Levi Krongold

Viktor


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der Überzeugung, ein schweres Rheumaleiden sei zum Ausbruch gekommen. Jedes Gelenk, welches ich bewegte, erzeugte einen scharfen ziehenden Schmerz, der nur langsam wieder abklang. In meinem Kopf bewegten sich dann stundenlang nur wenige unsinnige Worte hin und her, wie auf einer Schiffsschaukel. »Geh da weg Suzanne!« Immer wieder dieser Satz, bis ich völlig erschöpft einschlief. Ich wusste nicht mehr, ob es Tag und Nacht war, wann ich zuletzt etwas gegessen oder getrunken hatte, als mich mein Arm-Pad unsanft aus meiner Lethargie weckte. Erwin war diesmal persönlich auf dem Screen zu sehen.

      »Hallo Levi, wie geht es?«

      Ich starrte die verhasste Visage an und konnte mir gerade noch verkneifen, ein ‚Leck mich‘ auszusprechen. »Ich bin krank!«, jammerte ich statt dessen.

      »Können wir helfen, wir haben uns schon über deine Inaktivität gewundert.«

      »Ich glaube, ich werde sterben«, jammerte ich weiter.

      »Du hast eine Isolationskrise, Levi, das ist ganz normal in deiner Situation.«

      »Das ist beruhigend.« Ja, das war es wirklich.

      Irgendwo in meinem Inneren erwachte plötzlich der Mediziner wieder, der bestätigte, dass dieser bescheuerte Erwin tatsächlich recht haben könnte. Depressionen gehen recht häufig mit unerklärlichen körperlichen Schmerzzuständen einher. Und ich war knatschdepressiv, fürwahr.

      »Wir haben einen Ferncheck deiner Vitalfunktionen vorgenommen. Du leidest etwas an Wassermangel, aber sonst scheint alles okay zu sein.«

      »Danke Doktor«, murmelte ich.

      »Hör zu Levi, ich bin nicht dein Feind, ich bin Sozialarbeiter und es ist nicht meine Aufgabe, dich zu foltern, sondern dich zu betreuen. Für die Auflagen, die man dir auferlegt hat, bin ich nicht verantwortlich...«

      »Sprich mich nicht immer mit ‚du‘ an!«, schrie ich auf einmal los und schlug mit der flachen Hand auf den Monitor. Erwin blieb einige Sekunden stumm. Selbst auf dem kleinen Monitor war zu erkennen, dass er etwas aus der Fassung geraten war. Dann kam ein zögerliches, fast fragendes. »Okay?!«

      Ich machte eine erschöpfte Pause. Es war ja auch schließlich egal. Alles war egal. »Ach, scheiß drauf!«, ließ ich mich vernehmen.

      »Nein, nein, ist schon okay. Wir können es so machen«, stimmt er zu. »Ich sage, Herr Krongold und Sie. Ist völlig okay.«

      Plötzlich stiegen meine Sympathiewerte für ihn ein wenig an.

      »Aber ich bestehe darauf, dass Sie mich Erwin nennen.«

      »Warum?«

      Er grinste schmal. »Erwin ist mein Pseudonym, darum.«

      Ich schluckte, was völlig überflüssig war, da sich meine Kehle völlig ausgetrocknet und rau anfühlte. Ich hatte mich wiederum zum Affen gemacht.

      »Also, Herr Krongold, wir sehen, dass Sie Unterstützung benötigen.«

      »Wir?«

      »Natürlich, ich bin Mitarbeiter eines Teams und mit der Analyse Ihrer Daten beauftragt, neben Ihrer Betreuung.«

      Scheiße.

      »Ich soll Sie fragen, ob Sie zu Ihren Verbindungen mit dem fraglichen Personenkreis noch Angaben machen möchten? Wohlgemerkt, ich soll Sie fragen!«

      Daher wehte also der Wind! Zuerst wollte man mich durch Isolierung mürbe machen, um dann um so leichter noch Informationen aus mir rauszuquetschen. Eine feine Gesellschaft.

      »Dann sagen Sie ihrem Team, dass ich bereits alles gesagt habe, mich völlig unschuldig fühle, weder mit Terroristen oder sonst noch mit anderen -isten zu tun habe und die Herrschaften mich am Arsch lecken können!«

      »Ist es recht, wenn ich den letzten Teil Ihrer Aussage weglassen?«, meinte er fein säuerlich.

      »Tun Sie, was Sie wollen«, knurrte ich.

      Es folgte eine kleine Pause, während der er wohl in seinen Monitor starrte und ich ebenso bemüht war, nicht auf das Pad zu schauen.

      »Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?«

      »Nur zu«, knurrte ich.

      »Ich schicke Ihnen eine Relaxations-App auf den Heimmonitor und Sie lassen mal ein wenig locker?«

      Als ich nicht sogleich antwortete, fügte er etwas leiser hinzu. . »Gibt einige Bonuspunkte bei der Beurteilung Ihres Verhaltens während der Haft.«

      »Danke«, gab ich nun etwas weniger giftig zurück. Im Grunde genommen war meine Haltung ziemlich pubertär, entschied ich. Ich sollte mich zusammennehmen.

      »Sorry! Ich werde sie mir anschauen«, fügte ich etwas versöhnlicher hinzu.

      »Fein. Das freut mich. Wirklich.« Er schaltete ab. Vielleicht war er ja doch nicht so ein übler Kerl.

      Eine Weile ließ ich noch die Dunkelheit in mir nachwirken. Immerhin hatte diese Auseinandersetzung meine Lebensgeister wieder etwas geweckt. Ich musste mich zusammenreißen, wenn ich nicht völlig versumpfen wollte. Initiative ergreifen. Ich schaltete den Monitor im Wohnraum wieder ein, auf dem die Nachricht aufblinkte, dass eine neue Applikation auf den Download wartete. Ich gab das okay, ging zum Kühlschrank und entnahm dort mit dem Chip einen isotonischen Drink aus dem Vorratsfach. Der Kühlschrank meldete, dass der Vorrat auf eine verbleibende Einheit geschrumpft war und bat darum, eine Neubestellung absetzen zu dürfen. Bei Abnahme des praktischen Einführungsangebots zusammen mit einem neu eingeführten Erfrischungsgetränk könne mir auf die Erstbestellung ein 10%iger Rabatt gewährt werden. Bei Gefallen wäre auch zum einmaligen Werbepreis das Jahresabonnement für 30 Dosen im Monat zum Vorzugspreis. »Zahle 11 bekomme 12 Monate«, möglich. Da ich davon ausging, dass der Staat dies bezahlen würde, drückte ich ausnahmsweise di. »Jetzt kaufen«-Taste. Leider klappte sofort danach eine Meldebox auf, die mir anzeigte, dass diese Order im Moment nicht möglich sei. Brummend schleppte ich mich auf meinen Liegesessel und startete die App.

      Es erwartete mich eine kitschige tropische Strandlandschaft, mit Meeresrauschen, nur selten unterbrochen von einigen wohlgemeinten Motivationssätzen und Entspannungsformeln. »Bitte schauen Sie ganz ruhig und entspannt auf den Monitor und denken Sie einfach einmal an nichts. Lassen Sie alle Sorgen los. Lassen Sie alle Gedanken ziehen, wie die Wolken am Himmel.« Der Monitor zeigte träge dahinziehende Schönwetterwolken über endlosem türkisblauem Meer. »Lassen Sie die Muskulatur ihres Kiefers und der Wangen locker, atmen Sie tief ein.« Merkwürdigerweise begann ich mich nach und nach trotz der mich langweiligenden Autosuggestionen langsam etwas besser zu fühlen. Als Erstes verschwanden allmählich die merkwürdigen Muskelschmerzen, was ich eigentlich erst bemerkte, als ich mir eine zweite Dose Iso-Drink genehmigen wollte und das Aufstehen aus der Liege ohne den erwarteten reißenden Gelenkschmerz vonstattenging. Unsicher testete ich alle Bewegungen, die ich eine Stunde vorher noch sorgfältig vermieden hatte. Es blieb dabei, der Schmerz zog sich freiwillig aus den Tiefen meines Bewusstseins zurück. Erfreut nahm ich einen neuen Anlauf. Die App zeigte inzwischen eine blühende Almwiese, so eine, die es heute nirgendwo anders mehr gibt als in alten Kinderbüchern oder Dokumentarfilmen von vor hundert Jahren. Aber der Psychiater C. G. Jung hatte wohl recht, dass derartige Bilder als gemeinsame Archetypen im menschlichen Bewusstsein tief verankert sind. Eine angenehm seidige Frauenstimme flüsterte mir zu, ich solle doch das Leben genießen und einfach nur da sein. Suzanne.

      »Entspannen, konsumieren.« Einatmen, ausatmen.

      Suzanne.

      »Den Atem kommen lassen, sich führen lassen«. Einatmen, ausatmen.

      Suzanne, Suzanne.

      Plötzlich fuhr ich wie vom Blitz getroffen ruckartig auf. Natürlich, das war es! Ich hatte die Montenièr schon getroffen, oder vielmehr sie mich. Ich war plötzlich davon überzeugt, die Zusammenhänge zu verstehen, die ich irgendwie bereits geahnt hatte. Die Montenièr hatte mich in der Gasse liegend gesehen und jemanden gefragt, was mit mir sei. Auch die merkwürdige Reaktion des schmierigen Wirtes im Fleur machte plötzlich Sinn. Er kannte die Montenièr, aber wollte dies aus irgendeinem Grunde