Nikolai Ostrowski

Wie der Stahl gehärtet wurde


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Geschossen, zweihundert Bajonette und sechzig Säbel - was für eine kolossale Streitmacht …! Die Deutschen rücken wie eine eiserne Lawine vor … Ein Gefecht können wir erst aufnehmen, wenn wir uns mit anderen abziehenden Roten Abteilungen vereinigt haben. Wir müssen doch im Auge behalten, Genosse, dass wir, außer mit den Deutschen, unterwegs noch mit den verschiedenen konterrevolutionären Banden zu tun haben werden. Meine Meinung ist die: Morgen früh ziehen wir los und sprengen beim Abmarsch die Eisenbahnbrücke hinter der Station. Bis die Deutschen sie wieder instand gesetzt haben, werden zwei, drei Tage vergehen. Der Weitertransport ihrer Truppen auf der Bahnstrecke wird somit aufgehalten. Was meint ihr dazu, Genossen? Fassen wir also einen Beschluss!«

      Strushkow, der Bulgakow schräg gegenübersaß, bewegte die Lippen, schaute auf die Karte, dann auf Bulgakow und presste schließlich mühsam die Worte hervor:

      »Ich … unter … stütze Bulgakow.«

      Der jüngste der Anwesenden, ein Bursche in einem Arbeitskittel, erklärte sich ebenfalls einverstanden:

      »Bulgakow hat recht.«

      Nur Jermatschenko, derjenige, der am Tag mit den Jungen gesprochen hatte, schüttelte den Kopf.

      »Wozu, zum Teufel, haben wir denn die Abteilung aufgestellt? Um vor den Deutschen kampflos zurückzuweichen? Meiner Ansicht nach soll man es hier mit ihnen aufnehmen. Ich hab es satt, ewig zu türmen. Wenn es nach mir ginge, würde ich hier kämpfen - unbedingt…«

      Heftig rückte er den Stuhl vom Tisch weg, erhob sich und schritt im Zimmer auf und ab.

      Bulgakow betrachtete ihn missbilligend.

      »Kämpfen muss man mit Verstand, Jermatschenko. Wir können die Leute nicht dem sicheren Untergang und der Vernichtung preisgeben. Und außerdem wäre es einfach lächerlich, denn eine ganze Division rückt uns nach, mit schwerer Artillerie und Panzerautos … Sei doch kein Kind, Genosse Jermatschenko ..…« Und schon an die übrigen gewandt, fügte er hinzu:

      »Es ist also beschlossene Sache - morgen früh rücken wir ab … Die nächste Frage betrifft die Verbindung«, fuhr Bulgakow fort.

      »Da wir zuletzt abrücken, haben wir die Arbeit im Hinterland der Deutschen zu organisieren. Hier ist ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, das Städtchen hat zwei Bahnhöfe. Wir müssen dafür sorgen, dass ein zuverlässiger Genosse auf der Bahnstation arbeitet. Wir werden sofort entscheiden, wen wir von den Unsern zur Organisierung der Arbeit hier lassen können. Schlagt Kandidaten vor.«

      »Ich denke, man sollte den Matrosen Shuchrai dazu bestimmen«, sagte Jermatschenko und trat an den Tisch.

      »Erstens stammt Shuchrai aus dieser Gegend. Zweitens ist er Schlosser und Monteur, kann also Arbeit auf der Station bekommen. Drittens ist er von niemandem bei unserer Abteilung gesehen worden - er trifft erst nachts hier ein. Er hat Grütze im Kopf und wird seine Sache schon machen. Ich denke, das ist der geeignetste Mann.« Bulgakow nickte.

      »Richtig, ich bin mit dir einverstanden, Jermatschenko. Habt ihr etwas einzuwenden, Genossen?« wandte er sich an die übrigen.

      »Nein? Die Frage ist also erledigt. Wir geben Shuchrai Geld und ein Mandat für die Arbeit … Und jetzt noch die dritte und letzte Frage, Genossen. Es handelt sich um die Waffen, die sich in der Stadt befinden. Wie wir erfahren haben, ist hier ein ganzes Waffenlager vorhanden - zwanzigtausend Gewehre, die noch vom zaristischen Krieg stammen. Sie liegen in einer Scheune. Das Lager ist von allen vergessen worden. Mir hat der Bauer, dem die Scheune gehört, davon Mitteilung gemacht. Er möchte die Gewehre loswerden … Wir dürfen dieses Lager natürlich keineswegs in die Hände der Deutschen fallen lassen. Ich denke, dass man es in Brand setzen sollte, und zwar gleich, damit bis zum Morgen alles vorbei ist. Die Sache hat aber einen Haken. Die Scheune steht am Rande der Stadt, inmitten armseliger Bauernhöfe, die Feuer fangen könnten.«

      Strushkow, ein Mann von kräftiger Gestalt, mit einem schon seit langem unrasierten Gesicht, erhob sich:

      »W o.… wo ..… wozu ..… verbrennen? Ich d-denke, wir sollten die Waffen unter die Be … Bevölkerung ver … verteilen.«

      Bulgakow wandte sich ihm sofort zu:

      »Verteilen, sagst du?«

      »Richtig! Das ist eine Idee!« rief Jermatschenko begeistert aus. »Man muss sie an die Arbeiter und an die übrige Bevölkerung ausgeben, an alle, die Waffen wollen. Dann werden sie wenigstens etwas haben, womit sie den Deutschen auf die Finger klopfen können, wenn die es zu toll treiben. Und das werden sie bestimmt. Wenn's nicht mehr zum Aushalten ist, werden die Jungen schon zu den Waffen greifen. Strushkow hat recht: Die Waffen müssen verteilt werden. Es wäre sogar gut, sie hinaus aufs Land zu schaffen. Die Bauern werden sie ganz tief einbuddeln, und wenn die Deutschen kommen, um alles zu requirieren, wird man diese Dinger recht gut brauchen können.« Bulgakow lachte auf.

      »Ja, aber die Deutschen werden befehlen, alle Waffen abzuliefern, und da wird man alles angeschleppt bringen.« Jermatschenko protestierte:

      »Nicht alle werden das tun, manche ja, andere nicht.« Bulgakow streifte die Anwesenden mit einem fragenden Blick.

      »Wir müssen die Gewehre verteilen, unbedingt verteilen«, unterstützte der junge Arbeiter Jermatschenko und Strushkow.

      »Also gut, verteilen wir sie«, willigte Bulgakow ein.

      »So, das wäre nun alles«, sagte er und stand auf.

      »Wir können uns jetzt bis zum Morgen ausruhen. Wenn Shuchrai kommt, schickt ihn zu mir. Ich will mit ihm sprechen. Und du, Jermatschenko, geh und kontrolliere die Posten.« Nachdem die drei ihn verlassen hatten, ging Bulgakow in das Schlafzimmer der Hauseigentümer, breitete auf der Matratze seinen Soldatenmantel aus und legte sich nieder.

      Am nächsten Morgen ging Pawel vom Elektrizitätswerk nach Hause. Seit einem Jahr arbeitete er dort bereits als Hilfsheizer.

      Im Städtchen herrschte ein ungewöhnliches Treiben. Das fiel ihm sofort auf. Man sah immer mehr Leute, die ein, zwei, sogar drei Gewehre trugen. Pawel eilte heim, ohne zu verstehen, was da vor sich ging. Vor der Leszczynskischen Villa sattelten seine neuen Freunde die Pferde.

      Er rannte heim, wusch sich hastig und erfuhr von der Mutter, dass Artjom noch nicht nach Hause gekommen war. Darauf lief Pawka zu Serjosha Brusshak, der am anderen Ende der Stadt wohnte.

      Serjosha war der Sohn eines Lokomotivführergehilfen. Sein Vater hatte ein Häuschen und eine kleine Wirtschaft.

      Serjosha war nicht zu Hause. Seine Mutter, eine rundliche Frau mit sehr weißer Haut, schaute Pawel mit unzufriedener Miene an.

      »Der Teufel mag wissen, wo der steckt! Sprang in aller Herrgottsfrühe aus den Federn und treibt sich weiß Gott wo herum. Man sagt, dass irgendwo Waffen verteilt werden. Dort wird er sicher auch nicht fehlen. Die Hosen strammziehen sollte man euch Rotznasen. Seid schon ganz außer Rand und Band geraten. Seine liebe Müh und Not hat man mit euch. Noch nicht trocken hinter den Ohren, und schon Waffen in den Händen. Sag dem Bengel, dass ich ihm den Kopf abreißen werde, wenn er mir nur eine einzige Patrone ins Haus bringt. Jeden Dreck schleppt er heran, und dann soll man auch noch die Verantwortung dafür tragen. Und du, du rennst wohl auch dahin?«

      Aber Pawel hörte nicht mehr auf das Geschimpfe von Serjoshas Mutter, sondern war schon wieder auf und davon.

      Auf der Chaussee kam ihm ein Mann entgegen, der über jeder Schulter ein Gewehr trug.

      Pawel stürzte auf ihn zu.

      »Onkelchen, woher hast du die?«

      »Dort oben in der Werchowina werden sie verteilt.«

      So schnell ihn nur seine Beine trugen, rannte Pawel in die genannte Richtung.

      Nachdem er zwei Straßen durchquert hatte, stieß er auf einen Jungen, der ein schweres Infanteriegewehr mit Bajonett schleppte.

      »Woher hast du das?« Pawel hielt den Jungen an.

      »Gegenüber der Schule geben