Andreas Egger

Die Zweite Welt


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„Meisterlich! Holt eure Handelsflagge raus und hisst das Ding!“

       Erschrocken reagierte der Händler: „Natürlich ... natürlich ...“, pflichtete er hastig bei.

       Kurz darauf war der sich nähernde Trupp zu erkennen. Garantor ging zum Wagen und damit zu Meisterlich. Jener hatte seine grüne Flagge auf einem langen, dafür vorgesehenen Holzstock angebracht. „Gut“, sagte Garantor. Ohne weitere Worte nahm er das Banner aus Meisterlichs Händen und ging wieder nach vorne, an seine Position. Verhaltenes Schweigen und grimmige Gesichter prägten das Bild. Einige der unerfahrenen Rekruten fühlten sich sichtlich unwohl und warfen ihren Blick unsicher nach beiden Seiten. Der junge Bloj zitterte gar ein wenig. Er hielt sein Schwert krampfhaft in der Scheide umschlossen. Das konstante metallische Knacken von Schaft und Scheide verriet ihn. Bloj war im Flügel von Cebrid, und stand direkt neben ihm. Cebrid war ein Veteran vieler Schlachten. Väterlich legte er dem Jüngling die Hand auf die Schulter. Er drückte sie leicht, und gab Bloj zu verstehen, dass er nicht alleine war. Jener vergalt es mit einem dankbaren, wenn auch ein wenig gezwungen wirkendem Lächeln.

       Der Zwerg brummte in seinen Bart. Zrak blickte ihn fragend an. Als keine Antwort kam, fragte er schließlich: „Nun?“

       Garantor murrte erneut und antwortete dann: „Hmmm ... entweder die sehen uns nicht, oder sie wollen sich nicht als Händler ausweisen.“

       Zrak schnaubte laut und entgegnete mit erstaunlicher Gelassenheit: „Gib ihnen Zeit. Sie verfügen nicht über die Schärfe deiner Augen.“ Für ihn schien es einerlei, ob es einen Kampf auf Leben und Tod geben würde, oder nicht.

       Es dauerte nicht lange, bis alle den sich nähernden Trupp erkennen konnten. Meisterlich zitterte ein wenig, stand unruhig da und stierte nach vorne. Garantor drehte sich um und sprach bestimmt: „Sie haben die Handelsflagge gehisst!“

       Entschlossen stand der Zwerg da. Nichts konnte ihn wirklich beunruhigen. Dafür hatte er schon viel zu viel erlebt. Auch Meisterlich hatte in den vielen Jahren als Händler so seine Erfahrungen gemacht. Dennoch stellte er nun das genaue Gegenteil zu dem entschlossenen Zwerg dar. Schnell atmend und zitternd ging er zu ihm und zusammen schritten sie nun aus, in Richtung des anderen Trupps. Langsam, ohne Hast.

       Ihnen direkt gegenüber, näherten sich zwei Personen. Würde sich alles als korrekt herausstellen, waren es der Händler und der Söldnerführer des anderen Trupps.

       „Alles klar?“, fragte Garantor seinen Auftraggeber, während er von den Lederschlaufen an seinen Schenkeln seine Kriegsaxt und den Streitkolben feinster zwergischer Machart löste. Der alte Händler zitterte immer noch, schaffte es jedoch, sich zu Garantor zu wenden und zu nicken.

       Meisterlich hatte den Zwerg nie im Kampfeinsatz gesehen. Dennoch traute er ihm viel zu und erwartete in ihm den gleich guten Kämpfer wie Führer.

       Nun waren die sich nähernden Männer kaum zwanzig Schritt von ihnen entfernt. Nur noch wenige Momente und beide Parteien würden stehenbleiben. Die Nahenden waren beide Menschen, als Händler und Söldner schon rein äußerlich zu erkennen. Der eine war großgewachsen und muskulös. Bewaffnet war er mit einem schweren Zweihänder, welchen er locker in beiden Händen vor seiner schwer gepanzerten Brust hielt. Der andere war eher hager und gut gekleidet. Dem Aussehen nach ein Händler, wenn auch bei weitem nicht so unruhig wie Meisterlich. Es war soweit. Die vier blieben stehen. Garantor stand kampfbereit da. Bald würden sie Gewissheit erlangen. Ruhig atmete er, seine Augen auf die vermeidlichen Gegner gerichtet. Es gab nichts zu sagen. Das war auch nicht nötig. Die Beine hatte der Zwerg leicht angewinkelt, als wolle er nach vorne springen. Er würde seiner Aufgabe gerecht werden. „Und?“, fragte er, ohne den Blick vom gegnerischen Krieger zu nehmen. Einen Moment geschah nichts. Garantor wollte eine Bewegung beim Händler gegenüber gesehen haben. Das konnte aber auch vom wehenden Wind herrühren.

       Meisterlich hatte seine Stimme wieder gefunden. „Es sind Händler.“ Erleichtert atmete er auf, sein Zittern ließ nach, und seine Schultern entspannten sich.

       Garantor lachte sein seltenes Lachen und schnallte die Waffen wieder an die Hüften. Die Stimmung war auf einmal wie umgekehrt. Von Angst oder Vorsicht keine Spur. Freundschaftlich nährten sich die vier einander. Mit gewichtslosem Schulterklopfen trafen sich die Händlerkollegen. Schwer schlugen die Handflächen der Söldner zusammen, als sie sich begrüßten. Der menschliche Söldner sagte erleichtert: „Ich versteh‘s nicht. Hast du was mitgekriegt?“

       Noch einmal lachte Garantor laut und antwortete dann: „Nein, verdammt, nein. Mach die Arbeit, seit mehr Mondwechseln als die beiden Händler zusammen. Hab immer noch keine Ahnung was das für ´ne Zeichensprache, oder was auch immer ist!“

       Beide Söldner lachten laut. Der Mensch mit dem Zweihänder packte selbigen weg und schrie seinen Mannen zu, dass sie kommen sollten. Garantor brüllte ebenfalls nach seinen Leuten.

       Bald standen alle zusammen und begrüßten sich gegenseitig. Informationen wurden ausgetauscht und es wurde viel gelacht. Meisterlich befragte seinen Kollegen nach möglichen Problemen, welche der weitere Marsch wohl bereithalten mochte. Jener konnte nur antworten, dass sie auf keine Hindernisse gestoßen waren seit sie aus Salzheim aufgebrochen waren. Ungläubig fragte Meisterlich nochmals nach. Er wollte wissen, wie sie ohne Schwierigkeiten an Naars Auge vorbeigekommen waren. Mit dem Lachen eines Mannes, der darum wusste, dass die größte Gefahr seiner Reise schadlos überstanden war, entgegnete der hagere Händler: „Nichts. Kein verdammter Oger ließ sich blicken. Wir sind einfach durchmarschiert.“

       Meisterlich nahm diesen Umstand als schlechtes Omen auf. Nichts verlief so, wie er es erwartet hatte.

       „Keine Oger ...“, sagte Meisterlich und schüttelte leicht den Kopf ohne irgendjemanden anzusehen. In seinem Geist malte sich der alte Händler aus, wie sich alle Oger des Landes irgendwo versammelt hatten, dem einzigen Ziel folgend, ihm aufzulauern. Mit Absicht rührten sie sich nicht. Ihrer Dummheit und Kampflust zum Trotz, hielten sich alle zusammen irgendwo verschanzt, bis er ihnen endlich in die Arme laufen würde.

       Für einige Momente hatte er gar nicht registriert, was um ihn herum geschah. Zu sehr war er in seine paranoiden Gedanken vertieft. Der andere Händler hatte wohl irgendwas gesagt. Auf eine Antwort wartend, stand er nun da. Mit den Worten „Nicht normal ... viel zu einfach ...“, drehte sich Meisterlich um, und ging langsam zurück zu seinem Wagen. Der jüngere Händler stand perplex da, kratzte sich am Kopf, sagte noch: „Der spinnt!“, wandte sich zur Seite und fing eine Unterhaltung mit Mauran Falkenflug an, welcher eben freundlich grüßend an ihn herangetreten war.

       Ruhig zog die Sonne ihre Bahn und kam ein gutes Stück voran, ehe sich die Mannen lösen konnten. Der menschliche Söldnerführer hatte drei Flaschen Kartoffelbrand dabei. Von den Barbaren, wie er sagte. Sehr stark, dafür umso schlechter im Geschmack. Selbst Garantor konnte sich nicht lösen, bevor die Flaschen leergetrunken waren. Die Diskrepanz zwischen Pflicht und Schnaps war überhaupt eine oft diskutierte Frage bei den Zwergen. Und noch einmal lag eines seines seltenen Lächeln auf dem Zwergengesicht, als sie sich verabschiedeten. Irgendwie passte dieser Ausdruck gar nicht in das derbe Antlitz. Zu sehr waren die tiefen Furchen der Verantwortung und die schwere Bürde der Vergangenheit eingebrannt.

       Wieder waren sie in Bewegung und marschierten weiter. Weit würden sie nicht mehr kommen, ehe die Sonne untergehen würde. Dennoch versuchte Brand sein Glück nochmals auf der Jagd. Schnell entfernte er sich nach Nordwesten. Meisterlich tat, was er immer tat Er saß da und grübelte über die Begebenheiten. Ab und zu sah er kurz nach hinten auf die Ladefläche. Das war aber auch schon alles. Der Trupp marschierte locker voran. Einige unterhielten sich, andere schritten monoton aus, waren versunken in irgendwelche Gedanken. Die Nacht war schon angebrochen, als Brand zurückkam. Ihm war kein Glück beschieden. Mit leeren Händen betrat er das halb aufgebaute Lager und setzte sich hin, ohne etwas zu sagen. Keiner fragte ihn, warum er nichts erlegt hatte. Das würde auch nichts bringen. Dass er keinen Erfolg gehabt hatte, konnte man sehen und es war nicht nötig, ihn mit unnützen Fragen zu bedrängen. So verrichtete jeder seine Arbeit mit dem Wissen um ein kärgliches Abendmahl.

       Es war eine kalte Nacht. Der Wind frischte merklich auf. Jene die nicht Wache schieben mussten, wickelten sich in ihre Decken und schliefen unruhig. Garantor hatte eine