Thomas Manderley

Flammender Schnee


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ich fahre da jedes Jahr hin. Dieses Mal hat mich allerdings das Wetter böse erwischt. Es war so ein starker Schneefall, dass ich fast nichts mehr gesehen habe, schon gar nicht die Fahrbahn.“

      Der Inspektor sitzt regungslos und mit gelangweilter Miene zurückgelehnt auf seinem Stuhl. Da von ihm jetzt wohl keine Frage kommen wird, rede ich einfach weiter: „Dann war irgendwann die Straße gesperrt, die ich nehmen wollte und ich bin der Umleitung nachgefahren, die ausgeschildert war. Trotzdem muss ich dabei wohl irgendwo falsch abgebogen sein und habe dann vollkommen die Orientierung verloren. Ab da habe ich mich dann mehr oder weniger nach der Himmelsrichtung orientiert, aber das hat wohl nicht so gut geklappt.“

      „Aber warum haben Sie nicht einfach angehalten und den Schneesturm abgewartet?“

      „Na ja, wissen Sie: Man glaubt ja immer, dass man die Situation noch beherrscht.“

      „Sie haben sie jedenfalls nicht beherrscht. Wir haben Ihr Auto gefunden. Es ist ausgebrannt und komplett zerstört.“ sagt der Inspektor mit ermahnender Stimme.

      „Ja stimmt, aber der Wagen ist erst hinterher angezündet worden.“

      „Mutmaßlich!“

      „Nein, Herr Inspektor, da bin ich mir sicher!“

      Der Inspektor macht eine kurze Denkpause, kommt aber offenbar zu keinem Ergebnis: „Das klären wir besser später.“

      „Ich habe jedenfalls nicht mein eigenes Auto angezündet, um die Versicherung zu kassieren, wenn Sie das meinen!“

      „Na schön, dann mal weiter.“ Der Inspektor schreibt sich etwas auf seinen Notizblock. Ich komme mir vor, wie in einer Schulprüfung.

      Ich werde so wie so nicht herausfinden, was er da genau aufschreibt, also kehre ich zu meiner alten Taktik zurück und erzähle einfach weiter: „Auf so einer kleinen Landstraße mitten im Nirgendwo bin ich ins Schlingern geraten und so einen VW Bus kann man dann nur sehr schwer abfangen. So bin ich dann von der Straße gerutscht und gegen einen Begrenzungspfahl oder einen Stein geprallt. Besser gesagt, bin ich da voll drüber gefahren, mit dem Erfolg, dass die Radaufhängung gebrochen ist. Also konnte ich nichts weiter tun, als den Wagen dort zu lassen, wo er war. Ich habe mir dann ein paar von meinen Sachen geschnappt und bin zu Fuß weiter marschiert, in der Hoffnung, dass ich zu irgendeiner Siedlung komme, oder zu einem Bauernhof.“

      „War nicht sehr angenehm bei dem Wetter, oder?“

      „Na ja, sehr weit musste ich gar nicht laufen. Vielleicht anderthalb Kilometer weiter war ein Dorf, ‚Klamm’ war der Name. Vielleicht kennen Sie es ja.“

      „Jetzt schon, aber erzählen Sie weiter.“

      Ich möchte reden, aber ich spüre, wie mein Puls in die Höhe schnellt. Bilder jagen wieder durch meinen Kopf: Feuer, Schreie, Blut, Kälte. Das Atmen fällt mir schwerer und diese unangenehme Enge, die meinen Oberkörper langsam immer weiter einschnürt, treibt mir den kalten Schweiß auf die Stirn.

      Der Inspektor hingegen sitzt auf seinem Stuhl und sieht mich mit absolut regungslos entspannter Miene an. Seine störrische Ruhe wirkt auf unerklärliche Weise ansteckend und so gelingt es mir doch, weiter zu sprechen: „Klamm ist so ein richtiges Dorf, wie aus dem Bilderbuch: Viele Bauernhöfe, Scheunen, ein Tante-Emma-Laden, eine kleine Kirche und eine Dorfwirtschaft am zentralen Platz. Die Häuser sehen alle noch so aus, wie im Mittelalter. Nicht mal alle Wege sind richtig befestigt, soweit ich das sehen konnte. Es lag ja viel Schnee.“

      „Ja, solche Dörfer gibt es hier in der Gegend noch recht oft. Da meint man manchmal, die Zeit wäre stehengeblieben.“

      „Ja, Herr Inspektor. Das war auch mein erster Eindruck. Aber ich war natürlich froh, überhaupt so schnell ein Dorf gefunden zu haben bei dem Wetter. Ich bin da also geradewegs rein marschiert. Es war fast niemand auf der Straße, nur so ein seltsamer Kauz, der mitten im Sturm draußen am Schneeschippen war. Als ich da vorbei gegangen bin, hat er aufgehört zu schaufeln und hat mir hinterher gesehen, als käme ich vom Mars. Dann ist mir aufgefallen, dass mich ein paar der Dorfbewohner durch ihre Fenster hindurch beobachten. Aber ich war so durchgefroren und so fertig, dass mir das alles egal war. Manche Sturmböen waren so heftig, dass ich gedacht habe, meine Nase und meine Ohren würden abfrieren und als Eisblock in den Schnee fallen. Ich musste die Augen zusammenkneifen und mich gegen den Wind stemmen, um nicht umgerissen zu werden.“

      „Warum sind Sie nicht einfach zu einem der Häuser gegangen und haben um Hilfe gebeten?“

      „Na ja, irgendwie kam mir das alles vor, wie ein schlechter Film, als wäre es nicht real. Also bin ich weitergelaufen. Dann habe ich die Dorfwirtschaft gesehen und bin da erst mal hineingegangen, in der Hoffnung auf ein Telefon, aber Fehlanzeige.“

      „Wir haben zwar schon 1960, aber trotzdem hat keines der kleinen Dörfer hier einen Anschluss. Das ist zwar alles schon geplant, aber Sie kennen ja die Post.“

      „Ja, Herr Inspektor, die Post ist auch meine persönliche Freundin.“

      „Wessen nicht?“ Der Inspektor schmunzelt.

      Auch ich muss lachen, verkneife es mir aber. „In der Wirtschaft waren ein paar Männer, die an einem Tisch saßen und Bier tranken. Und Anna, die Wirtin war natürlich da.“

      „Frau Burleitner war also die Wirtin der Dorfschänke? Das ist ungewöhnlich. Sie ist noch recht jung, etwa Ihr Alter. Eine Wirtschaft in einem Dorf ist wie eine Institution. Das ist eine Männerdomäne. Junge Mädels können sich da nicht behaupten.“

      „Da gebe ich Ihnen Recht, aber Annas Vater, dem die Wirtschaft gehört hatte, ist erst vor kurzer Zeit verstorben. Anna führte den Laden dann weiter. Ich glaube aber, dass sie von der Dorfgemeinschaft akzeptiert wurde.“

      „Und woran machen Sie das fest?“

      „Kann ich nicht genau sagen. Als Reporter bin ich auch ein wenig Menschenkenner. Aber vielleicht bilde ich mir das ja auch nur ein.“

      Der Inspektor lacht: „Das mit der Menschenkenntnis?“

      „Nein, das mit Anna und der Akzeptanz. Aber zurück zum Thema: Ich bin also in die Wirtschaft rein und die Männer am Tisch haben sofort aufgehört, sich zu unterhalten. Sie starrten mich an und verfolgten jeden meiner Schritte, als ob ich eine teuflische Krankheit hätte, oder so etwas. Auch Anna hat mich zunächst vollkommen entgeistert angesehen. Also bin ich möglichst zurückhaltend und langsam weitergegangen, um nicht irgendwen zu provozieren, aber der alte Dielenboden hat bei jedem Schritt geknackst, als wäre er dreihundert Jahre alt.“

      „Kann sogar sein.“ sagt der Inspektor, ohne von seinem Notizblock aufzuschauen.

      „Ich ging zum Tresen und fragte Anna nach einem Telefon, aber sie hatte keins. Ich saß wirklich fest. Also habe ich mir einen Schnaps bestellt und mich erst einmal an die Theke gesetzt. Anna hat dann gefragt, was passiert sei und ich habe ihr von dem Unfall erzählt und wo ich herkomme und so weiter. Die anderen Männer haben alles genauestens beobachtet und ständig getuschelt. Manchmal war auch eine Bemerkung über meine Kleidung dabei, die dann etwas lauter ausgesprochen wurde, so dass ich sie auch bestimmt hören konnte. Genauer gesagt, glaube ich, dass es um meine Kleidung ging, denn verstanden habe ich die Männer nicht wirklich. Aber Anna war sehr nett und auch irgendwie süß und so waren mir die anderen Leute vollkommen egal.“

      „Es sind Bauern, einfache Leute. Sie arbeiten hart und haben nicht viel Abwechslung im Leben. Für die sind sie mit ihrer Großstadtkleidung und ihrem fremden Dialekt wirklich so etwas wie ein Außerirdischer. Das müssen sie hier nicht so ernst nehmen.“

      „Habe ich zuerst auch nicht, Herr Inspektor. Aber später habe ich das bereut.“

      „Inwiefern?“

      „Da komme ich noch zu. Also Anna hat mir dann ein Zimmer im ersten Stock angeboten. Es ist ein Fremdenzimmer, das ewig nicht benutzt wurde. Ich saß ja fest, also willigte ich ein. Daraufhin stand einer der Männer auf und rief sehr laut etwas zu mir und Anna herüber, aber der Dialekt war so stark, dass ich mal wieder nichts verstanden habe. Es könnte aber auch sein, dass der Typ schon total voll