Andreas Egger

Die Zweite Welt


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sich. Nach kurzem Nachdenken wusste er es und trotz der Anstrengung konnte er sich ein angedeutetes Lächeln nicht verkneifen. ‚Fluchen ... Garantor würde einfach nur fluchen‘. Diese Erkenntnis brachte Mauran zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich weiter. Dennoch kreisten seine Gedanken um den Zwerg und sein notorisches Fluchen. Kurz darauf jedoch kam der Geistesblitz, auf den Mauran wartete. ‚Fluchen ... Ärgern ... Zorn ...‘

       Das war es! Händeringend sammelte er Atem, formte abgehackte Worte: „Zrak, bringt den Oger zum Stehenbleiben. Macht ihn wütend! Ihr müsst es schaffen. Ihr könnt ihn einholen, auf ein paar Schritt ... er wird euch töten wollen. Kein Oger könnte dieser Verlockung widerstehen ... so können wir an ihn herankommen. Ihr weckt seine Instinkte!“

       Die kugelrunden Augen des Minotaurs stierten fragend auf Mauran Falkenflug, während er seinen Plan schilderte. Nun verstand Zrak und schnaubte belustigt. So etwas wie ein tierisches Grinsen entblößte seine stumpfen Mahlzähne. Zraks schwerer Brustkorb hob und senkte sich kaum mehr als bei einem Spaziergang und mit den Worten „Die Kinder Naars haben viel Phantasie“, rammte er seine Hufe noch fester in den Matsch und beschleunigte seinen Lauf in Richtung Norden.

       Mauran atmete innerlich auf. Er hatte befürchtet, Zrak würde ablehnen. Jeder Mensch würde diese Aufgabe als Selbstmordkommando ansehen. Einen Oger alleine verfolgen und ihn ärgern, bis er dich zerfleischt. Im Nachhinein erschien ihm der von ihm selbst gefasste Plan verrückt, aber was sonst sollte er machen?

       Zwischen zwei schweren Atemzügen röchelte Brube: „Der macht das ...“ Mit nachdrücklichem Nicken unterstrich er seine Überzeugung.

       Mit geblähten Nüstern stampfte der bullige Minotaur voran, wobei ihm der schnelle Lauf weniger Probleme bereitete, als das Finden einiger beleidigender Worte. Das war irgendwie nicht das Ressort der “suchenden” Stiermenschen.

       Mit stetem Lauf und donnernden Hufen näherte er sich dem schwer atmenden Oger. Als Zrak bis auf einen Steinwurf an seinen Gegner herangekommen war, bemerkte ihn der Verfolgte. Der Oger schnaubte wütend, was sich aber eher wie ein Röcheln nach Luft anhörte. Speichel triefte ihm aus dem riesigen Maul. Kurz drehte er seinen Schädel, blickte nach hinten und brüllte eine kurze Warnung: „Kaal sagen!! Nicht kämpfen! ... Nicht töten ... Geh weg ... Weg!“

       Der Oger setzte seinen Weg fort, lief mühsam, aber konstant. Schwer spritzte der Matsch bei jedem Schritt zur Seite. Ebenso schwer wie sein massiger Körper erzitterte und bebte.

       Auch Zraks Mund öffnete sich ... stand kurz offen und schloss sich wieder. Es passierte nichts. Die beiden liefen einfach, konstant und gleichmäßig. Wieder schien es, als wolle Zrak etwas sagen. Seine stumpfen Zähne waren kurz zu sehen, dann jedoch schloss er erneut den Mund, ohne einen Laut von sich zu geben. Unveränderlich und monoton hob und senkte sich die Brust des Minotaurs, obwohl nun auch bei ihm Anzeichen von Erschöpfung zu sehen waren. Der Schweiß rann ihm über die breiten Stierbacken und gelegentlich drang ein tiefes Grunzen aus seinen Nüstern. Er würde das Tempo des Ogers halten, aber das war nicht seine Aufgabe.

       Etwas musste passieren, und so war es dann auch. Verbal fand sich nichts Passendes in seinem Geist. Doch konnte er diese Lücke auf andere Weise schließen. Im Lauf bückte sich Zrak und packte einen faustgroßen Stein mit der Rechten, holte weit aus und warf ihn mit aller Wucht nach seinem Gegner. Platschend und schlitternd ging der Stein neben dem Oger nieder. Jener strauchelte kurz und schien in seinem trägen Hirn etwas abzuwägen, rannte dann jedoch weiter.

       Laut schnaubte Zrak, brüllte vor Ärger und fand in sich endlich passende Ausführungen. „Verdammtes Ogerschwein! Ich dachte, dein kranker Schöpfer hat dich zum Töten verdammt. Derweil fliehst du deinem Schicksal. Es scheint, Grors Schöpfung ist noch bemitleidenswerter, als er uns glauben machen wollte!“

       Das Schreien war sehr anstrengend und zeigte dennoch keine Wirkung. Noch einmal griff Zrak einen Stein aus dem Lauf. Mit Schlamm bedeckt und ein wenig größer als der vorherige, lag er unausgewogen in der wuchtigen Hand des Stiermenschen. ‚Ein wenig näher‘, dachte Zrak bei sich und näherte sich dem Oger auf kaum fünfzehn Schritt. Nun galt es. Geräuschvoll atmend fasste er den schweren Stein mit beiden Händen, zog ihn dann, in der Rechten liegend nach hinten und schleuderte den Brocken mit all seiner Kraft nach vorne.

       Mit einem schmerzerfüllten „Wraaahh!!“, blieb der Oger stehen. Der Stein hatte ihn am Rücken getroffen. Wenn auch keine wirkliche Verletzung entstanden war, schien das Ungetüm nun seinen Instinkten nicht länger Herr. Es drehte sich dröhnend prustend um. Die Wut schien das wenige an Intelligenz, welche dem Oger innewohnte, ausgelöscht zu haben. Er brüllte. Wie Donner rollte sein Schrei über die aufgeweichte Öde. Weit riss er die Arme auseinander und bot seine gewaltige Größe gegen den Verfolger. Speichel triefte ihm aus dem Maul und die massige Brust hob und senkte sich, stockend und zuckend vor Wut. Seine Linke fuhr an sein Becken, wo sich die einfache Holzkeule aus Buche befand. Krumm, voller Dellen und Risse, hing sie nicht länger, sondern befand sich nunmehr in seiner linken Hand. Sein groteskes Brüllen zeugte von unstillbarem Hass, welcher dieses Wesen in Besitz genommen hatte. Der Oger warf sich nach vorne, die Keule hoch erhoben. Schlamm spritzte nach allen Seiten, doch seine Schritte waren sicher und zielstrebig.

       Zrak hatte wenig Zeit zu denken. Mit der Rechten packte er die schwere Streitaxt, die auf seinen Rücken geschnallt war, riss sie über seinen Kopf hinweg vor sich und fasste sie fest mit beiden Händen. Er schnaubte noch einmal, verzog entschlossen die Miene. Seine Mahlzähne bleckten auf und er stürmte auf seinen Gegner zu.

       „Verdammt“, keuchte Brube „Wir müssen uns beeilen!“

       Mauran Falkenflug hatte nichts Besseres zu entgegnen, als ein abgehacktes „In der Tat ...“

       Die kleine Gruppe mühte sich voran. Das Kampfgebrüll des Ogers war bis zu ihnen gedrungen, obwohl sie noch gut dreihundert Schritt zurücklagen. Lediglich schwache Umrisse der zwei kämpfenden Kreaturen waren in der Dämmerung zu erkennen. Kalad keuchte lautstark, unkoordiniert kamen seine Füße ihrer Arbeit nach. Unbarmherzig zerrte der spritzende Schlamm der aufgeweichten Erde an den Reserven der vier entkräfteten Verfolger. Die Schatten der vereinzelten Sträucher und Bäume waren bereits weit länger als ihre Erzeuger. Jeder Schritt schien ewig zu währen. Atem holen und weiterlaufen, nichts weiter zählte. Die Sonne glich einer riesigen Sanduhr, entleerte sich langsam hinter einem kleinen Hügel, wollte vom Versagen der Mannen künden.

       Grunzen und Schnauben von Oger und Minotaur war zu hören. Gelegentlich ein Brüllen oder das Klatschen einer Waffe auf dem Matsch. Die Umrisse der beiden waren nun gut zu erkennen. Sie standen sich gegenüber, suchten nach der richtigen Attacke, dem finalen Hieb.

       Es schepperte. Kalads Kettenrüstung und Scheide rieben unmelodisch aneinander, als er vornüber in den Schlamm fiel. Zu träge waren seine Beine, wollten oder konnten dem kleinen Stein im Schlamm nichts entgegenhalten und versagten ihren Dienst.

       ‚Vier‘, dachte Mauran bei sich, während er tief Atem holte.

       Ohne ein Wort zu verlieren, beschleunigte Brube seinen Lauf zu einem Sprint, ignorierte seinen Körper, zwang ihn zu jeder erforderlichen Anstrengung. Sollte es noch etwas zu kämpfen geben, würde er da sein. Egal ob er dann noch die Kraft dazu hatte, oder nicht. Seine Hellebarde hatte Brube schon vor einiger Zeit vom Rücken geschnallt. Der lange Schaft hatte ihn beim Laufen behindert. Er hielt sie fest umschlossen in seiner Rechten, gleich oberhalb des schweren Blattes. So ragte die Waffe weit hinter ihn zurück und wiegte sich im Lauf. Mauran und Klai folgten dichtauf. Beide zogen im Laufen ihre Waffen. Die Arme überkreuzt, zog Mauran Dolch und Degen bester zwergischer Machart, aus seinem so dezent wie kostbar verzierten Gürtel. Feineres oder teureres Stahl gab es nicht. Weit weniger wertvoll war die Ausrüstung des jungen Klai. Ein ausgewogenes Langschwert in der Rechten und einen kleinen Rundschild aus gehärtetem Eisen in der Linken. Dennoch machte er einen stolzen Eindruck. Entschlossen und kampfbereit, wenn auch schweißüberströmt, mit stechendem Schmerz in der Brust. Die Zuversicht der Jugend und das Vertrauen auf seine Gefährten lagen blitzend in seinen kastanienbraunen Augen.

       Zrack spannte seine Muskeln und warf sich zur Seite. Mit dumpfem Krachen ging die schwere Keule neben ihm nieder. Es war nicht das erste Mal, dass er einem dieser wuchtigen Hiebe gerade noch ausweichen konnte.