Andreas Egger

Die Zweite Welt


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Augen auf, um zu sehen ob mit seinem Vater alles in Ordnung war. Sein kindgleicher Geist, so unbedacht wie emotionsgeladen, beschwor die Katastrophe hervor. Gott schrie auf und sackte auf die Knie, während gewaltige Energien durch ihn auf die zweite Welt niederfuhren, um sie nach Naars Gedanken zu gestalten. Viel zu klein war das Land, viel zu riesig die Kopie der ersten Welt. Gewaltige Erdmassen bildeten sich. Berge, Seen, Sümpfe und unendliche Risse in der Erde. Mit brachialer Gewalt zerrütteten Erdbeben die sich bildenden Landmassen. Menschen sprudelten wie Regentropfen auf die im Entstehen begriffene, aber schon gebrochene Welt nieder. Viele schon tot, oder lebend, nur um den Naturgewalten zu unterliegen und qualvoll zu sterben. Das alles geschah innerhalb kürzester Zeit. Naars Land war im Bestehen begriffen, doch plötzlich hörte die Schöpfung auf. Nichts bildete sich mehr. Nur die Erdbeben verwüsteten weiterhin die Landmassen. Die Energie wich aus Gottes Körper. Wenige Augenblicke kniete er noch da, mit weit aufgerissenen Augen, leblos, ausgehöhlt durch die Macht, welche er nicht mehr in der Lage war, zu lenken. Dann klappte er nach vorne, schlug mit dem Gesicht auf.

       Stille.

       Naar wimmerte lautlos. Er verstand nicht, was passiert war. Sogar Gror blickte verdutzt und stumm auf die Leiche seines Vaters. Rache war süß, aber das hatte er niemals erwartet. Er musste erst noch begreifen, dass er einen Sieg errungen hatte. So krank und grotesk dieser auch sein mochte. Aran zerriss das Schweigen, schluchzte und weinte um seinen Vater. Er ging zu ihm, drehte ihn auf den Rücken, nahm seinen Kopf in die Hände, klagte um ihn und um sich selbst. Gomod blieb ruhig. Er war schon die ganze Zeit über verwirrt, nun halb paralysiert. Jetzt sah er Gott an. Sah seinen Mund so weit offen wie seine Augen, wie er auf und ab wiegte in Arans flehenden Händen.

       „Das Werk ist vollbracht!“, sprach er stockend, fast emotionslos und fragte sich gleichzeitig, was er damit eigentlich sagen wollte.

      Der Händler und seine Söldner

      Kapitel 1

       Die letzten wärmenden Strahlen des Tages legten sich über das saftige Gras der Hügel, nördlich von Naars Zweifel. Gesunde, vor Kraft strotzende Pappeln säumten den einfachen Fuhrweg zur Linken, in den Blättern schon den ersten orangen Schimmer des Herbstes. Die nördlichsten Getreidefelder der Menschenstadt verschwanden gerade hinter der zuletzt überwundenen Anhöhe. Ein ängstliches Feldkaninchen huschte zur Seite, als es dem sich nähernden Lärm gewahr wurde. Das konstante, monotone Rasseln von Kettenhemden, Plattenpanzern und klirrenden Waffen erfüllte die Luft rund um den Trupp von gut fünfundzwanzig Mann, die müde vor sich hin marschierten. In ihrer Mitte fuhr ein Wagen, quietschend und knarrend. Zwei Maultiere zogen schwer schnaufend das Gefährt.

       Der Wagen selbst war aus einfachem, wenn auch solidem Eichenholz gefertigt. Der Händler Meisterlich saß auf dem Kutschbock und stierte ins Nichts, auch er müde vom langen Tag. Er drehte sich kurz um und schaute auf die offene Ladefläche. Die wertvolle Ladung war immer noch dort, wo er sie vor zwei Tagen in Naars Zweifel verstaut, mit Wolfsfellen bedeckt und mit geflochtenen Kuhlederbändern festgezurrt hatte. Es war schon fast zu einem Ritual geworden, sich umzudrehen. Meisterlich versicherte sich andauernd vom Vorhandensein seiner Fracht. Die grauen Haare wehten ihm in die Augen. Er strich sie stets mit der Linken zur Seite. Meisterlich war alt geworden und diese anstrengende Reise ließ ihn noch älter wirken. Vor gut zwei Mondwechseln war er von Naars Zweifel aus nach Westen in Richtung Rekars Ehr aufgebrochen. Der angeheuerte Söldnertrupp brachte ihn sicher zu den Zwergen. Dort machte er gute Geschäfte, denn er erwarb eine beträchtliche Anzahl an feinsten Schwertern und Äxten aus hartem Zwergenstahl. Auch die Rückreise nach Naars Zweifel verlief gut. Fast zu gut. Dies war Meisterlichs letzte Handelsreise. Er wollte nach Hause, nach Salzheim. Er wollte endlich seine Frau, seine Tochter und seine Freunde wiedersehen.

       Es gab bis jetzt nur einen einzigen Überfall. Nichts wirklich Bedrohliches. Ein kleiner Trupp schlecht bewaffneter Räuber hatte ihnen aufgelauert und war wenige Augenblicke später geflüchtet. Noch nicht einmal einen Oger hatte er in den vergangenen drei Mondwechseln gesehen. Und das, obwohl er mitten durch die Toten Sümpfe gezogen war. Dies war nicht nur die letzte, sondern auch die wichtigste Handelsreise seines Lebens. Noch nie waren so viele Goldmünzen im Spiel wie dieses Mal. Die Vorstellung, dass alles so einfach verlaufen würde, machte ihn unruhig. So einfach konnte es nicht sein. Nicht in diesen Zeiten.

       Durch eine leichte Linkskurve wollte der Weg nun um eine kleine Anhöhe herumführen. Die Schatten wurden immer länger. Die Nacht würde bald hereinbrechen. Der Zwerg, ein äußerst ruhiger, gleichwohl besonnener Mann, welcher den Trupp anführte, hob die Hand ohne sich umzudrehen und rief: „Halt!“

       Verwundert knurrend kamen die Männer zum Stehen. Meisterlich hielt seinen Wagen an und blickte auf. Mit zusammengekniffenen Augen sah er nach vorne, konnte aber nicht mehr erkennen, als dass sich sein besoldeter Anführer mit einem seiner Gefolgsleute unterhielt. Wenig wurde gesagt, dann kurz genickt. Der Zwerg drehte sich zu seinen Männern und brüllte mit tiefer Stimme: „Wir lagern auf dem Hügel. Scheint der sicherste Platz weit und breit. Alle an ihre Aufgaben, und das nicht zu langsam! Cebrid! Warte! Nimm dir zwei Mann und hilf dem Händler, seinen Wagen auf den Hügel zu bringen. Die Maultiere haben genug geschunden.“

       Der Mann, den der Zwerg Cebrid nannte, salutierte lässig, wobei sein schwerer Plattenpanzer laut schepperte. Dann fing er selbst an, nach einigen Männern zu brüllen und Befehle zu geben.

       Das Lager war schnell aufgebaut. Einige Männer brachten Holz und gingen dann anderen Beschäftigungen nach. Der Anführer selbst entfachte mit geübter Hand zwei Feuer mit einfachen Steinen, welche er von der Erde auflas. „Zwergisches Geschick für Feuer und Stein“, sinnierte der Händler anerkennend.

       Cebrid und zwei weitere Männer schoben den schweren Wagen langsam auf den Hügel. Meisterlich tat die ganze Zeit über nichts anderes, als die müden Tiere mit seiner Peitsche anzutreiben. Als sie endlich oben waren, streckte sich Meisterlich träge, spannte dann die Maultiere ab und gab ihnen zu fressen. Anschließend begab er sich langsam zu einer der lodernden Feuerstellen. Er grübelte ein wenig vor sich hin, seinen müden Blick auf den Zwerg gerichtet. Dieser stand einfach da, jeweils einen der Steine, die er zum Feuer machen benutzt hatte, in jeder Hand. Erschöpft blickte er in die Flammen. Oder war es Wehmut, die Meisterlich in seinem Gesicht sehen konnte? ‚Egal‘, dachte der Händler bei sich. Er hatte wenig Lust sich zu unterhalten und dann schon gar nicht mit dem schweigsamen Zwerg. Die wenigen Versuche, die er bis jetzt in diese Richtung unternommen hatte, unterband Garantor, wie jener sich nannte, gemeinhin mit wenigen Worten. Zu sehr schien er stets in seine Pflichten versunken.

       Die ersten Söldner hatten ihre täglichen Aufgaben erfüllt und saßen rund um eines der Feuer. Auf dem anderen zischten einige Fleischstücke in kleinen Pfannen. Zwei der Männer bereiteten dort ein karges Abendmahl. Drei Mann entzündeten Fackeln, postierten sich rings um das Lager und begannen die erste Wachschicht. Einer von ihnen, mit jugendlichem Gesicht und viel zu gut gekleidet für einen Söldner, teilte Wasserrationen aus. Auch diese waren knapp bemessen. Ein weiterer saß ein wenig abseits und präparierte im Halbdunkel einige Pfeile mit Harz.

       Begierig aßen die Mannen ihre spärlichen Rationen, welche aus Fleisch und getrocknetem Brot bestanden. Auch die Wachen holten sich ihren Anteil und verzehrten ihn auf ihren Posten.

       Es war eine laue Nacht. Kein Wind störte die Streiter. Nur hin und wieder von einzelnen Nebelschwaden verdeckt, leuchtete der Vollmond mild und beruhigend. Die Wachen der ersten Schicht weckten die Ablöse, legten die Waffen ab und begaben sich zur Ruhe.

       Meisterlich schlief schon lange. Er hatte in der vorangegangenen Nacht kaum Rast gefunden. Deswegen hatte er sofort nach dem Essen sein Lager bereitet und war sofort in einen tiefen Schlaf gefallen.

       Im Lager war Ruhe eingekehrt. Alles schlummerte regungslos oder ruhte sich aus, so gut es eben ging. Ab und zu war eine Eule zu hören, oder das weit entfernte Jaulen eines einsamen Wolfes. Einige der Männer schnarchten leise, andere wälzten sich von einer Seite zur anderen. Abgesehen von den Wachablösungen tat sich nichts mehr.

       Meisterlich erwachte beim ersten Tageslicht, reckte sich und gähnte laut. Die anderen im Lager waren noch nicht auf den Beinen. Er war einer der ersten, die wach geworden waren. Der bittersüße Geruch von abgebranntem Kirschholz