Irene Dorfner

GIERSCHLUND


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Fuchs, Leiter der Spurensicherung, war vor den Kriminalbeamten eingetroffen. Er gab am Tatort den Ton an und kümmerte sich persönlich darum, dass das Absperrband korrekt und vor allem weit genug angebracht wurde. Dabei ging es nicht nur um den Toten und das Mofa, sondern auch um den Feldweg, der jetzt nicht mehr betreten werden durfte. Die Schaulustigen, die von Fuchs, seinen Mitarbeitern und uniformierten Polizisten zurückgedrängt wurden, mussten von den Feldern aus rechts und links des Feldwegs zusehen. Pöbelnde Gaffer wies Fuchs harsch zurecht, seine Mitarbeiter machten es ihm gleich. Es dauerte nicht lange, und alle hatten einen Heidenrespekt vor der Spurensicherung, die in ihren Schutzanzügen beeindruckend aussahen. Fuchs kümmerte sich darum, dass Tücher um die Leiche gehängt wurden, womit dem Toten ein Mindestmaß an Respekt entgegengebracht werden konnte. Das wurde zwar mit Murren von den Umstehenden quittiert, aber man hatte im Grunde genommen Verständnis dafür.

      Fuchs und seine Mitarbeiter konnten sich endlich an die Arbeit machen.

      Die Kriminalbeamten waren zwar später angekommen, aber für Fuchs waren sie trotzdem zu früh vor Ort. Er brauchte Ruhe bei seiner Arbeit und wie so oft gab er erst Informationen raus, wenn er dazu bereit war. Und das konnte dauern.

      Hans und Leo befragten derweil die Schaulustigen, von denen niemand etwas gehört oder gesehen hatte. Dem Einzelnen wäre es vielleicht peinlich gewesen, zugeben zu müssen, dass er hier nur der Neugier wegen stand. Aber in der Gruppe war jeder stark, da es jedem gleich ging.

      Viktoria befragte den Mann, der den Toten gefunden hatte. Karl Eberhardt war immer noch käsebleich. Der fünfundsechzigjährige Rentner streichelte seinen Hund, der fortwährend an der Leine zerrte und weitergehen wollte. Der braune Labrador war noch recht jung. Er verstand nicht, warum sein Herrchen seit nunmehr einer Stunde nicht weiterging, wie er es sonst immer tat.

      „Sie haben den Toten gefunden?“

      „Eigentlich hat mein Bertl die Leiche gefunden, ich habe lediglich die Polizei informiert. Wer rechnet denn bei einem harmlosen Spaziergang mit einer Leiche? Ich hätte gerne darauf verzichtet, das können Sie mir glauben. Ich wollte einfach nur mit meinem Hund spazieren gehen, mehr nicht. Da vorn lass ich ihn immer von der Leine. Er tobt über Wiesen und Felder. Das mag der Bauer nicht, aber das ist mir egal.“

      „Sie kennen den Landwirt?“

      „Ja. Sein Name ist Hofberger, Michael Hofberger. Der Mann mag keine Hunde und vertreibt alle, aber bei mir beißt er auf Granit. Seine Drohungen und Beschimpfungen sind mir völlig egal. Die Gassi-Runden über die Felder und Wiesen sind herrlich. Hier kann mein Bertl herumtoben, so viel er will. Meinem Vierbeiner möchte ich die Freiheit geben, ohne Leine herumzutoben und die Welt zu erkunden, was hier geradezu ideal ist. Der Bauer konnte mit seiner schroffen Art viele erschrecken und hat sie vertrieben, mein Bertl und ich sind quasi allein unterwegs.“

      Viktoria konnte den Mann verstehen, auch wenn sie es nicht gutheißen durfte. Das hier war offensichtlich Privatgrund, Spaziergänger und vor allem Hundebesitzer mussten sich an die Anweisungen des Eigentümers halten. Aber deshalb war sie nicht hier.

      „Ihr Hund hat die Leiche im Maisfeld gefunden. Wie muss ich mir das genau vorstellen?“

      „Der Bertl hat gebellt wie verrückt. Ich dachte an einen Hasen oder vielleicht sogar an ein Rehkitz. Ich habe ihn gerufen, aber er kam nicht. Also bin ich hinterher. Dann sah ich die Leiche. Ich habe gleich gesehen, dass der tot ist. Der Anblick war schrecklich, den werde ich in meinem ganzen Leben nicht mehr vergessen.“

      „Haben Sie etwas angefasst?“

      „Nein, das habe ich dem Polizisten bereits gesagt. Ich rief umgehend die 110 an und seitdem bin ich hier. Kann ich bitte gehen? Sie sehen ja, dass mein Bertl nicht der Geduldigste ist. Dafür, dass wir schon so lange hier sind, hält er sich wirklich prima. Nicht wahr, Bertl? Du bist ein ganz ein Braver!“

      „Wir haben Ihre Personalien?“

      „Selbstverständlich.“

      „Dann dürfen Sie gehen. Vielen Dank.“

      Viktoria hob das Absperrband und schlüpfte darunter durch. Sie sah sich um, was von Fuchs beobachtet und mit einem strafenden Blick quittiert wurde. Das war Viktoria gleichgültig. Sie besah sich alles sehr genau. Der Kollege, der die Kriminalpolizei informiert hatte, hatte richtig gehandelt. Auf dem Feldweg sah man deutlich Spuren eines Unfalls. Aber das Opfer und das Mofa passten nicht dazu, dafür lag beides zu weit entfernt. Außerdem konnte Viktoria die Schleifspuren mit bloßem Auge erkennen.

      „Was haben Sie, Kollege Fuchs?“

      „Ich bin noch nicht so weit! Warum müssen Sie mich immer bedrängen?“

      „Weil ich sonst noch Stunden warten muss, und darauf habe ich keine Lust. Raus mit der Sprache: Was haben Sie?“ Viktoria und Fuchs konnten sich noch nie richtig leiden, dafür waren die beiden zu unterschiedlich.

      Fuchs war sauer. Die anderen Kriminalbeamten konnte er abwimmeln, aber mit der aktuellen Leiterin der Mordkommission durfte er nicht so umgehen. Auch wenn er die Kollegin Untermaier nicht besonders mochte, was auch auf die Kollegin Struck zutraf, die ähnlich penetrant war, musste er Auskunft geben.

      „Zunächst weise ich darauf hin, dass meine Angaben nur vorläufig sein können, da ich noch nicht die Möglichkeit hatte, genauere Untersuchungen vorzunehmen, dafür war die Zeit zu kurz.“

      „Das ist mir klar. Was ist hier passiert, Fuchs? So, wie ich das sehe, wurde das Opfer angefahren. Danach wurden Opfer und Mofa in das Maisfeld geschleift.“

      „Richtig. Meines Erachtens muss das Opfer frontal angefahren worden sein. Die Geschwindigkeit des Unfallfahrzeuges dürfte nicht unerheblich gewesen sein. Bremsspuren sind quasi kaum vorhanden. Für mich sieht das nach Absicht aus.“

      „Sie meinen, er wurde von vorn angefahren? Er fuhr nicht mit dem Mofa?“

      „Ja. Das Opfer muss so gestanden haben.“ Fuchs demonstrierte auf dem Feldweg stehend, wie der junge Mann angefahren worden sein musste. Unter den Schaulustigen wurde es mucksmäuschenstill. Endlich geschah etwas, das niemand verpassen wollte.

      „Sind Sie sicher, Kollege Fuchs? Wenn ich mir das Mofa so ansehe, habe ich meine Zweifel“, bemerkte Hans, der mit Leo und Werner hinzugestoßen war.

      „Das Mofa sieht zwar schlimm aus, aber ich gehe nicht davon aus, dass es in den vermeintlichen Unfall involviert war. Sehen Sie, dass der Mofa-Ständer betätigt wurde?“

      „Tatsächlich. Der Mofa-Ständer ist unten. Todeszeit?“

      „Dafür muss das Opfer erst in die Pathologie.“

      „Nur eine vage Vermutung, mehr brauche ich nicht. Ist er heute Morgen gestorben, gestern Abend oder um Mitternacht?“

      „Wenn ich die warme Nacht und die Umstände des Fundortes berücksichtige, würde ich eine vorläufige Todeszeit um circa zwei oder drei Uhr ansetzen. Aber das ist nur eine erste Einschätzung und muss bestätigt werden. Verlangen Sie jetzt bitte keine näheren Details, die zum Tod geführt haben, mehr werde ich dazu nicht sagen.“

      Leo machte eifrig Notizen.

      „Hatte das Opfer Papiere bei sich?“

      „Leider nicht.“

      „Das Kennzeichen des Mofas?“

      „Negativ. Das Schutzblech sieht nicht danach aus, als ob in letzter Zeit ein Kennzeichen angebracht gewesen wäre.“

      Leo sah sich das Opfer zum ersten Mal an.

      „So ein junger Mensch. Ich schätze das Alter auf etwa zwanzig.“

      „Ja, so würde ich ihn auch einschätzen. Die genauere Beschreibung ersehen Sie selbst, dafür brauchen Sie mich nicht. Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden? Es gibt noch viel zu tun.“

      Die Fahrzeuge der Schaulustigen fuhren eines nach dem anderen davon. Niemand wollte, dass sein Wagen abgeschleppt wurde, das ging dann doch zu weit. Außerdem ließ das Interesse nach,