Levi Krongold

Viktor


Скачать книгу

zum Psychiater, nervte dieser Hornochse alle Kollegen auf der Station mit seiner überragende. »Intelligenz«, die sich aus dem Nachplappern gerade gelesener Fachartikel und einem ansonsten völliges Dummschwätz zusammensetzte, aber enormen Eindruck bei den Professoren und Chefärzten der Stationen machte. Schon damals duckmäuserte er hinter den Vorgesetzten her, intrigierte nach Leibeskräften, bis er es zum Stellvertreter des Chefarztes geschafft hatte, nicht ohne alle, die ihm im Weg gewesen waren, kaltblütig abserviert zu haben. Ich war einer derjenigen, die seinem Wirken zum Opfer fielen, was zur Folge hatte, dass ich mich unversehens in dieser Behörde wiederfand, im hintersten Winkel des Gebäudes auf die Erlösung durch Berentung wartend. Was leider noch lange hin ist.

      Als ich dann vor anderthalb Jahren aus der Tür meines Büros trat und beim Gang zur Cafeteria zufällig einen anderen Weg durch einen sanierten Gebäudetrakt nahm, traf mich fast der Schlag, als ich vor dem Zimmer des Amtsleiters beinahe mit ihm zusammenstieß. Er verließ gerade mit den für ihn üblichen arrogant hochgezogenen Augenbrauen das Chefzimmer, stolperte ärgerlich fast in mich hinein, stutzte und zog die Mundwinkel nach unten.

      »Ah, Krongold, im Weg wie immer!« Ich blieb verdutzt stehen.

      »Was machen Sie hier?«, entfuhr es mir verblüfft.

      Er starrte mich an, wie eine lästige Fliege, die man gerne mit dem Daumen genüsslich zerdrücken möchte. »Arbeiten. Arbeiten mein Lieber. Eine für Sie ungewohnte Beschäftigung, nehme ich an.« Und ohne meine Reaktion abzuwarten, fuhr er fort. »Dadurch lieber Krongold bringt man es eben auch zu was. Sollten Sie vielleicht auch mal versuchen!« Damit wandte er sich ab und schwebte davon.

      Ich traf ihn später noch häufiger. Er hatte es wohl innerhalb weniger Monate zum stellvertretenden Leiter des Amtes Gesundheit und Soziales geschafft, dem neben meinem Refera. »Medizinische Begutachtung und Rehabilitation« unter anderem auch das Referat Hygiene und Seuchen untergeordnet ist.

      Jedesmal wenn ich ihm begegnete, hatte er gerad. »etwas ganz Wichtiges zu tun und leider gar keine Zeit für mich«. Einmal kam er gerade aus dem Refera. »Gefährdung und Sicherheit«, schwebte mit in die Luft gehobener Nase und einem dicken Ordner in der Hand gewichtig schreitend und sich nach allen Seiten absichernd, ob er denn auch bemerkt werde, an der Cafeteria und an mir vorbei, plingte mich an, nur um mir mitzuteilen, dass er gerade mi. »ganz oben« über mich gesprochen hätte. Natürlich nur mit den besten Empfehlungen. Man müsse ja denen von der Sicherheit nicht immer alles auf die Nase binden. Schließlich kenne man sich ja bereits seit Jahren und er würde auch gerne Kräfte unterstützen, die es selbst nicht nach oben geschafft hätten.

      Ich versuchte, den Druck in der Magengegend zu ignorieren, der mich bei seinem Anblick immer wieder quält, und wunderte mich nur. Was hatte ich mit de. »Oberen« des Referat. »Gefährdung und Sicherheit« zu schaffen?

      Dieses Referat ist ohnehin ein wenig merkwürdig. Seltsame Geschichten ranken sich um dessen Existenz. Niemand scheint so richtig durchzublicken, was dessen Aufgabengebiet eigentlich ist. Nicht einmal die Mitarbeiter des Referates sind namentlich im Adressverzeichnis des Amtes auf den Mail-Servern aufgeführt. Anstelle des Namens findet sich dort nur ein graues Feld. Weshalb sie im Amt auch al. »die Grauen« bezeichnet werden. Es wird immerhin gemunkelt, dass sie einen direkten Draht zu hohen Regierungskreisen haben sollen, und dass man sich lieber nicht mit diesen Leuten einlassen sollte.

      Es soll vorgekommen sein, dass das Arbeitszeitkonto plötzlich auf null gestellt war oder die angehäuften Überstunden plötzlich gegen minus unendlich tendierten, wenn man einem von ihnen irgendwie auf die Füße getreten war, sagt man.

      Seufzend erhob ich mich aus meinem Sessel, nachdem die Meldung, ich solle bei Eschner vorstellig werden, inzwischen ungeduldig blinkte und auf Kenntnisnahme bestand, ließ den Kaffee-Vanilla allein weiterduften und begab mich mürrisch an meinen Schreibtisch.

      Dort fischte ich die Aktenfolie vom Stapel und hielt sie vor den Scanner.

      Suzanne Montenièr, 26 Jahre, ledig, keine Kinder, Studentin der Bioinformatik und Historik, las ich da.

      Dem zugehörigen Bild aus der zentralen Meldebehörde, inklusive Genmuster-Code und Fingerabdruck zufolge, insgesamt ein smartes Persönchen.

      Diagnose. »Verdacht auf paranoide Schizophrenie, Wahnvorstellungen von Fremdbeeinflussung.« Studium geschmissen, Nachbarn mit ihren Vorstellungen, sie würde von fremden Mächten bestrahlt, belästigt, auffälliges Sozialverhalten und zunehmende soziale Isolierung. Das übliche. Schade eigentlich!

      Ich blätterte die restliche Akte lustlos durch und fragte mich, warum da so ein Bohei drum gemacht wird? Derartige Fälle sind relativ häufig geworden und kommen direkt nach den Angsterkrankungen von Leuten, die sich nicht mehr aus dem Haus trauen, weil sie befürchten, an der nächsten U-Bahnstation oder im Kaufhaus von einer heimtückisch im Mülleimer hinterlegten Bombe irgendeiner Terrorgruppe zerrissen zu werden. Letztere Erkrankung entbehrte leider nicht einer gewissen Berechtigung, führte aber bei den meisten Menschen nur dazu, dass sie sich in der Öffentlichkeit vorsichtiger bewegten, nicht jedoch das Haus gar nicht mehr verließen.

      Außerdem, wer musste außer Post- und Paktetzustellern noch groß das Haus verlassen? Wer dennoch raus ging, etwa um seinen Robohund Gassi zu führen, der hatte schließlich die Security-App, die mögliche Gefährdungsstellen auf dem geplanten Fußweg in Form kleiner Bombensymbole darstellte. Außerdem gab es inzwischen kaum eine größere Straßenkreuzung, keinen Eingangsvorplatz öffentlicher Gebäude, keine Bahnstation mehr ohne die üblichen Videokameras, die deutlich die Präsenz der Polizeigewalt demonstrierten. Und schließlich schleppte jeder irgend ein technisches Gerät mit sich herum, das die Bewegungsdaten kontinuierlich, offen oder versteckt, wie man munkelt, weitermeldete.

      Dennoch passierten mitunter diese mysteriösen Anschläge, bei denen es einzelnen Terroristen immer wieder gelang, unerkannt zu verschwinden, nachdem sie unschuldige Passanten ins Jenseits gebombt hatten.

      Manchmal bis zu zwei oder drei Anschläge im Monat mit gleichbleibender Tendenz. Auch dazu gab es die passende Terror-App.

      Was ich bei diesen diversen Terror- und Gegenterrorgruppen bis heute nicht verstanden habe, war, warum sie es meist auf die Oma von nebenan, die Schulkinder einer Grundschule, die Besucher von Kaufhäusern oder Theaterveranstaltungen, also unschuldige, unbeteiligte Menschen abgesehen hatten, jedoch nie Parlamentarier oder Chefetagen von großen Konzernen ins Visier ihres Zorns nahmen, die, wenn überhaupt jemand, für das ganze gesellschaftliche Durcheinander eher verantwortlich waren.

      Sei's drum.

      Ich nahm mir die Akte nochmals vor, die ich schon lustlos auf de. »Akteneingang« zurückgeworfen hatte, und ließ mir die letzte, die gelbe Auftragsseite anzeigen, wo genauere Angaben zur Art der Kontaktaufnahme ausgeführt waren und der Untersuchungsauftrag präzisiert wurde.

      Das Kreuzchen war vo. »Kontaktaufnahme vor Ort, da Einladung mehrmals erfolglos« gesetzt, gefolgt von mehreren Daten derartiger vergeblicher Einladungsversuche.

      Ich frage mich immer wieder, weshalb es immer noch Handakten gibt, wo doch letztlich alles im PC bearbeitet werden muss? Aber derartige Fragen stellt man in einer Bundesbehörde besser nicht, um sich nicht die Aufstiegschancen zu vermasseln.

      Vorgehensweise, Doppelpunkt, 4a, rot unterstrichen, mehrere dick gemalte Ausrufezeichen, Unterschrift, i.V. Dr. med., Dr. phil., habil. Eschner!

      Ich schaute erschüttert nochmals auf die Unterschrift, aber es war kein Zweifel möglich, da stand Eschner! Vor meinen geistigen Ohren erschallte ein dämonisches, boshaftes nachhallendes Gelächter aus einem zahnlosen nach Schwefeldampf stinkenden Mund.

      Ich spürte das dringende Bedürfnis, fünf Liter Wasser auf einmal zu trinken, um genug Saft in der Blase zu haben, um ihm an die Bürotür zu pinkeln, wenn ich nun zu ihm ging,.

      Der Code: 4a bedeutet nämlich nichts anderes, als. »Nähere Anweisungen vom Abteilungsleiter entgegen nehmen, vertraulich.«

      Dies hieß, aus meiner Bürotür zu treten, zu der feindlichen Tür des Dr. Dr. Eschner zu gehen und zu klopfen. Zu warten, weil durch die schalldichten Türen keine Antwort zu vernehmen ist,