Andreas Egger

Die Zweite Welt


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heldenhaften Kampf gegen den Feind des Landes und zudem darf er sterben, wo sein Gott ihn geboren hat.“

       Ein Augenblick verstrich, dann fügte er noch hinzu: „Das ist eine große Ehre, so wie ich die Dinge sehe. Werft ihn in das Auge Naars, auf dass er seinem Schöpfer gegenübersteht.“

       Brands Blick verlor kein bisschen seiner Entgeisterung.

       Zrak sprach weiter: „Wir Minotauren leben, um zu suchen. Menschen leben um zu leben. Also um ihr Leben nach ihrem Gutdünken zu führen und danach zu sterben. Geht es nicht nur darum, wie der Mensch stirbt?“

       Brand wollte und konnte das nicht verstehen und wollte sich schon gar nicht um eine Antwort bemühen, welche nun offensichtlich von ihm erwartet wurde. „Pahh ...“, entgegnete er wütend und machte sich von dannen. Wieder an die Seite von Klai, blickte er unentschlossen und nachdenklich auf den zitternden Körper.

       Unverstanden wollte Zrak mit den Achseln zucken, nur um schmerzlich an seinen verwundeten rechten Arm erinnert zu werden. Getroffen schnaubte er, und rieb sich die Schulter mit dem gesunden Arm. In Gedanken versunken, hatte er gar nicht bemerkt, dass sie bereits bei Naars Auge angelangt waren.

       Garantor hatte angeordnet das Lager hier aufzuschlagen, obwohl die Nachmittagssonne noch mehrere Stunden Licht spenden würde. Es war nicht ratsam, zwischen den Schluchten zu lagern, welche zur Nordseite von Naars Auge führten. Im Falle eines Zusammentreffens mit Ogern, wären sie zwischen den Brücken gefangen. Auszuweichen und eine geeignete Position für einen Kampf zu finden, war dann kaum möglich. Es war das Beste, an einem Tag wenigstens zwei der drei Brücken zu überwinden, die im Halbkreis um das Auge der Welt herumführten. Auf diese Weise mussten sie nur einmal innerhalb der Übergänge lagern.

       Wasser machte die Runde und ein paar Stücke trockenes Brot. Nur wenige blieben beim Lager. Vor allem die Jüngeren eilten ehrfurchtsvoll an den ewigen Abgrund, den die Menschen Naars Auge getauft hatten. Auch Zrak begab sich dorthin. Obwohl er hier schon einige Male vorbeigezogen war, konnte er nicht davon ablassen, das gewaltige Loch in der Welt selbst zu bewundern. Wie immer blickte er weit in die Ferne und versuchte, am Horizont das Ende der Leere auszumachen. Dann stellte er sich an den Rand der senkrecht abfallenden Schlucht und blickte hinunter. Ein roter Punkt war trotz des Nebeldampfes unendlich tief zu erkennen, der schwache Geruch von Schwefel wahrnehmbar. „Naar sieht uns an“, sagte er voller ehrfürchtiger Bestimmtheit. Ohne ein Wort der anderen um sich, war er sich ihrer Zustimmung dennoch sicher.

       Ein kleines Stück entfernt im Nordwesten, lag die erste Brücke, die Naars Auge passierbar machte. Gut zweihundert Schritt lang, zog sie sich wie eine Narbe über die Schlucht, welche sich, so schien es, unendlich weit nach Westen reckte. Mitten in das unwirtliche Moor und Sumpfgebiet, in dem das Volk der Oger lebte. Vor langer Zeit errichtet, sah die schwere Brücke nicht sonderlich vertrauenerweckend aus. Zu weiten Teilen mit Moos bewachsen, lag sie lautlos im windstillen Herbsttag. Schwere Ketten aus faustgroßen Eisenringen, trugen die Planken aus eisenbeschlagener, fester Eiche. Sie schienen seit längerem nicht gewartet. Braun-grüner Rost war an einigen Stellen zu sehen. Auch die Planken selbst hatten ihre besten Tage offensichtlich hinter sich. Gut zwei Schritt breit und fast einen Fuß dick, waren sie doch alt und zeugten betroffen vom feuchten Klima und der Ermangelung an Pflege und Reparatur.

       Salzheim hatte eine lange Blüte erlebt, da ihre Bewohner die ersten und bis vor Kurzem die einzigen waren, die um die Kunst der Salzgewinnung aus dem Meer wussten.

       Die wirtschaftliche Stellung als Salzlieferant für Naars Zweifel, der Menschen im Süden und der anderen Völker, war jedoch praktisch ausgelöscht, seit sich mehrere Salzsiedlungen am Südmeer gebildet hatten.

       Seither lebte die einstmals prunkvolle Nord-Stadt hauptsächlich von dem, was sie von den Barbarenstämmen im Osten erhandeln konnte und weiter vertrieb. So war es bald um Wohlstand und Ansehen geschehen. Schon seit mehr als hundert Mondwechseln wollte niemand mehr die Aufgabe übernehmen, die Brücken zu warten. In Salzheim hatte man andere Sorgen und die Menschen-Hauptstadt und die Siedlungen im Süden rechtfertigten sich einfach damit, dass dies schon immer die Aufgabe der Salzheimer war und auch bleiben sollte.

       Die Zeit verstrich langsam, die Stimmung war gedrückt. Kein Feuer brannte, um die Mannen zu wärmen. Rauch könnte Aufmerksamkeit erregen. So bereitete sich jeder auf eine unangenehme Nacht vor, so gut er eben konnte. Manche saßen in kleinen Gruppen zusammen. Die jungen Schwertkämpfer Ypek und Bloj hatten sich zu ihrem Freund Klai gesellt, der immer noch zitternd dalag. Brand legte gerade einen frischen Verband an, und schürte danach aller Vorsicht zum Trotz ein kleines Feuer, um Wasser zu erwärmen. Garantor hatte es stumm gebilligt, da es noch hell war. Wenngleich sinnlos, wollte er Brand nicht seinen guten Willen verbieten. So standen die Jünglinge bedrückt und hilflos neben dem alten Waldläufer. „Kannst du ihm helfen?“, fragte Ypek schließlich, obwohl er sich vor der Antwort fürchtete. Brand sah nicht auf und legte ein kleines Scheit des halbtrockenen Holzes nach, welches er unterwegs von einem abgestorbenen Walnussbaum abgerissen hatte. „Tja ... Sein Inneres scheint in Ordnung, obwohl ich das nicht so genau feststellen kann. Aber ich fürchte, bei der Menge Blut die er verloren hat, ist das einerlei.“ In der Hocke sitzend, sah er die beiden nun an als er weitersprach: „Ich habe vor, es zu versuchen. Ich werde die Wunde auswaschen und zusammennähen. Ihr könnt mir dabei helfen.“

       Blojs Augen weiteten sich. Ypek nickte und fragte dann: „Kannst du das denn?“ Mit müdem Achselzucken antwortete Brand: „Ich hatte mal einen Hund, da hat‘s geklappt. Ein wilder Eber hatte ihn ähnlich zugerichtet.“

       Ypek nickte wieder entschlossen, verzog dabei jedoch den Mund.

       Als das Wasser anfing zu brodeln, wies Brand die beiden an, den geistesabwesenden Klai an Beinen und Händen festzuhalten. Mit sicheren Bewegungen begann er das Vorhaben.

       So wie mehrere andere, stand Thef wenige Schritt entfernt vom Geschehen und sah mit verschränkten Armen zu, wie Brand sein Werk verrichtete. Klai zuckte und keuchte, als seine klaffende Wunde mit einem einfachen, doch sauberen Stück Stoff ausgewaschen wurde.

       Ein unangenehmes Gefühl nagte tief in Thef.

       Er trug einst eine annähernd identische Wunde aus einem Kampf davon, als er in seiner Jugendzeit einen kleinen „Auftrag“ für eine hochgestellte Persönlichkeit aus Naars Zweifel ausführen sollte. Nur mit knapper Not überlebte er damals. Noch heute erinnerte ihn eine lange Narbe auf seinem Bauch an das Geschehene. Beim Gedanken daran, presste er seine schmalen Lippen aufeinander. Sein eingefallenes Gesicht wirkte noch blutleerer als sonst. Die Augen auf Klai gerichtet, setzte er sich auf einen umgefallenen Apfelbaum. Dieser war zwar feucht, doch verschont vom klebrigen Schlamm der Erde um ihn, lag er fast einladend da. Während er sich setzte, schrie Klai, von Schmerz und Fieber überwältigt, sein Leiden in die Welt. Der erste Stich war getan und viele weitere würden folgen.

       Brand schwitzte. Mit starren Gesichtszügen und sicherer Hand, nähte er die Wunde grob zusammen. Der Junge winselte ein letztes Mal, dann fiel er in Ohnmacht. Ohne Gegenwehr ging alles einfacher. Bald richtete sich Brand steifbeinig auf. Mit der Linken fuhr er sich über die schweißnasse Stirn, atmete tief ein und blieb einen Moment ruhig und regungslos. Sorgsam hatte er Klai verbunden und in eine schwere Felldecke gehüllt. Brand glaubte selbst kaum daran, dass sich die Anstrengung lohnen würde. Dennoch hatte er es versucht. Und sei es nur um seiner selbst willen. Mehr konnte nicht für Klai getan werden. Nichts hätte er sich vorzuwerfen.

       Die Dämmerung brachte leichten Nebel mit sich. Ohne Eile begab sich die Sonne weit im Osten zur Ruhe. Zwei der jüngeren Rekruten, Gaal und Veoen, verrichteten die erste Wache. Mehr als ein Wachposten war nicht nötig. Aus dem Süden waren sie gekommen; das Land lag offen hinter ihnen, frei von Hügeln oder Wäldern. Keine Räuber waren hier zu vermuten, und alle anderen Himmelsrichtungen führten in die Leere des ewigen Abgrunds. So war nur die Brücke zu bewachen und die würde schon frühzeitig von allem künden, was sich nähern mochte.

       Die Nacht war jung, ein Zwischenfall unwahrscheinlich und die Ablöse noch weit. So würfelten die beiden um Geld, das keiner von ihnen besaß. Es entspannte, lenkte von den nächsten Tagen ab und verdrängte die Gedanken an Klai, der die Nacht möglicherweise nicht überstehen würde.

       „Hah!!“, stieß