Andreas Egger

Die Zweite Welt


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wie Fischer waren vertreten. Diese Zusammenstellung des Rates garantierte die bestmögliche Rechtsprechung, unparteiisch und uneigennützig. Salzheim war die einzige Stadt der Menschen, in der das Zusammenleben auf diese Art geregelt war. Damit bot sie einen krassen Gegensatz zum Königtum, welches die Hauptstadt und größte Stadt der Menschen stellte: Naars Zweifel.

       Der Rat hatte Platz genommen. Das freundschaftliche Gespräch unter den Mitgliedern ebbte ab, als es an der Tür klopfte. Markre Meisterlich öffnete sie und trat ein, gefolgt von den meisten der Söldner, die ihn sicher nach Salzheim und damit nach Hause gebracht hatten.

       Holger begrüßte die Männer freundlich und bat sie darum, Platz zu nehmen. Der Salzmeister musste sich eingestehen, dass er vergessen hatte, ausreichend Stühle bereitzustellen. Es war ihm unangenehm und er zeigte dies mit Worten der Entschuldigung. Meisterlich saß ihm gegenüber. An beiden Seiten des Händlers nahmen Söldner Platz. Es dauerte einige Zeit, bis jene die sitzen sollten, dies getan hatten. Der Rest stand hinter ihnen in willkürlicher Anordnung. Zum ersten Mal betrachtete der Salzmeister die Söldner genauer. Eine interessante Anordnung wie er fand. Interessant und ungewöhnlich.

       Ein Zwerg als Anführer. Im Gegensatz zu den anderen, war er immer noch nicht sauber, wenn auch gewaschen und ein wenig gekämmt. Die Liebe zur Erde war ihm wohl hinderlich gewesen, sich die letzten Reste Schlamm von seiner Kleidung zu schaben. Daneben ein Salzheimer. Ja, nun erkannte ihn Holger. Gestern fand er nicht die Zeit, sich den wohlgekleideten, gutaussehenden Mann genauer anzusehen. Nun hatte er dies nachgeholt und ihn erkannt. Voller Trauer dachte Holger an den Tag, an dem der Vater dieses Jungen auf so tragische Weise starb. Bald danach ward der junge Mauran nicht mehr gesehen. Nun wusste Holger, welchen Weg der letzte männliche Falkenflug eingeschlagen hatte.

       Zur Rechten Maurans saßen zwei wahre Hünen. Sie waren wohl Brüder. Beide überragten mit Sicherheit den größten und kräftigsten Mann Salzheims. Der eine war in schwere Platten gehüllt. Das was verwunderlich, weil keinerlei Bedrohung hinter den gesicherten Mauern Salzheims bestand. Der andere war noch einen halben Kopf größer. Ein Riese, bepackt mit ausladenden Muskeln, wahrlich beeindruckend. Noch während Holger dies dachte, drängte sich das Bild des breitschultrigen Minotaurs in seinen Geist. Wo war der geblieben? Dieser Gedanke machte ihm nicht nur bewusst, dass nicht alle erschienen waren, sondern auch der verwundete Söldner auf der Tragbahre fiel ihm wieder ein. Ein guter Ansatz für das folgende Gespräch.

       Sobald Ruhe eingekehrt war und jeder seinen Platz eingenommen hatte, bedankte sich der Salzmeister dafür, dass seiner Bitte Folge geleistet worden war und beinahe alle Geladenen gekommen waren. Dabei konnte der Teil mit den nicht erschienenen Männern als dezent vorgetragene Anspielung verstanden werden. Sogleich fragte er freundlich nach, wie es dem verletzen Mann ergangen sei, und ob die fehlenden Söldner noch kommen würden.

       Meisterlich räusperte sich und wollte antworten, doch Garantor kam ihm zuvor. Dadurch gab der Zwerg zu verstehen, dass seine Leute nun nicht mehr im Dienste des Händlers standen. Als Anführer und Betroffener der gestellten Fragen, war es an ihm, zu sprechen.

       „Klai hat die Nacht nicht überlebt. Noch vor Sonnenaufgang hat er den Kampf aufgegeben.“

       Die Worte klangen bitter und kamen dumpf aus seinem Mund. Bitter, weil sie es bis hierhin geschafft, und trotzdem die Mühen umsonst gewesen waren.

       „Was den Rest angeht“, sprach er weiter, „Der Minotaur kuriert seine Wunde aus, und die anderen vergnügen sich irgendwo in der Stadt. Thef kennt ein vorzügliches Bordell, und einige sind mit ihm gegangen.“

       Ob jetzt Entrüstung oder Beileid angebracht war, wusste Holger nicht. Wohl aber wusste er, dass Söldner ihren eigenen Regeln folgten. Da sie ihren Auftrag erfüllt hatten und ihr Anführer ihnen offensichtlich freigestellt hatte, hier zu erscheinen, taten sie wohl das, was ihnen am liebsten war. So beschränkte sich Holger darauf, sein ehrliches Beileid auszudrücken. Über die fehlenden Männer verlor er kein weiteres Wort.

       Danach wurde dem Verstorbenen ein Augenblick der stummen Trauer zugestanden. Ein Zeichen des Respekts, welches in Salzheim üblich war und ohne Aufforderung vollzogen wurde.

       Nun räusperte sich Holger und bat Meisterlich darum, die Geschehnisse zu schildern, welche ein Zusammenkommen des Rates erforderlich machten. Meisterlich tat dies ohne Umschweife. So sprach er von dem höchst ungewöhnlichen Verhalten des Ogers, den sie verfolgt und zur Strecke gebracht hatten. Kurz wurde darüber diskutiert, wobei der Unglauben über einen Oger, der eigenständig Entscheidungen treffen konnte, auf beiden Seiten des Tisches spürbar war.

       Meisterlich erklärte nochmals, dass sich alles so abgespielt habe, wie er es vorgebracht hatte. Mauran Falkenflug und Cebrid bestätigten dies mit Nachdruck.

       Diskussionen und weiterführende Berichte wechselten sich ab, wobei die Berichterstattung Meisterlichs endete, als er über die unzähligen Lagerfeuer sprach, welche auf eine unglaubliche Anzahl der verhassten Oger schließen ließ. Alle möglichen Mutmaßungen wurden angestellt, und verworrene Theorien über eine mögliche andere Erklärung aufgestellt. Aber nichts hatte Bestand.

       Der Vormittag verstrich langsam, voller Mühsal und ohne ersichtliches Ergebnis. Zur Mittagszeit erklärte Holger Abendstern, dass er dankbar für die Informationen war und der Rat sich weiter damit beschäftigen werde. Mit freundlichen Worten begleitete er Meisterlich aus dem Saal. Söldner und Ratsmitglieder folgten.

       Mit gemischten Gefühlen und nachdenklichem Gesicht ging ein jeder heim an seinen gedeckten Tisch. Der Rat würde am nächsten Tag wieder zusammenkommen. Die Söldner gingen ihres Weges, wohl einem neuen Auftrag entgegen, oder einigen ruhigen Tagen. Das war Holger Abendstern einerlei.

       Zwar hegte er Zweifel an den vernommenen Worten, aber dennoch würde man sich noch genauer mit dieser Geschichte befassen müssen. Sicher würden Kundschafter ausgesandt, um größeres Wissen und Sicherheit zu erlangen. Morgen würde man entscheiden, was zu unternehmen war. Bis dahin war aber noch ein nebliger Nachmittag zu genießen. Da seine Frau immer noch nicht heimgekehrt war, setzte sich Holger in seinen Lieblingssessel, steckte sich eine Pfeife an und gönnte sich einige Humpen des köstlichen Gerstenbiers seines Schwagers.

      Der Wege viele

      Kapitel 5

       Garantor war zufrieden. Abgesehen von Klais Tod, welcher immer noch auf einigen der Mannen lastete. Dennoch, der Aufenthalt in Salzheim hatte ihnen allen gut getan. Zrak hatte Zeit, um seine Verletzung auszukurieren und der Rest konnte einiges von dem frisch erworbenen Sold auf den Kopf hauen. Meisterlichs Auftrag hatte einiges abgeworfen und mit Geld in der Tasche war die Moral eines jeden Söldners besser. Das Angenehmste aber war, dass sie bereits nach einer Woche einen neuen Auftrag annehmen konnten. Nichts wirklich lukratives, aber immerhin ein Auftrag. Ein Grund, um wieder nach Süden zu reisen und dort einen anderen Auftraggeber zu finden.

       Mit einem jungen Händler, der sich Almud nannte und aus einer Bauernfamilie stammte, waren sie nach Nordwesten gezogen, um die Ladung bei ihm zu Hause aufzunehmen. Es handelte sich dabei um grobe Lederarbeiten und gesponnene Schafwolle.

       Der Weg hatte sich länger hingezogen als geplant. Gut zwei Tage vergingen, bis sie das große Bauernhaus erreicht hatten. Ein weiterer Tag verstrich ungenutzt bei der Bauernfamilie selbst. Almuds Mutter ließ es sich nicht nehmen, die Gäste für den Tag einzuladen. Das selbstgebraute dunkle Bier und das freundlich angebotene geräucherte Schweinefleisch waren zu verlockend, um das Angebot auszuschlagen. So aßen und schliefen sie in einer geräumigen Scheune, gleich neben dem Haupthaus. Gestärkt und satt standen sie im Morgengrauen auf. Sie bedankten sich für die ungewohnte Gastfreundschaft und verließen die Eltern des Händlers. Gut gelaunt machten sie sich auf den Weg nach Süden. Die Strecke führte sie ein gutes Stück fernab der Hauptstraße, vorbei an leeren Feldern entlang eines schmalen Trampelpfads.

       Der Tag lag unter einer kalten Sonne. Wie an den vorangegangenen Tagen, war es auch an diesem neblig. Vereinzelte Hügel und weite Ebenen brachten sie auf gerader Linie ihrem Ziel entgegen, der Hauptstadt der Menschen: Naars Zweifel. Unbeschwerte Gespräche wurden geführt, es wurde gelacht und gesungen. Selbst Garantor zeigte sich redselig und unterhielt sich mit Cebrid über die richtige Pflege seines Zweihänders.