Thomas Manderley

Flammender Schnee


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Herr Inspektor, wir können weitermachen, wenn Sie mögen.“

      „Gut.“ Der Inspektor holt sich einen Stuhl und setzt sich neben mein Bett. Dann nimmt er seinen Notizblock zur Hand und blättert ein wenig darin rum. „Sie erzählten mir beim letzten Mal, wie Sie Ihren ausgebrannten VW-Bus gefunden haben. Dann sind Sie zurück ins Dorf. Und weiter?“

      „Ich bin wieder zur Schänke. Ich wollte Anna zwar nicht aus dem Bett holen, es war ja noch sehr früh, aber mir blieb keine andere Wahl. Also hab’ ich geklingelt, ein paar Mal. Dann hat sie endlich aufgemacht und mich hereingelassen.“

      „War sie nicht wütend auf Sie?“

      „Na, nennen wir es mal ‚leicht sauer’, aber sie hatte vollstes Verständnis, nachdem ich ihr erzählt hatte, was passiert war. Wir sind rauf in ihre Wohnung und sie hat erst einmal Frühstück für uns gemacht. Ihre Einrichtung sah übrigens aus, als wäre sie von ihren Großeltern geerbt. Alter Bauernstil, wie aus dem Museum. Es passte überhaupt nicht zu ihr. Mit ihren offenen Haaren und ihrem Morgenmantel sah sie eigentlich aus, wie eine moderne Frau aus der Großstadt.“

      „Sie lieben sie, nicht wahr?“

      Mein Herz beginnt schlagartig zu rasen und meine Atemzüge werden deutlich intensiver, aber ich reiße mich zusammen: „Ja, und ich glaube, an diesem Morgen war’s um mich geschehen.“

      „Haben Sie es ihr gesagt?“

      „Nein, noch nicht. Das heißt. Nicht direkt. Aber dazu komme ich noch. Zunächst habe ich sie gefragt, ob sie ein Auto hätte und mich zur nächsten Stadt bringen könne. Aber Anna schüttelte nur den Kopf. Sie sagte: ‚Nein, hier haben nicht viele Leute ein Auto. Die meisten hier brauchen auch gar keins. Sie verlassen das Dorf sowieso nie.’

      ‚Und Deine Waren? Woher bekommst Du die?’ Ich war einfach neugierig.

      ‚Ein Bauer aus dem Dorf hat einen kleinen LKW. Der besorgt mir alles und auch die Waren für den keinen Laden, drüben auf der anderen Seite des Platzes.’

      ‚Kann der Mann mich nicht in die nächste Stadt fahren?’

      ‚Nein, er wird Dir nicht helfen. Außer mir, wird Dir hier im Dorf niemand helfen.’ Anna klang kalt und vollkommen ernst, so dass mir regelrecht ein Schauer über den Rücken lief.“

      „Hat Sie Ihnen erklärt weshalb nicht?“

      „Nein, Herr Inspektor. Mir war aber eigentlich schon klar, dass ich im Dorf nicht besonders willkommen war.“

      „Und was haben Sie dann gemacht?“

      „Ich war ziemlich ärgerlich wegen dieser seltsamen Sorte Mensch, auf die ich da getroffen war. Also habe ich mich höflich verabschiedet und bin auf eigene Faust los. Meine Sachen habe ich erst einmal bei Anna gelassen. Ich bin zurück zur Straße gegangen und habe mich dann auf der anderen Seite umgesehen. Vielleicht gab es da noch ein anderes Dorf, vielleicht sogar eines mit Telefon. Und tatsächlich: Gar nicht weit, vielleicht einen knappen Kilometer hinter der Straße, lag noch ein Dorf. Es hieß Feilnberg, sah aber genauso armselig aus, wie Klamm.“

      Der Inspektor runzelt die Stirn, sagt aber nichts. Wahrscheinlich mag er es nicht, wenn man die Dörfer in seiner Heimat als ‚armselig‘ bezeichnet. Aber ich erzähle ja nur, wie ich das Ganze empfunden habe.

      „Aber irgendwie war Feilnberg noch ein wenig grusliger als Klamm. Hier war niemand, aber wirklich niemand zu sehen. Das gesamte Dorf sah wie verlassen aus. Aber ich bin trotzdem erst einmal weitergegangen und auch hier gab es einen zentralen Platz mit Schänke. Das war natürlich meine erste Anlaufstelle. Aber es war ja noch sehr früh und so stand ich vor verschlossenen Türen. Als ich mich umdrehte und wieder gehen wollte, standen plötzlich zwei Männer vor mir: Einer im Arbeitsanzug mit Schiebermütze und ein anderer, der so groß war wie ein Schrank. An seine Kleidung kann ich mich nicht mehr erinnern, aber ich weiß noch, dass er stank wie ein Schweinestall. Vermutlich kam er da auch gerade her.“

      „Haben die Sie bedroht?“

      „Ja. Der kleinere von beiden, der mit der Mütze, grunzte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Ich hab’ nur mit den Schultern gezuckt und den Kleiderschrank fragend angesehen. Der schrie dann so etwas wie ‚Hau ab, aber schnell!’, packte mich am Kragen, zog mich von der Tür weg und ich landete mit Schwung im Schnee.“

      „Haben Sie sich zur Wehr gesetzt?“

      „Nein, ich bin doch nicht wahnsinnig. Ich bin aufgestanden und schnell weggegangen. Die Typen haben mich in einigem Abstand noch bis zur Dorfgrenze hin verfolgt.“

      „Wie ich Ihnen sagte: Für die sind Sie ein Außerirdischer.“

      „Sie werden noch sehen, was dahinter steckt, glauben Sie mir, Herr Inspektor.“

      „Gut, dann mal weiter!“

      „Ich bin schnellstens zurück nach Klamm und zu Annas Wirtschaft gelaufen. Inzwischen waren aber schon einige Leute auf der Straße unterwegs und ich wollte nicht wieder irgendwelche Unannehmlichkeiten mit aggressiven Dorfbewohnern haben. Also hab’ ich mich mehr ins Dorf geschlichen.“

      „Und wie das?“

      „Hinterm Heuwagen versteckt, oder hinter Hausecken, bis die Luft rein war. Ein paar Leute werden mich schon gesehen haben, aber egal: Ich bin da angekommen, wo ich hinwollte. Anna hatte inzwischen geöffnet, aber es war noch kein Gast da. Als ich hereinkam, sah mich Anna total verschreckt an und fragte gleich ganz aufgeregt: ‚Bist Du auf der anderen Straßenseite gewesen, in Feilnberg?’

      ‚Ja, aber da gibt es vielleicht komische Typen. Die hätten mich fast verprügelt.’

      Anna ist total zusammengezuckt: ‚Tobias, geh nie wieder in das Dorf. Nie wieder, hörst Du?’

      ‚Aber warum …’

      Anna unterbrach mich: ‚Das geht nicht. Da gehen seltsame Dinge vor sich. Tue es mir zu Liebe nicht, bitte.’

      Da hatte ich keine andere Wahl, als ‚Ja’ zu sagen. Aber wie Sie ja bereits wissen, bin ich Reporter und immer auf der Suche nach einer Story. Mir war eigentlich schon klar, dass ich trotzdem versuchen werde, rauszufinden, welche ‚seltsamen‘ Dinge da so vor sich gehen. Und natürlich habe ich versucht, Anna auszuquetschen. Leider sind in diesem Moment zwei Männer hereingekommen. Ich wollte jedem Streit aus dem Weg gehen und bin schnell hinauf in das Gästezimmer gegangen. Da habe ich mich dann sofort auf die Lauer gelegt und gelauscht.“

      „Und was gab es zu hören? Konnten Sie denn etwas verstehen?“

      „Nein, denn es ging viel heftiger zu, als am Vorabend. Ich glaube, es waren auch noch weitere Männer hinzugekommen. Alle haben sich angeschrien und auch Anna hat lautstark dagegengehalten. Manchmal hatte ich richtig Angst um sie.“

      „Sie hätten nach unten gehen können, die Situation aufklären und zusichern können, dass Sie das Dorf schnellstmöglich verlassen.“

      „Ja, stimmt Herr Inspektor. Aber ich war zu neugierig und vielleicht auch zu ängstlich. Es wäre auf jeden Fall besser gewesen, nach unten zu gehen, klar zu sagen was Sache ist und gut. Aber hinterher ist man halt immer schlauer.“

      „Sie haben also einfach abgewartet und zugehört.“

      „Ja, muss ich zu meiner tiefen Schande gestehen. Ich habe wieder nicht so richtig viel verstanden, aber es ging wohl einmal mehr um meine Anwesenheit. Als die Männer dann weg waren, das war schon am Nachmittag, so gegen vier, bin ich runter und habe Anna ganz direkt und ohne um den heißen Brei herumzureden gefragt: ‚Was haben die Typen gegen mich und warum setzen die Dich so dermaßen unter Druck?’

      Anna sah mich nur mit großen Augen an, als ob sie in meinem Gesicht etwas Bestimmtes suchte. Dann wandte sie sich schnell ab und verschwand hinter ihrem Tresen. Ich hatte die Nase voll vom Versteckspiel und bin ihr hinterher. ‚Du musst hier verschwinden.’ sagte Sie plötzlich. ‚Am besten sofort. Bis zur nächsten Stadt bist Du zu Fuß mit Sicherheit acht oder vielleicht sogar neun Stunden unterwegs, aber glaub’ mir: Es ist besser so. Ich gebe