Thomas Manderley

Flammender Schnee


Скачать книгу

hat dann zurück geschrien, dass dies ihre Kneipe sei und er sich nicht einmischen soll. Der Mann hat sich dann wieder hingesetzt und noch irgendetwas in seinen Bart genuschelt.“

      „Wie der Mann hieß, wissen Sie nicht?“

      „Nein, Herr Inspektor, leider nicht. Ich hab den später zwar noch ein paar Mal gesehen, aber sonst nichts. Na ja, ich bin dann rauf in das Zimmer. Es sah aus wie ein altes Verließ auf einem Schlossturm. Anna hat mir aufgeschlossen und mir Bettzeug gebracht. Sie hat sich tausende Male entschuldigt, dass das Zimmer so heruntergekommen sei. Es war ihr anscheinend sehr peinlich.“

      „Na wie sah es denn da genau aus?“

      „Wände, Möbel, Fenster, alles war dreckig und mit Spinnweben überzogen. Aber was heißt Möbel: Es gab ja nur ein Bett und einen Stuhl. Ach ja, ein Waschbecken gab es auch, aber ich glaube bei dem Versuch, sich da zu waschen, wäre man eher noch dreckiger geworden. Ein Klo gab es nicht, nur unten in der Kneipe, was noch zum Problem werden sollte, aber gut. Das es elektrisches Licht gab, war das Erstaunlichste. Es bestand zwar nur aus einer schwachen Glühbirne über der Tür, aber zu diesem Zeitpunkt war mir das alles egal. Selbst die ungefähr zehn bis zwanzig größeren Spinnen an den Wänden und der Decke waren mir egal. Die kleineren habe ich gar nicht erst gezählt.“

      „Konnten Sie da überhaupt ein Auge zu machen?“

      „Ich hab zunächst geschlafen wie ein Stein. Ich war ja auch ziemlich fertig und der Schnaps tat sein übriges dazu. Aber dann passierte das, was ich wirklich hasse: Ich musste nachts zur Toilette. Das passiert eigentlich fast jede Nacht, aber musste es nun ausgerechnet in dieser Nacht auch so sein?“

      Der Inspektor sieht kurz auf zu mir, verzieht aber keine Miene.

      „Auf jeden Fall war es noch gar nicht so spät, denn unten in der Kneipe war noch Betrieb. Mir blieb ja nichts anderes übrig, als runter zu gehen, aber als ich die Zimmertür öffnete, konnte ich hören, dass die Männer wie wild auf Anna einredeten und sie unter Druck setzten. Und ganz offensichtlich war ich der Grund dafür. Anna hat sich allerdings mächtig gewehrt.“

      „Aber Sie sagten, dass Sie Probleme haben, den hiesigen Dialekt zu verstehen. Wie können Sie dann wissen, worüber ein Stockwerk unter Ihnen gesprochen wurde, zumal vermutlich alle gleichzeitig redeten?“

      „Na ja, ich habe mich stark konzentriert. Ein paar Wortfetzen konnte ich schon verstehen. So etwas wie ‚Du weißt nix über den.’ oder ‚Ich gehe jetzt rauf und schmeiß den Kerl raus.’ Na und Anna habe ich so wie so besser verstanden. Sie schrie immerzu ‚Es ist mein Haus.’ und ‚Jetzt verschwindet endlich.’ und so weiter.“

      „Und wie lange ging das so?“

      „Eine Viertelstunde vielleicht. Wie lange das vorher schon ging, weiß ich natürlich nicht.“

      „Ja und dann?“

      „Dann sind die Männer gegangen. Ich bin aber erst runter, als es wirklich komplett still war und Anna nach oben in ihre Wohnung gegangen ist. Bis dahin habe ich angehalten, auch wenn es extrem schwierig war. Oh Gott, Sie können sich nicht vorstellen, wie ich gelitten habe.“

      Der Inspektor sieht kurz von seinem Notizblock auf, lässt diesen Sachverhalt aber unkommentiert.

      „Ich bin dann ins Bett und habe mir nur gedacht, dass ich morgen so wie so weiterfahren werde und die mich alle einmal … Sie wissen schon.“

      „Ja, ja, weiß ich.“

      „Nun gut. Am nächsten Morgen bin ich früh raus. Jeder einzelne Hahn in diesem Dorf, und das müssen tausende gewesen sein, hat pausenlos gekräht und das ab vier Uhr morgens. So gegen fünf war ich schon draußen. Unten war noch abgeschlossen. Also bin ich einfach zum Fenster raus geklettert und zurück zu meinem Wagen gegangen. Ich wollte ein anderes Auto anhalten und bis zur nächsten Stadt mitfahren. Der Schneesturm war vorbei. Trotzdem war Klamm an diesem Morgen ein Geisterdorf. Niemand war zu sehen. Na gut, es war ja auch noch sehr früh. Als ich dann zu meinem Auto kam, war es vollkommen ausgebrannt. Ich habe mich erst einmal in den Schnee gesetzt und wollte wirklich anfangen zu heulen, aber meine innerliche Wut war stärker. Also stand ich wieder auf und sammelte ein paar meiner Sachen ein, die rings um das Auto herum verstreut im Schnee lagen. Jemand hatte also erst randaliert und den Wagen dann angezündet.“

      „Eine Idee, wer das gewesen sein könnte?“

      „Ja, aber dazu komme ich noch. Mir war das am Anfang auch noch ein Rätsel, denn wenn mich die Typen in der Schänke so dringend wieder loswerden wollten, wieso zündeten die dann mein Auto an? Auf jeden Fall bin ich erst einmal wieder zurück ins Dorf.“

      Eine Schwester kommt herein. „Herr Inspektor, der Patient braucht jetzt Ruhe. Ich würde Sie bitten, Ihre Befragungen morgen weiterzuführen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.“ Sie schiebt sich zwischen meinem Bett und dem Inspektor hindurch und beginnt, meinen Puls zu messen.

      Der Inspektor steht auf und steckt seinen Notizblock ein. „Gut, Herr Gruber. Ich komme dann morgen wieder. Ruhen Sie sich erst einmal aus.“ Er lächelt und geht.

      Ich will noch nicht schlafen. Ich bin noch viel zu aufgeregt dazu. Das viele Erzählen hat mich schon angestrengt, aber müde bin ich keinesfalls. Die Schwester kontrolliert meinen Tropf, geht kurz hinaus und kommt mit einem Tablett zurück, auf dem mein Abendessen steht: Hühnersuppe und ein Pudding zum Nachtisch. Ich habe keinen Hunger, aber ich esse. Vielleicht beruhigt mich das etwas. Ich schaufle das Essen in mich hinein, ohne es recht zu merken, denn meine Gedanken sind bei ihr. Sie konnte nichts dafür, war nur das Opfer. Ich denke an ihr langes dunkelblondes Haar, ihre freundlichen, aber traurigen Augen und ihr Lächeln, das mich vom ersten Tag an in seinen Bann zog. ‚Es geht ihr gut’ rede ich mir ein und sie ist ganz nah bei mir. Doch dann male ich mir wieder aus, was wohl mir ihr geschehen sein könnte. Ich steigere mich in immer wildere und schrecklichere Szenarien hinein, die mich fast vollkommen um den Verstand bringen. Oh Gott Anna, was haben sie Dir angetan.

      3. Kapitel

      Der nächste Morgen beginnt besser. Ich fühle mich kräftiger, aber nicht minder aufgewühlt. Geschlafen habe ich auch ganz gut, auch wenn mich abermals Alpträume plagten. Auf die Toilette musste ich auch nicht, aber nur deswegen, weil sie mir bei der Einlieferung einen Katheter gelegt haben. Mein Frühstück, das mir ein Pfleger hastig hereinbringt, besteht aus grauem Brot mit recht geschmacklos aussehendem Aufschnitt. Es folgen einige Untersuchungen, gefolgt vom Wechseln des Urinbehälters. Und da war noch die schnell vorbeieilende und aus aufmunternden Floskeln bestehende Chefarztvisite, die so schnell vorbei war, dass ich sie kaum bemerkt habe.

      Dann bin ich wieder allein und starre auf die weißen Zimmerwände, die im kalten Neonlicht noch lebloser aussehen, als sie ohnehin schon sind. Aber sie eignen sich sehr gut, um Annas Bild in meiner Vorstellung darauf zu projizieren. Ihr langes Haar hat sie wieder zu einem Zopf geflochten. Sie trägt ihre weiße Bluse und ihren braunen Rock, über den sie ihre Kellnerschürze angelegt hat. Ihre großen, dunkeln Augen durchdringen mich mit ihrem Blick und das Lächeln ihrer sanften Lippen lässt mein Herz aufblühen. Egal was sie tut, auch wenn sie nur die Treppe hinauf geht oder ein Glas Bier einschenkt: Es ist reine Magie.

      Aber wie konnte sie es nur in einer solchen Umgebung aushalten? Dieses Dorf war so lieblos und ohne Seele, Anna passte da überhaupt nicht rein. Sie kam mir immer vor wie ein Singvogel in einem viel zu engen, alten, rostigen Käfig, den man verschlossen und in eine dunkle Raumecke gestellt hat. Allein wenn ich an ihr Haus und ihre Wirtschaft denke, bekomme ich regelrecht Schüttelfrost: Altes Fachwerk, kleine Fenster, knarrende Bodendielen, die Außenwände voller Schmutz und innen eine Einrichtung wie vor hundert Jahren. Sie tut mir einfach nur leid. Und jetzt liegt sie hier im Krankenhaus.

      So fliegen meine Gedanken wieder zu ihr, wo auch immer sie hier im Gebäude sein mag. Vielleicht ja direkt im nächsten Zimmer? Egal: Allein dass sie hier ist, gibt mir irgendwie Kraft.

      Es klopft. Der Inspektor tritt wieder ins Zimmer. „Guten Tag Herr Gruber. Wie geht es Ihnen heute?“

      „Guten