Andreas Egger

Die Zweite Welt


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auf. Nachdenklich stand er da, warf den Stein hoch und fing ihn wieder.

       Mit den Worten, „Das wollt‘ ich schon immer mal machen“, trennte er sich von dem Stein und schleuderte ihn über Gaal hinweg in den Abgrund. Andächtiges Schweigen breitete sich aus. Nichts passierte. Weitere Gefährten gesellten sich zu ihnen, aber kein Laut ertönte.

       Nur das leichte Säuseln des Windes war zu hören. Vom schweren Regen oder den krachenden Blitzen der letzten Tage war nichts mehr auszumachen. Einige wenige Wolken hingen noch vereinzelt am Himmel. Befreit von ihrer Last, verzogen sie sich langsam nach Süden.

       „Habt ihr gehört? ... Hört ihr?!“, flüsterte Kalad mit belegter Stimme. Keiner antwortete. Offensichtlich hatte keiner etwas gehört. Irgendwann riss Brube der Geduldsfaden. „Pahh!“, ließ er vernehmen, drehte sich um und folgte dem Rest des Trupps, welcher mittlerweile schon an ihnen vorbeigezogen war. Bald warteten nur noch jene, die als erste angekommen waren, vergebens auf den scheinbar unendlich fallenden Stein. Leise flüsterte Kalad: „Ich dachte ich hätte ihn aufkommen hören ... du nicht?“

       Mit ebensolcher Stimme antwortete Gaal: „Nein, der fällt noch immer. Wenn du mich fragst, der kommt niemals an.“

       Die beiden sahen sich kurz in die Augen und verließen dann ihren vergeblichen Horchposten. Geräuschvoll folgten sie den anderen auf dem matschigen Weg.

       Müde trotteten die Maultiere voran. Die großen Wagenräder waren von Schlamm und zum Teil schon verkrustetem Erdreich überzogen. Widerwillig schienen sie ihrer Aufgabe nachzukommen, knarrten und ächzten unentwegt.

       Auf dem Kutschbock saß Meisterlich und blickte müde auf die Söldner, die vor ihm marschierten.

       Selten benutzte er seine Peitsche. Ebenso träge wie seine Maultiere, schien Meisterlich Verständnis für die lethargische Ausführung ihrer Arbeit aufzubringen. Müde saß er da und wurde von Tag zu Tag immer erschöpfter. Es war nun der fünfte Morgen, seit sie den nach Naars Zweifel reisenden Händler mit seinen Söldnern getroffen hatten. Dennoch konnte er seinen Berufskollegen nicht aus seinem Geist drängen. So sehr er es auch versuchte, immer wieder dachte er an ihn und an Naars Auge. Immer schlechter schlief er in der Nacht und heute würde er mit Sicherheit auch keine Erholung finden. Spätestens morgen mussten sie Naars Auge erreichen.

       Es wurde allgemein wenig gesprochen. Schwer lag die gewaltige Schlucht auf der rechten Seite des Weges auf den Gemütern. Der träge Marsch ließ nunmehr wenig Freudiges zurück.

       Plötzlich riss Garantor den rechten Arm hoch und murrte über die Schulter nur ein dumpfes „Oger!!“

       Die wenigen Wortwechsel verstummten, und die Mannen blieben ruckartig stehen. Bis auf Meisterlich. Er hatte wohl nichts gehört und fuhr stetig weiter. Mauran Falkenflug war einer der Hintersten im Trupp. Gerade hatte er sich noch mit Brand unterhalten. Nun lief er behände die wenigen Fuß zu Meisterlich, zerrte an den Zügeln der Maultiere und gab dem Händler ein Zeichen, dass er sich ruhig verhalten solle. Meisterlich erschrak, riss die Augen panisch auf. Seine Gesichtszüge erstarrten. Er verstand jedoch, um was es ging und bremste die murrenden Tiere mit festem Ruck ab.

       Dann lief Mauran nach vorne, an die Seite Garantors.

       Der Zwerg stand einfach da, schnüffelte in der Luft und blickte konzentriert geradeaus. Alles war ruhig. Keiner sprach. Alle sahen nach Norden und versuchten etwas zu erkennen.

       „Verdammtes Biest ... ich sehe dich“, raunte Garantor und richtete den Zeigefinger nach Norden, auf einen Punkt, den außer ihm wohl keiner ausmachen konnte. Das weite Land schien bis zum Horizont nichts als ein paar Felsen und einige wenige hagere Fichten zu beherbergen. Mauran blickte konzentriert nach Norden. „Wie viele an Zahl zeigten sich euch?“

       Der aristokratische Zungenschlag Maurans schien genauso fehl am Platz, wie die Schnörkel und Strickmuster an seiner Kleidung.

       Garantor antwortete zögernd, jedoch keineswegs unsicher: „Es ist einer ... nur einer. Er ist ausgewachsen.“ Der Zwerg hob seinen Kopf ein wenig mehr in die Höhe, schnüffelte erneut. Kurz darauf sprach er weiter: „Ein Mann. Und wenn ich meinen Augen trauen kann, sitzt er einfach nur da, hinter einem Felsblock. Ich kann nur den Schädel erkennen. Er überragt den Fels.“

       Mehrere Mannen standen um Garantor herum. Ein jeder wusste um seine gute Nase in Bezug auf Oger und an seiner Sehschärfe hatte schon längst keiner mehr Zweifel.

       Cebrid hatte seinen Zweihänder aus der Scheide gezogen und lehnte sich leicht auf ihn. Offensichtlich wusste er nicht recht, was zu tun war, oder was er sagen sollte. Ähnliche Gesichtsausdrücke waren in so manchem Antlitz festzustellen. Der Wind änderte leicht die Richtung. Garantor senkte seinen Kopf wieder auf normale Höhe und drehte sich zu Mauran Falkenflug. Mit der Rechten kratzte er sich am Bart während er sprach: „Verdammt! Was sucht ein einzelner Oger hier? Was macht er einen halben Tagesmarsch von seinem verdammten Sumpf entfernt?“

       Von hinten meldete sich Brube: „Ich wette, der fette Trottel hat sich verlaufen.“ Ein kindliches Grinsen lag auf seinem Gesicht und mehrere Männer konnten sich ein bescheidenes Lächeln nicht verkneifen. Kurz blickte Garantor nach hinten, und sah grimmig in Brubes Augen. So schnell wie das Lächeln gekommen war, verschwand es wieder.

       „Verdammt ...“, murmelte der Zwerg nochmals. Cebrid hatte nun genug gegrübelt. „Du bist sicher, dass es nur einer ist?“, hakte er nach.

       Garantor antwortete schnippisch: „Du meinst die Frage ernst, oder?“

       Verlegen kratzte sich Cebrid an der linken Wange. „‘tschuldigung ... ich versteh‘ bloß nicht, was ein Oger allein so weit im Süden tut. Ich dachte halt, ich frag nochmal ... Hätte ja sein können ...“

       Cebrid sprach nicht mehr weiter. Wozu auch? Nichts Treffliches wollte sich in diese unsichere Ausführung einschleichen.

       Thef kam lautlos heran und stand auf einmal unbemerkt vor Garantor. Er war nur um weniges größer als der Zwerg und blickte ihm auf gerader Linie in die Augen, als er sprach: „Wo liegt das Problem? ... Gehen wir und schlachten das Schwein!“

       Garantor schien diesen Plan als befriedigend zu erachten. Zustimmendes Nicken und geschürzte Lippen zeugten von seinem Einverständnis. „Guter Plan“, sagte er, und fügte nach kurzer Pause noch hinzu: „Ich hab zwar keine Ahnung was der Oger da macht, aber er ist alleine ... und er hat es nicht verdient zu leben!“

       Garantor gab Anweisung, den Oger einzukreisen und ihn in die Zange zu nehmen. Mauran Falkenflug marschierte mit seinen Leuten zur Rechten und Cebrid zur Linken des Zwergs. Brand befand sich mit seinen Bogenschützen direkt hinter Garantor und prüfte während des Marschs einige Pfeile. Meisterlich fuhr ein Stück hinter seinen Söldnern. Hier war er sicher, so hoffte er wenigstens. Es war allgemein bekannt, dass Oger einfach blindlings angriffen, wenn sie auf andere Lebewesen des Landes trafen. Egal ob es Tod oder Sieg bedeuten sollte. Zielsicher führte Garantor seine Leute voran. Der Fächer seiner kleinen Armee wurde immer breiter. Immer weiter zogen sich die Söldner auseinander und immer näher kamen sie ihrem Ziel.

       Das Rasseln der verschiedensten Rüstungen lag in der Luft und ließ sich weithin vernehmen. Kräftig schnaubte Zrak durch seine Nüstern, spannte seinen breiten Nacken und lockerte die Muskeln wieder. Die Männer waren bereit und immer näher kam der Felsblock, hinter dem der Oger sich verbarg. Sie waren noch ein gutes Stück entfernt, als das gewaltige Wesen sie bemerkte und aufschrak. Mit dumpfem Grollen rappelte der Koloss sich auf die Füße und sah sich um. Schnell erblickte er seine Gegner. Er ballte die wulstigen Fäuste und brüllte, was sich eher wie grollender Donner anhörte. Sein riesiges Maul war weit aufgerissen, sein ovaler Schädel leicht nach vorne gebeugt. Die breite, unbehaarte Brust des über zweieinhalb Schritt großen Ogers hob und senkte sich mit seinem dumpfen Gebrüll. Man konnte nicht wirklich von einem muskulösen Monster sprechen, wenn man dieses Wesen genauer ins Auge fasste. Viel mehr schien er wie ein viel zu großer Mensch. Fett, mit wahrlich dummem Gesichtsausdruck, spärlichem Haarwuchs und vereinzelten schrägen Zähnen im weit offen klaffendem Maul. Ein Schimmer von Intelligenz war jedoch in den milchigen Augen zu erkennen. Gehüllt in ein vor Schlamm stehendes Bärenfell, stand er da. Stinkend und schmutzig. An einem Gürtel