war, sei intergenerative Mobilität selten gewesen. Das habe sich erst in den siebziger Jahren geändert. Zwar will Professor Hartmann die Bundesrepublik des Jahres 2010 nicht als eine „Absteigerrepublik“ bezeichnen, jedoch ist sie für ihn eine zunehmend gespaltene Republik. Der Trend zur Polarisierung sei unverkennbar. Er sieht einen immer größer werdenden Prozentsatz von Menschen, deren Chancen auf einen Einstieg oder Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt gering seien. Der Anteil derjenigen, die nur 60 Prozent oder weniger des durchschnittlichen Einkommens erzielten, habe sich verdreifacht. Zugleich habe sich der Anteil derjenigen verdoppelt, die mehr als 130 Prozent des Durchschnittseinkommens erreichen. Die statistische Mitte schrumpfe.
Zu diesem Ergebnis kam auch dass Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin auf der Grundlage des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP). Nach der DIW-Studie (10/2008) ist die Mittelschicht9 in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2006 um rund fünf Millionen Personen geschrumpft. Der Anteil der Bezieher mittlerer Einkommen in der gesamten Bevölkerung ging von 62 Prozent im Jahr 2000 auf 54 Prozent (rund 44 Millionen) im Jahr 2006 zurück. In den 80er Jahren gehörten in Westdeutschland rund zwei Drittel der Bevölkerung zur mittleren Einkommensschicht. Auch im ersten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung blieb die Mittelschicht weitgehend stabil. Während anschließend aber die Mittelschicht schrumpfte, verfestigten sich die Schichten an den Rändern der Einkommensverteilung. Die unterste Einkommensschicht wuchs seit 2000 um knapp sieben Prozent und betrug im Jahr 2006 über ein Viertel der gesamten Bevölkerung.
Für diese Zunahme machen die DIW-Forscher nicht nur die konjunkturelle Schwächephase in dem beobachteten Zeitraum, sondern auch die Änderung der Beschäftigungsstruktur, die Zunahme der Zeitarbeit, der befristeten Arbeit, der Teilzeitarbeit und der geringfügigen Arbeit verantwortlich.
Der obere Einkommensbereich wuchs um zwei Prozent und lag im Jahr 2006 bei über einem Fünftel der Bevölkerung. Dieser Zuwachs ging ausschließlich auf die Gruppe mit dem höchsten Einkommen zurück. Soweit die DIW-Forscher. Ob sich dieser Trend auch in dem Aufschwung des Jahres 2007 mit einem realen Wachstumsplus von 2,5 Prozent und einem Anstieg der Erwerbstätigenzahl um 1,2 Millionen fortgesetzt hat, ließ sich zu Jahresbeginn 2010 so wenig beurteilen wie die Auswirkungen der schweren Rezession mit einem Schrumpfen des Bruttoinlandsproduktes 2009 um fast 5 Prozent und dem Anstieg der Kurzarbeiterzahl auf 1,3 Millionen. Der Sachverständigenrat Wirtschaft urteilte in seinem Jahresgutachten 2009/2010, im Vergleich zur Situation Mitte der 1980er Jahre sei in Deutschland und in vielen anderen OECD-Ländern eine Zunahme der Ungleichheit zu verzeichnen. Der Rat konstatierte wie das DIW eine Verfestigung an den Rändern der Einkommensverteilung.
Hartmann hat beobachtet, dass der Zugang zu Führungspositionen nach unten und zur Mitte immer stärker abgeschottet wird. Viele empfänden heute sozialen Aufstieg nicht mehr als ein Versprechen und als Chance, sondern als Bedrohung ihrer erreichten Position. In der Mitte selbst lebten viele in der Angst abzusteigen, aber es gebe immer noch Aufsteiger, wenn auch weniger als Absteiger.
Selbst im Bildungssystem überwiege nach der vierten Klasse, nach der 40 Prozent eines Jahrganges auf höhere Schulen − einschließlich der Fachoberschulen − wechselten, der Abstieg und nicht der Aufstieg. Es gebe dann noch kleine Schüleranteile, die auf Umwegen den Hochschulzugang erreichten, aber eine wirkliche Durchlässigkeit des Bildungssystems sei damit nicht gegeben, meint Hartmann.
Die Fachhochschulen, die ehemaligen Ingenieurschulen, seien früher dominiert worden von sozialen Aufsteigern, heute seien sie immer mehr zu Reservehochschulen für Akademikerkinder geworden, die die allgemeine Hochschulreife nicht geschafft haben. Sie retteten eher einen Status als ihn zu erhöhen.
Wer sich dieses Bild zu eigen macht, mag leicht zu dem Schluss kommen, wir lebten in einer Absteigerrepublik. Dafür finden sich unter Hartz-IV-Beziehern plakative Beispiele. Neben den Schatten gibt es jedoch auch Licht. Forschungsergebnisse des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) zeigen, dass sich mit dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV) die Arbeitsmarktchancen für diesen Personenkreis verbessert haben. „Daraus ist vorsichtig abzuleiten, dass sich die Arbeitsmarktpolitik auch und gerade im Rahmen des SGB II auf dem richtigen Weg befindet. Es wurde die Basis dafür geschaffen, einer Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit entgegenzuwirken und eine Überwindung der Arbeitsmarktkrise bei der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Erholung zu beschleunigen“, hieß es in dem Bericht10. In dieser Studie zogen die IAB-Forscher eine Bilanz der fünf Jahre, seit denen das SGB II mit der Einführung der Grundsicherung galt. Kernstück des SGB II ist eine umfassende Aktivierung, die auf eine Stärkung der Eigenverantwortung und Autonomie der Betroffenen zielt. Auch wenn dies noch nicht voll zum Tragen komme, habe die strukturelle Arbeitslosigkeit verringert werden können, urteilten die Arbeitsmarktforscher. Es gibt also keinen Grund, alles schwarz in schwarz zu malen.
Mehrere IAB-Studien der letzten Jahre belegen, dass die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen im SGB II generell zu einer Verbesserung der individuellen Eingliederungschancen beiträgt. So konnte gezeigt werden, dass arbeitsmarktnahe Instrumente – wie Eingliederungszuschüsse und betriebliche Trainingsmaßnahmen – bei Hartz-IV-Empfängern ähnlich gut wirken wie bei Arbeitslosengeldbeziehern nach dem SGB III. Das IAB berichtete auch über erste Ergebnisse zur Förderung der beruflichen Weiterbildung (FbW) im SGB II. Sie verdeutlichen, dass Weiterbildungsmaßnahmen auch im Bereich der Grundsicherung ein effektives Instrument sein können.
Auch der Niedriglohnbereich ist nicht für alle dort Beschäftigten eine Sackgasse. Das IAB kam in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass etwa 13 Prozent der Beschäftigten, die im Niedriglohnsektor anfangen – also etwa jedem Achten – der Aufstieg in einen besser bezahlten Bereich gelingt11. Jeder fünfte Mann schafft den Aufstieg, von den Frauen nur jede zehnte.
Wer sich um Details bemüht, findet viele Daten für eine differenzierte Beurteilung und Korrektur des Bildes einer Absteigerrepublik.
Eine Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) 2009 für das Roman-Herzog-Institut zum „Recht auf Aufstieg“ angefertigt hat, zeigte, dass die Aufstiegschancen der Deutschen besser sind, als sie meinen. Die Einkommensmobilität bewegt sich in Deutschland im internationalen Rahmen. Die Aufstiegschancen, gemessen am Einkommen, sind nicht einmal in den USA wesentlich höher. Sowohl in Deutschland als auch in den USA schaffen jeweils rund ein Drittel der Menschen aus der untersten Einkommensschicht den sozialen Aufstieg. Zieht man die Daten des Sozio-Ökonomischen Panels für 1995 und 2007 heran, sind sogar 55 Prozent der Menschen in Deutschland in der Einkommensschichtung aufgestiegen, die meisten davon allerdings nur in die beiden nächst höheren Einkommensgruppen. Fünf Prozent schafften es in die höchste Einkommensgruppe. Die tatsächliche Aufwärtsmobilität ist erheblich höher als die wahrgenommene Chance auf einen Aufstieg. Allerdings kommt auch das IW zu dem Befund, dass sich die Aufwärtsmobilität der untersten Einkommensschicht in den letzten Jahren verringert hat. Dies führen die Autoren der Studie jedoch unter anderem auf den Wandel der Haushaltsstrukturen zu mehr Ein-Personen- und Alleinerziehenden-Haushalten zurück.
Besonders hoch ist die Einkommensmobilität von Universitätsabsolventen. Fast drei Viertel von ihnen konnten sich binnen zwölf Jahren um eine oder mehrere Einkommensgruppen verbessern. Die Daten der IW-Arbeitsmarktexperten zeigen, dass sozialer Aufstieg auch in Deutschland vor allem von der Leistung abhängt − also über Bildung und Arbeit erfolgt.
Dies bestätigt auch eine Wiederholungsbefragung der Hochschul-Informations-System GmbH von Universitäts- und FH-Absolventen unter dem Titel „Aufgestiegen und erfolgreich“. Zehn Jahre nach dem 1997 abgelegten Examen waren 16 Prozent (FH) bzw. 13 Prozent (Uni) der Absolventen leitende Angestellte. Zusammen mit den Gruppen der wissenschaftlichen Angestellten und der Selbstständigen bzw. Freiberufler sowie der Beamten nahmen die Absolventinnen und Absolventen zu ganz überwiegenden Anteilen angemessene Positionen ein. Die Einkommen der Vollzeiterwerbstätigen nach FH- oder Universitätsstudium lagen inklusive aller Zulagen durchschnittlich gleichermaßen hoch.
Besonders viele soziale Aufsteiger im Sinne der Generationenmobilität gibt es unter den Professoren der Ingenieurwissenschaften und der Informatik. Nach Befragungen der Forscher Manfred Nagel und Gerhard Müller12 haben 64 Prozent der Befragten Eltern, die beide nicht studiert haben. Überdurchschnittlich viele Professoren stammen aus handwerklich geprägten Familien. Die in letzter Zeit gesunkene