Roberta C. Keil

Sommer des Zorns


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Frank nannte sie immer Planeten. Ein Erbe meiner Mutter, vermutete ich. Jacks Augen waren grau und schmal. Mein Blick riss sich von mir selbst los und fiel auf die kleine weiße Tänzerin der Schmuckschatulle mit Spieluhr, die auf der Kommode neben dem Spiegel stand. Ich liebte diese Dose und griff nach ihr. Sie wog schwer in meiner Hand, gefüllt mit Erinnerungen an meine Kindheit. Verwaschene Erinnerungen, nicht ganz klar. Durch meine Berührung wurde ein Zahnrad in ihrem Inneren in Gang gesetzt und die letzten, zögernden Töne von Greensleeves, der irischen Volksweise, erklangen. Waleahs Stimme erklang in meinem Kopf, wie sie glockenhell dieses Lied sang, während sie im Garten arbeitete. Ich drehte den kleinen Schlüssel, zog das Spielwerk auf und stellte sie auf die Kommode neben dem Spiegel an ihren Platz und nahm den Finger von dem Schlüssel. Die Töne der Melodie reihten sich aneinander. Ich hörte das Lachen von Kindern und Tränen traten mir in die Augen. Als ich den Deckel öffnete, auf dem die Tänzerin brav ihre Runden drehte, fand ich den kleinen Ring mit dem rosa Herzsteinchen, der als einziges Schmuckstück in der Dose lag. Ich hatte oft versucht, die Buchstaben zu entziffern, die in den Ring eingeprägt waren. Der erste war ein großes ‚M‘, danach war eine Lücke und ein ‚Y‘ konnte ich noch erkennen. Mehr nicht. Ich steckte ihn mir an den kleinen Finger, schob ihn bis zum ersten Gelenk. Für mehr war er zu klein. Dann legte ich ihn wieder zurück, schloss den Deckel und sah der Tänzerin zu, bis sie ihren Tanz immer langsamer werdend beendete. Die Töne verklangen. Eines Tages würde ich mir die Zeit nehmen und mit einer Lupe versuchen, die Buchstaben in dem Ring zu entziffern. Den Gedanken hatte ich schon oft gefasst, aber immer kam etwas dazwischen und es geriet in Vergessenheit. Nach einem letzten Blick in den Spiegel, der letzten Versicherung, nicht zu aufreizend gekleidet zu sein, verließ ich mit dem Autoschlüssel in der Hand mein Zimmer.

      Der Regen hatte nachgelassen, als ich mein rotes Chrysler Cabrio aus der Scheune fuhr und das Dach schloss. Im Rückspiegel entdeckte ich Aiden, der mit verschränkten Armen in der Tür zum Pferdestall stand und in meine Richtung sah. Sein Gesicht war ernst. Was bewegte meinen Freund, der für mich mehr wie ein Bruder war, solange, wie ich ihn schon kannte? Ich fuhr los, wischte Aidens Blick aus meinen Gedanken fort.

      Die umliegenden Städte Prescott, Sedona oder Flagstaff lagen mir zu nahe an der Ranch. Zu viele Menschen kannten mich dort. Mir stand der Sinn nach Tanzen, vielleicht auch nach etwas mehr, wenn es sich ergab. Das wollte ich nicht mit den Menschen meines Umfeldes teilen, die in mir immer noch die trauernde Witwe sahen. Also fuhr ich direkt auf die Interstate 17 in Richtung Phoenix und erreichte nach über einer Stunde Fahrt die Großstadt. In der 7th Avenue parkte ich meinen Wagen auf dem Parkplatz der Bluesbar „Char’s has the blues“. Ihr Ruf, einen Hauch von Chicago nach Phoenix zu bringen, hielt, was er versprach. Ich erinnerte mich gerne an Chicago und liebte die Atmosphäre in dieser Bar. Auch hier in Phoenix regnete es und das ließ den Abend noch dunkler erscheinen, als er es gemeinhin um acht Uhr abends war.

      Ein Mann, der sicher die Fünfzig schon überschritten hatte, erreichte gleichzeitig mit mir die Tür und öffnete sie, um mich mit einer galanten Handbewegung zuerst hereinzubitten. Ich lächelte ihn dankbar an, wandte mich aber im Inneren der Bar möglichst schnell von ihm ab, damit er nicht auf falsche Gedanken kam. Älteren Herren gewährte ich höchstens einen Tanz. Und im Übrigen suchte ich nach Männern, die kaum älter als ich waren. Nach einem kurzen Blick zur Orientierung ließ ich mich auf einem leeren Hocker an der Bar nieder. Rick, der Barkeeper zögerte nicht lang und stellte mir meinen obligatorischen „Sex on the Beach“ auf den Tresen.

      „Guten Abend, Miss King.“

      Ich lächelte dankbar, als er mich mit meinen Decknamen ansprach, und nahm einen kleinen Schluck durch den Strohhalm.

      Hier konnte ich meine Erinnerungen und den Schmerz für kurze Zeit hinter mir lassen und die therapeutischen Qualitäten der Atmosphäre dieser Bar genießen. Die Musik, nach der getanzt wurde, das Stimmengewirr, die Gerüche von vielen Menschen, Parfüm, Rasierwasser, Rauch und Alkohol. Und die Fröhlichkeit, die nun auch bei mir überhand gewann. Des Lebens Leichtigkeit gaukelten die Menschen sich hier vor, jeder schien etwas finden zu wollen. Abwechslung oder Vergessen.

      Ich lächelte und wandte ich mich dem Raum zu, meine typische Haltung einnehmend. Ich war eine gelangweilte junge Frau, allein hier und wollte mich amüsieren. Oft genug hatte ich diese Position vor dem Spiegel geübt. Seitlich mit einem Arm auf dem Tresen aufgestützt, mein hübschestes Lächeln aufgesetzt. Der andere Arm lag locker auf meinem Oberschenkel und schlug sanft den Takt der Musik mit. Den einen meiner mit Ankleboots beschuhten Füße auf dem Boden verankert, den anderen lässig auf der Fußleiste des Hockers abgestellt.

      So beobachtete ich die Szene, mich ab und zu meinem Cocktail zuwendend. Ich erspähte einen Mann, der mir gefiel und flirtete ihn zaghaft an. Nur mit Blicken, die von ihm soeben erhascht werden sollten. Ich hatte gut geprüft, ob er auch wirklich allein da war. Männer in einer Gruppe ließ ich aus. Sie bargen zu viele Gefahren. Und in weiblicher Begleitung waren sie tabu.

      Er reagierte auf meinen Blick und kam jetzt langsam zu mir herüber. Seine Augen ruhten abschätzend auf mir und ich spürte dieses nervöse Kribbeln im Bauch. Er war groß und schlank, trug eine zerrissene Dieseljeans und ein schwarzes Hemd mit aufwendiger Stickerei auf seiner Brust. Seine Haare glänzten schwarz wie die Nacht und seine dunkelbraunen Augen fesselten meine. Ich nahm ihn in die engere Wahl und wandte mich kurz meinem Drink zu. Dann erhaschte ich den Anschluss an seinen Blick.

      „Ma‘am!“ Er nickte mir kurz grüßend zu und setzte sich auf den Hocker neben mir, der gerade passend frei geworden war. Der tiefe Klang seiner Stimme ging mir unter die Haut.

      „Noch ein Bier, bitte.“

      „Gerne, Mister.“

      Rick reichte dem Mann sein Bier.

      „Mein Name ist David. Und Sie scheinen Langeweile zu haben.“ Er hob sein Glas kurz grüßend in meine Richtung.

      Ich schenkte ihm ein Lächeln und hob mein Glas ebenfalls, um mit ihm anzustoßen.

      „Nun, gerade scheint sich das Blatt für mich zu wenden.“

      Er trank einen Schluck und ließ die Zunge über seine schmalen Lippen gleiten, um den Schaum zu entfernen.

      „Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht“, er stellte sein Glas auf den Tresen, „aber ich könnte mir vorstellen, Sie auf die Tanzfläche zu entführen.“

      Sein Lächeln war charmant. Ich prüfte seine Körpersprache. Feine, filigrane Hände, die gerade und schlank waren, die Finger nicht zu lang und sehr gepflegt. Seine entspannte Haltung spiegelte wider, dass er nichts zu verbergen hatte. Sein war Blick offen. Und seine Augen lächelten mit.

      „Gern“, antworte ich deshalb und stellte ebenfalls mein Glas weg.

      Die Hand, die er mir reichte fühlte sich warm und weich an. Sein Händedruck war fest, aber nicht zu fest oder gar besitzergreifend, und er führte mich auf das Parkett, schloss mich leicht in seine Arme. Auch dieses Mal nur so fest, wie es für den Tanz notwendig war. Er ging es langsam an. Das gefiel mir.

      Genauso hatte es Frank damals bei unserer ersten Begegnung gemacht. In der Studentenbar verbrachte ich mit einigen Kommilitonen einen gemütlichen Abend, als er eintrat. Ich sah ihn und unsere Blicke begegneten sich. Seine Augen wanderten erst weiter, kehrten dann zurück zu mir und wir lächelten uns an. Dann war er auf mich zugekommen und reichte mir die Hand. Genauso wie David heute Abend. Ich konzentrierte mich wieder auf seine braunen Augen. Sie waren so sanft und tiefgründig.

      „Was macht ein Mädchen wie du in solch einer Bar?“

      Ich lachte nur.

      „Willst du dich amüsieren? – Oder suchst du etwas Ernsthaftes?“

      Mein Blick wurde bewusst ernst.

      „Hey, Cowboy, das Leben ist ernsthaft genug. – Ich bin nur auf der Suche nach etwas Abwechslung von der Langeweile meiner Ranch.“

      Er schmunzelte und nickte.

      „Okay, Cowgirl, ich habe verstanden.“ Er zog mich jetzt etwas fester an sich. Und ich ließ es zu.

      Wir tanzten fast den ganzen Abend, fanden einen