kurz beschleunigen, fast von der Fahrbahn abkommen. Nadja fühlt ein unkontrollierbares Anschieben. Sie hält die Luft an. Was ist das, was passiert, wann hört das auf? Sie beginnt in kurzen Zügen schneller zu atmen. Im Rückspiegel sieht sie, wie ein Taxi an ihrer Stoßstange klebt und sich dann zurückfallen lässt. Erneut gibt es Gas, versucht zu überholen und mit einem ‚Rumms‘ sitzt es in der Seite. „Alexander“, schreit Nadja. Alexander schaut gebannt aus dem Fenster in das Taxi. Nadja schließt für eine Sekunde die Augen. „Gott sei Dank – nichts passiert.“

      „Mama, was war das?“, Freds Stimme zittert.

      „Uns ist ein Auto reingefahren, mein Schatz.“

      Sie sitzen dort Oben in ihrem Wagen auf dem Fly-Over. Nadja verdrängt in Bruchteilen von Sekunden alle Gedanken, was bei mehr Geschwindigkeit hätte passieren können. Immer wieder drängt sich der Gedanke in den Vordergrund, ob es Absicht war. Das Taxi kommt vor ihnen zum Stehen. Der Fahrer steigt aus und schlendert zu Nadjas Wagen. Nadja holt tief Luft, fährt ihre Fensterscheibe herunter und streckt den Kopf heraus, jetzt nichts Unüberlegtes sagen und nicht die Fassung verlieren, egal was kommt.

      „Du hast mich wohl nicht gesehen, wie?“

      Nadja schaut ihn irritiert an.

      „Kann ja passieren. Bist Du versichert?“

      Nein, nein, so läuft das nicht, denkt Nadja. „Ich rufe die Polizei.“

      „Ach, das kriegen wir auch so geregelt. Du bist doch versichert, oder etwa nicht?“

      Nadja antwortet nicht und nimmt ihr Handy vom Beifahrersitz. Der Taxifahrer greift ins Fenster und versucht ihr behutsam das Handy aus der Hand zu nehmen.

      „Finger weg!“, schreit Nadja. Fred fängt an zu weinen. Die Autos hinter ihnen hupen. Der Taxifahrer zieht die Hand zurück. „Ist ja gut.“

      Nadja macht durch die Windschutzscheibe Fotos von dem Taxi. „Wir fahren jetzt weiter bis zur Umm Suqeim. Am ersten Roundabout rechts, Abfahrt Motor City. Da können wir parken und auf die Polizei warten.“

      „Blöde Schlampe.“

      „Wie bitte? Denk übrigens nicht ans Abhauen. Dafür ist es jetzt zu spät.“

      Er wendet sich ab und guckt auf die Wagennummer auf der Rückseite seines Wagens. Nadja startet den Motor, beugt sich aus dem Fenster und sagt, „und die Beleidigung gebe ich auch zu Protokoll.“

      „Saudi-Arabien hat einen großen Fehler gemacht, Frauen ans Steuer zu lassen.“ Er geht zu seinem Taxi und steigt ein. Sie dreht sich zur Rückbank, lächelt ihre Jungs an. „Alles klar, ihr zwei?“

      Alexander ist auf den mittleren Sitz gerutscht und hat einen Arm um Fred gelegt. Nadja schaut auf seine Hüfte „Schnall Dich bitte an.“ Sie streichelt Freds Bein, das vom Kindersitz herunterbaumelt. Alexander schließt den Gurt. „Mama, haben wir Schuld?“

      „Nein, mein Schatz. Nicht das kleinste bisschen. Wir rufen gleich die Polizei und dann ist alles gut.“

      Nach einer Ewigkeit kommt ein Polizei-SUV und hält vor dem Taxi auf dem Seitenstreifen. Nadja steuert auf die Beamten zu.

      „Geh in deinen Wagen und warte.“

      Nadja schluckt. „Wie bitte? Ich bin die Geschädigte des Unfalls. Ich möchte eine Aussage machen.“

      „Ja, ja, alles zu seiner Zeit. Geh in deinen Wagen, bitte. Wir vernehmen den Taxifahrer und kommen danach zu Dir.“

      Neben ihr steht plötzlich der Taxifahrer und beginnt auf Arabisch mit den Polizisten zu sprechen.

      „Geh.“ Der Polizist zeigt auf ihren Wagen.

      Sie geht zurück, steigt ein, sitzt auf dem Fahrersitz und starrt durch die Windschutzscheibe ins Leere. Schnaps wäre jetzt gut.

      Ein Polizist reicht ein Formular durch das Fenster. „Hier. Unterschreiben.“ Er hält ihr ungeduldig ein rosarotes Blatt vor das Gesicht.

      „Das ist auf Arabisch. Was unterschreibe ich da?“

      Der Polizist schiebt seine Sonnenbrille auf den Kopf. „Dass Du Schuld an dem Unfall hast.“

      „Nein! Das stimmt nicht. Das Taxi hat mich abgedrängt.“

      „Die Sache ist geregelt. Du hast nicht geguckt. Unterschreib!“

      „Nein. Das ist so nicht richtig. Ich bestehe auf eine Anhörung.“

      Der