Andreas Egger

Die Zweite Welt


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weiter westlich. Je weiter sie kamen, umso morastiger wurde der Sumpf, umso feuchter die Luft, umso anstrengender jeder Schritt.

       Die Vegetation wurde dichter, der Weg beschwerlicher. Sumpfmücken machten sich verstärkt bemerkbar. Ununterbrochen schlug sich irgendwer auf den Hals oder eine andere ungeschützte Körperstelle. Dies war ärgerlich und kräfteraubend. Mit eintöniger Konstanz war das Klatschen von Händen auf nackter Haut zu vernehmen. Mal leiser, mal lauter und nicht selten begleitet von ärgerlichem, entkräftetem Fluchen.

       Mehrere Male konnte der wuchtige Wagen des Händlers nur mit großem Kraftaufwand aus dem Schlamm befreit werden. Des Öfteren mussten jene Söldner, die gerade nichts anderes zu tun hatten, als sich selbst am Vorankommen zu halten, zu Hilfe gezogen werden.

       Die Moral sank, die Kräfte schwanden. Trotz der kurzen Zwergenbeine, die ihn gehörig behinderten, beteiligte sich Garantor selbst so gut es ging an allem was vollbracht werden musste. Der einzige der nichts tat als sich selbst voran zu quälen, war Thef. Sein Körperbau und seine nicht allzu stabile Gesundheit, gestatteten es ihm nicht, Kräfte zu verschwenden. Niemand machte ihm einen Vorwurf daraus, oder sagte es wenigstens nicht offen.

       Langsam verstrich der Tag. Wenigstens quälte die matte Sonne den Trupp nicht mit großer Hitze.

       Die knappen Wasserrationen durften nicht allzu sehr strapaziert werden und noch mehr Mücken würden wohl so manchen in die Knie zwingen. Es waren jedoch nicht allzu viele davon. Garantor war für diesen Umstand dankbar. Musste er diese Strecke doch schon einige Male im Hochsommer bewältigen, was wahrlich eine Tortur für Mensch und Tier war.

       Die Schatten wurden schon länger, als die zweite Brücke ins Sichtfeld rückte. Der alte Waldläufer Brand saß an ihrem Fuße. Er hantierte an seinem Bogen, kontrollierte die Waffe und die sorgsam gearbeiteten Pfeile in seinem Köcher. Keinerlei Gefahr war ersichtlich, und das gelassene Verhalten des Waldläufers bekräftigte diesen Eindruck. Von Ogern oder anderen Gefahren war noch immer keine Spur. Garantor unterhielt sich kurz mit Brand. „Und? ...“, wollte der Zwerg wissen. Schulterzuckend antwortete Brand: „Nichts. In der ganzen Gegend gibt es keine Anzeichen von Ogern. Die einzigen Spuren die ich gefunden hab, sind mindestens zwei Wochen alt. ´ne Sippe von ungefähr zehn von ihnen, die etwas weiter westlich von hier gelagert haben und nach Südwesten weiterzogen. Mehr gibt’s nicht zu sagen.“

       Zufrieden nickte Garantor, brummte und gab Anweisung, die zweite Brücke zu überqueren. Sie befand sich in ähnlich schlechtem Zustand wie die zuvor überwundene. Um einiges länger, machte sie diesen Ausläufer Naars Auge passierbar. Sie zog sich von Süden nach Norden über die Schlucht, welche sich in gerader Linie nach Westen erstreckte.

       Die Dämmerung setzte ein. Übermüdet, schwitzend und zum Teil strauchelnd, wurde die letzte Strapaze des Tages in Angriff genommen. Zum ersten Mal machte Cebrid eine Pause. Völlig entkräftet überließ er es anderen, den Fuhrkarren voranzutreiben. Er war schweißüberströmt und nass. Der wattierte Waffenrock unter dem Plattenpanzer gab mittlerweile lautstarke Geräusche zum Ausschreiten seines Trägers von sich und wog beinahe ebenso viel wie der Panzer selbst. So durchtränkt war er vom Schweiß und der feuchten Luft des Sumpfes.

       Tief einatmend strich er sich die braunen Haare zurück. Sie waren glatt und dicht, und ebenso nass wie der Rest. Nun klebten sie hinter seinen Ohren. Im Zuge dieser Bewegung sahen seine Augen gen Himmel. Ein Schatten streifte sein Sichtfeld. Am äußersten Rand seines linken Auges bewegte sich ein Schleier.

       Langsam drehte er seinen Kopf nach Westen, dann weiter nach Südwesten. Nun sah er genauer, was sein Auge, nach Norden blickend, nur knapp erhaschen konnte. Er blieb mitten auf der Brücke stehen, schnaufte monoton weiter, und verarbeitete was er sah. Er begriff es nicht wirklich, obwohl es zu klar war, um es nicht zu verstehen. Das Zwielicht machte ersichtlich, was bis dahin nicht zu sehen, oder nicht vorhanden war.

       Ypek lief ihm von hinten in den Rücken und wankte benommen zurück, als er mit der nackten Stirn gegen die Plattenrüstung seines Vordermannes lief. „Zum Teufel!“, rief er erschrocken aus.

       Cebrid reagierte nicht. Nach kurzem Zögern wand auch Ypek seinen Kopf in die Richtung, in welcher Cebrids verharrte. Ein weiteres Mal, war „Zum Teufel ...“, zu vernehmen. Diesmal gedämpfter und kaum verständlich, rührte die Aussage eindeutig von größerem Schrecken.

       Rauchschwaden überzogen den Horizont, wurden dichter und nahmen an Zahl zu, noch während die Letzten sie bemerkten. Ypek sprach wieder: „Der ganze verdammte Sumpf brennt ...“ Doch schon der Ton und die Art wie er es aussprach, strafte ihn Lügen. Es zeugte von der Hoffnung, das Richtige zu sagen, hielt aber die Wahrheit verborgen. Es dauerte einige Zeit, bis er die Auflösung erhielt, die er nicht hören wollte. „Nein ...“, Garantor war durch die Schärfe seiner Zwergenaugen der erste, der die Wirklichkeit mit Sicherheit erkannte und weitergab. „Das sind Lagerfeuer. Jede Menge Lagerfeuer. Bei Rekar, es sind Dutzende und es werden immer mehr …“

       So mancher hätte gerne widersprochen und sich etwas ermutigerendes vorgestellt. Der Zwerg brummte wie immer nachdenklich in seinen Bart. Der Waldläufer Brand nickte nur mit verzogener Miene.

       Mehr Bestätigung konnte keiner verlangen. „Meiner Treu“, ließ sich Mauran Falkenflug vernehmen, „Dergleichen musste ich noch nie erblicken.“ Sorgenschwer erklang seine Stimme.

       Der immer kampfhungrige Brube hatte nicht mehr zu sagen als „Scheiße ...“, und das noch nicht einmal laut oder fordernd, was ja typisch für ihn gewesen wäre. Ähnliche Feststellungen und Aussagen machten die Runde, in eben derselben Manier und Tonlage.

       Noch einmal ergriff Mauran Falkenflug das Wort, ernsthaft aber nicht belehrend. „Zweifelt ihr immer noch daran, dass mit den Ogern derzeit Merkwürdiges geschieht, Garantor?“

       Eine Antwort war nicht erforderlich. Nach kurzer Pause gab der Zwerg die Befehle, die bitter, aber notwendig waren. „Stärkt euch, fasst Wasser und Nahrung, hier und jetzt.“ Dann drehte er sich um, und blickte in die Runde. Sein Bart bebte vor Entschlossenheit, als er weitersprach. „Wir haben keine Wahl. Wir werden nicht lagern!“

       Leises Raunen und Murren kam auf, jedoch kein Widerwort. „Zrak! Ich brauche dich mit Brand bei mir an der Spitze. Schaffst du das?“

       Dem immer noch angeschlagenen Minotaur hatte der harte Marsch schwer zugesetzt. „Würde es einen Unterschied machen?“, antwortete er, was gleichbedeutend mit einer Zustimmung war.

       Der Zwerg nickte. „Wir brauchen deine Kraft, meine Augen und das Geschick und Wissen von Brand, sonst schaffen wir es niemals, mitten in der Nacht quer durch die Sümpfe.“

       Brube wollte sich beschweren, wurde aber schon vor dem ersten Wort von Garantor belehrt. „Dich brauchen wir beim Wagen, Brube. Du und Cebrid, ihr kümmert euch um ihn“ Jeden einzelnen sah der Zwerg an, dann folgte so etwas wie eine Ansprache. „Ich verlange viel. Möglicherweise zu viel. Gebt alles! Wer rasten muss, soll rasten, wer Wasser braucht soll es sich nehmen. Aber gebt nicht auf. Wir halten erst, wenn wir die dritte Brücke überquert und den verdammten Sumpf verlassen haben ...“

       Ein letztes Mal wischte Brand den Schweiß von Klais Stirn. Er verabschiedete sich mit dieser Berührung und begab sich zu Zrak und Garantor. Mauran koordinierte die Männer und teilte sie ein.

       Jeder erfrischte sich, während er auf seinen Posten ging.

       Nach kurzer Zeit waren schwere Stiefel, knarrende Räder und schnaufende Maultiere wieder in Bewegung.

       Sogar Thef hatte sich am schweren Wagen eingefunden und schob und zerrte an dem Gefährt so gut es ging. Sogar einen passenden Kommentar hatte er gefunden, sagte ihn für sich selbst auf, während sich die Abendsonne in dunkle Nacht wandelte. „Die Schwäche Naars wird mich nicht aufhalten, der Hass Grors nicht stoppen und wenn ich keuchend verrecken muss, dann wenigstens in den Armen einer wohlriechenden Hure ... Salzheim ... ich komme ...“

      Die Stadt am Nordmeer

      Kapitel 4

       Holger Abendstern schlenderte nachdenklich über den sorgsam gepflasterten Markplatz von Salzheim. Bewegte sich, verglichen mit seiner beachtlichen Größe, mit verdächtig kleinen Schritten. Es