sind wichtige Voraussetzungen, um auf der IBM-Karriereleiter aufzusteigen. Henkel erfüllt sie. Die Leistungs- und Aufstiegskultur von IBM ist wie für ihn geschaffen.
Geplant wird bei IBM auf lange Sicht. Jedes Jahr muss der Jungmanager Henkel dem IBM-Deutschlandchef eine Liste vorlegen. Sie muss fünf Kandidaten benennen, die sein Nachfolger werden sollten. Ferner muss sie den Kandidaten bestimmen, der ihm sofort folgen kann, falls er plötzlich gehen müsste. Im Jahre 1986 und 1988 muss Henkel bereits das Team 2000 vorstellen, wer dann die IBM-Deutschland führen könnte. Einer der von ihm vorgeschlagenen Kandidaten wird später tatsächlich Deutschlandchef der IBM.
Ungeschriebene Verhaltenscodes gibt es auch bei IBM. Kundenbesuche haben im dunklen Anzug, weißem Hemd und Krawatte stattzufinden, die Vertriebsmitarbeiter fahren auch nicht im Sportwagen vor, nur einen Hut müssen sie nicht mehr tragen, als Henkel in die Firma kommt. Wert gelegt wird auf eine gute Allgemeinbildung und auf eine intakte Familie.
Henkel hat sein Trainee-Programm noch nicht beendet, als er davon Wind bekommt, dass die IBM auf der Weltausstellung 1964 in New York einen eigenen Pavillon mit modernster Technologie errichten will und junge IBMler für die Betreuung ausländischer Gäste sucht. Vom Fernweh gepackt bemüht er sich, mehr schlecht als recht Englisch sprechend, um den Job. Den angereisten Amerikaner, der die Kandidaten bestimmt, treibt er listenreich so in die Enge, dass dieser gar nicht anders kann, als ihm den Job anzubieten. Im Februar 1964 betritt er zum ersten Mal das Land seiner Sehnsucht, das Land des von ihm geliebten Jazz, das Land der Kennedys und der IBM. Die fast unbegrenzte Freiheit des Landes zieht ihn in ihren Bann. Als der IBM-Pavillon schließt, weiß Henkel, die USA sind sein Land. Zurück in Deutschland wird er in eine Abteilung für Computer Services gesteckt.
In Sindelfingen langweilt sich Henkel. Als der für Indien zuständige Gebietsmanager nach Sindelfingen kommt und einen Mitarbeiter für die Installation eines Stücklistenprozessors sucht, bewirbt sich Henkel. Er erhält den Job in Kalkutta vor allem, weil er mittlerweile fließend Englisch spricht. Von Stücklistenprozessoren hat er keine Ahnung. Diese eignet er sich in einem Crashkurs an. In seinen Memoiren schildert Henkel, wie er für die Inder zum Computerheld aus Germany wird. Als Hero von seinen Mitarbeitern gefeiert wird er, als er auf dem Ganges Wasserski läuft. Die Skier sind Bretter, die ihm ein Tischler angefertigt hat. Ein indischer Guru hatte zuvor behauptet, er könne auf Wasser laufen, war aber kläglich in den Fluten untergegangen. Henkel hatte daraufhin erklärt, er könne, was dem Guru misslungen ist. Das hatte sich schnell herumgesprochen. Tausende Menschen jubeln ihm zu, als er als der erste Mensch auf dem Ganges mit seinen Skiern über das Wasser gleitet. Wasserskilaufen kann Henkel bereits. Nur die Kühe, die mit aufgeblähten Bäuchen an ihm vorbei treiben, und die Asche der Verbrannten, die von den Feuerstätten in den Fluss geweht wird, setzen ihm zu.
Eigentlich hätte Henkel nach Sindelfingen und Böblingen zurückkehren müssen, aber wieder weiß er einen Zufall zu nutzen und landet als Country General Manager in Ceylon. 1969 hilft dann alles Sträuben nichts mehr, er muss nach Deutschland zurückkehren, erhält aber eine interessante Aufgabe. Er soll in München ein weltweit operierendes Beratungszentrum für die Fertigungsindustrie aufbauen. Mit seinen Mitarbeitern entwickelt Henkel ein Konzept, das COPICS genannt wird. Es soll als Basis für die Anwendungsentwicklung in der Fertigungsindustrie dienen. Er stellt es der Konzernmutter in den USA vor und empfiehlt, COPICS zu programmieren. Die Software sollte dann in den IBM- Computern eingesetzt werden.
IBM, noch ganz eine weltweit führende Hardware-Company, lehnt das ab, steht auf dem Standpunkt, die Kunden sollten sich die Anwendungen selbst programmieren. Ein Riesenfehler, kommentiert Henkel die Ablehnung. Er kann sich nicht durchsetzen.
Vier seiner Kollegen machen sich daran, auf eigene Rechnung Standardanwendungen zu entwickeln. Sie werden SAP-Milliardäre. Henkel ist zwar über die Konzernmutter frustriert, steht auch auf dem Sprungbrett, aber hat nicht den Mut, sich wie seine Kollegen selbstständig zu machen. Das Risiko ist ihm zu groß. Er hat bereits zu viel bei IBM zu verlieren. Kein anderer IBM-Manager ist in jungen Jahren so weit gekommen wie er. Außerdem hat er Familie mit Frau und Tochter.
Ein sozialer Aufsteiger ist Henkel nicht. Er ist in einer großbürgerlichen, gut situierten Hamburger Kaufmannsfamilie aufgewachsen, die zunächst in einer Villa in einem besten Hamburger Stadtteile und dann in einer herrschaftlichen Wohnung lebt. Er ist ein Bildungs- und Karriere-Aufsteiger. Er ist ein besonders cleverer Unternehmer seines Lebens, immer auf der Suche nach Chancen voranzukommen, sei es bei der Aufnahme in die Akademie, bei der Bewerbung bei IBM, beim Job im IBM-Pavillon in New York, in Indien und in Ceylon. Er hat eine Nase für Chancen, findet sie und nutzt sie entschlossen, mit einem starken Selbstvertrauen und einem Schuss Kühnheit. Von Typologien, wie sie Persönlichkeitsforscher bilden, hält Henkel nichts. Er erkennt sich aber in gleich drei Persönlichkeitstypen wieder: in dem Wettkampf-Typ, der besser als andere sein will; im ergebnisorientierten Typ, den gute Leistungen zu noch besseren motivieren, und in dem wachstumsorientierten Typ, der aus Fehlern und Rückschlägen lernt. Fehler habe er immer wieder gemacht, bekennt Henkel und zu verlieren, habe er nie gelernt. „Ich entdecke die Fehler anderer Leute“, sagt er, „weil ich mich darin selbst wieder erkenne. Das bezieht sich auf fast alles: auf Eitelkeit, Gefallsucht und Pingeligkeit“.
Auch sein nächstes Karriereziel hat der IBM-Nachwuchsmanager schon bestimmt. Er will Leiter einer IBM-Geschäftsstelle in Deutschland, am liebsten in seiner Vaterstadt Hamburg werden. Im Spaß sagt er gegenüber Freunden, er wolle einmal IBM-Generaldirektor von Deutschland werden. Noch erscheint das wie ein Traum.
Mancher seiner Vorgesetzten hat bereits seine schützende Hand über Henkel gehalten, sein großer Mentor wird Kaspar Cassani. Der Schweizer ist in diesen Jahren Vizepräsident der IBM-Europa in Paris. Henkel und Cassani kennen sich aus einer Zusammenarbeit in einer Taskforce. Auch hat Henkel Cassani bei einer Präsentation von COPICS in München beeindruckt. „Er schien geradezu einen Narren an mir gefressen zu haben“, schreibt Henkel in seinen Erinnerungen.
Eine entscheidende Weichenstellung kündigt sich an. Cassani beginnt den zehn Jahre jüngeren Henkel zu fördern, holt ihn zu sich nach Paris und betraut ihn damit, sein Sorgenkind, die Telefonanlage IBM 3750, die ein Flop zu werden droht, zu einem Erfolg zu führen. Henkel gelingt dies. Er rechtfertigt das Vertrauen, das Cassani in ihn gesetzt hat und wird zum Director of Operations befördert. In seinen Erinnerungen zeichnet Henkel von Cassani das Bild einer großen, bescheidenen Persönlichkeit, eines vorbildlichen, ehrgeizigen, zuweilen allerdings auch etwas rechthaberischen und zu selten lobenden Managers. Für Henkel wird Cassani beides: sein Vorbild und sein Vorgänger als Chef der IBM- Europa.
Neben Griechenland und dem Nahen Osten gehört auch Afrika zu dem neuen Verantwortungsbereich des Directors of Operations in Paris. 1978 klettert Henkel in der IBM-Hierarchie nach oben, wird Director of Operations für eine Reihe mitteleuropäischer Länder. Henkel reüssiert mit dem Konglomerat aus über 80 Ländern, für das er zuständig ist. Es ist vom Umsatz und Ertrag bedeutender als Deutschland. Er ist zu dieser Zeit bereits Vicepresident IBM-Europe. Cassani, mittlerweile Europa- Chef der IBM, gerät unter Druck. Die Konzernmutter akzeptiert nicht, dass in Deutschland weniger verdient wird als in anderen Ländern, erwartet, dass die Ergebnisse besser werden. Sie will Aktionen sehen. Cassanis Aktion liegt darin, der Zentrale Henkel als Troubleshooter für die IBM-Deutschland zu empfehlen. Henkel startet in Stuttgart als stellvertretender Vorsitzender, nach kurzer Einarbeitungszeit wird er Chef. IBM gewinnt unter Henkels Führung die an Nixdorf verlorenen Marktanteile zurück, klettert auf Platz fünf der in Deutschland meist geschätzten Unternehmen und auf Platz drei der am besten gemanagten Unternehmen. Nur im Wettbewerb mit SAP bleibt IBM zweiter Sieger. Bei den immer preiswerter werdenden PC spürt IBM den schärfer gewordenen Wettbewerb. Einen langfristig folgenschweren Fehler macht Henkel, als er an dem IBM-Betriebssystem OS2 festhält und Bill Gates abblitzen lässt, der ihn bei einem Besuch in Stuttgart bewegen will, Windows zu übernehmen.
Friedrich Wilhelm Sparberg, der aus dem in dem Konzern wenig geachteten Finanzbereich zum Chef der IBM-Deutschland aufgestiegen ist, wird 1985 von der US-Zentrale in Armonk ersetzt. Die deutschen Umsatz- und Ertragszahlen sind hinter den weltweiten IBM-Ergebnissen zurückgeblieben. Diese schlechteren Ergebnisse spiegeln allerdings zum großen Teil nur die deutschen Standortnachteile wider. Henkel meint in der Rückschau, es sei etwas unfair gewesen,