Shino Tenshi

Engel und Dämon


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nächsten Baum geschleudert.

      Schmerz durchströmte seinen gesamten Leib und ein kurzes Winseln verließ seine Lippen, als er die Worte des Jungen nur noch am Rande wahrnahm: „Du bist schwach. So schwach. Du hast es nicht verdient zu leben. Niemand hier hat das. Sie alle haben sie getötet. Meine Mutter, die doch niemanden etwas angetan hatte. Dafür werdet ihr alle bezahlen und du, Kevin, wirst der Erste sein.“

      Die Schritte des Jungen näherten sich und er blieb vor dem Werwolf stehen. Die gewaltige Haarpracht wurde von der Energie leicht nach oben geweht, wodurch sie sanft darunter tanzte.

      Kevin konnte nicht auf diese Anwesenheit reagieren. Der Schmerz, den er das erste Mal fern von dem Haus in diesem Körper wieder wahrnahm, benebelte seine Sinne und machte das Denken für ihn fast unmöglich.

      „Warum hast du ihr nicht geholfen?“ Mit dieser Frage hatte Kevin nicht gerechnet, wodurch er nur schwer ein- und ausatmete, um Kraft zu sammeln. „Ich durfte nicht. Meine Eltern haben es mir verboten zu diesem Haus zu gehen. Und als ich kam, war es schon zu spät. Es tut mir Leid.“

      „Was für ein Unsinn. Das werde ich dir bestimmt nicht glauben. Du lügst doch nur, um deine Haut zu retten. Ja, du bist wie alle anderen Mörder in diesem Dorf. Ihr habt sie im Stich gelassen. Allesamt! Und jetzt bin ich hier. Hier um sie zu rächen! Und du wirst der Erste sein, der von ihnen sterben wird!“ Erneut wurde die Energie fester und greifbarer, als die Wut des Jungens zunahm, doch Kevin war es nur recht.

      Erschöpft legte er seinen Kopf auf den Boden und schloss das Auge. Seine Brust zitterte unter den Schmerzen, die ihm das Atmen noch schwerer machten, bevor er seine Stimme sanft erhob: „Tu es. Töte mich. Erlöse mich. Solange habe ich mich danach gesehen. Einfach zu sterben. Diese Existenz zu beenden. Ich will mich nicht mehr so sehen. Einfach kein Monster mehr sein. Ich habe so viele Leben genommen. So viel Leid zugefügt. Ich möchte nur noch sterben. Doch ich will, dass du es weißt. Ich habe nach der Verwandlung noch einmal versucht zurück zu gehen. Zurück in dieses verfluchte Haus. Doch ich konnte es nicht. Es hätte mich getötet.“

      „Was? Wieso wolltest du noch einmal zurück?“ Die Verwirrung in der Stimme des Jungen ließ das Energiefeld langsam verschwinden, wodurch Kevin nur erschöpft sein Auge wieder öffnete. Er würde doch nicht sterben. Noch länger so existieren. Wie lange würde Gott ihn noch bestrafen wollen?

      „Ich wollte zurückgehen, um mich für die Verwandlung zu rächen. Doch immer wenn ich mich dem Haus nähere, wird mein Körper von Schmerzen gestürmt, die mich fast in die Bewusstlosigkeit treiben. Ich konnte deine Mutter nicht befreien, weil ich gestorben wäre, bevor ich sie auch nur gesehen hätte“, erklärte Kevin die Situation.

      Erneut atmete er schwer, bevor er seinen Kopf wieder zurück auf das Gras legte. „Man verwandelte mich, als ich in das Haus kam und deine Mutter beinahe gesehen hätte. Und seitdem kann ich nicht mehr zurück. Aber du wolltest deinen Rachedurst stillen. Nur zu. Töte mich. Lass mich leiden. Erlöse mich von meiner Qual. Ich will nicht mehr leben und wenn du dadurch noch deinen Zorn freien Lauf lassen kannst, soll es mir nur Recht sein.“

      „Nein, das wäre Unrecht. Denn ich kannte nicht die ganze Wahrheit. Man hat mich getäuscht. Es tut mir Leid. Ich werde meine Mutter selbst holen gehen. Auch wenn es mich mein Leben kosten sollte. Ich werde sie holen und falls ich nicht zurückkommen sollte. Vergiss mich bitte nicht.“ Cido wandte sich ab und verschwand dann auf den Weg zum Dorf, wodurch Kevin nur enttäuscht aufwinselte, bevor er sein Auge schloss und unter den Schmerzen das Bewusstsein verlor. Er wurde schon wieder nicht erlöst. Wann würden seine Qualen endlich ein Ende finden? Er konnte und wollte nicht mehr...

      Unter der schwerfälligen Bewegung jaulten die Angeln der Tür auf, als man sie langsam öffnete und ein zierlicher Schatten durch den Spalt schlüpfte. Kurz darauf fiel sie auch schon wieder ins Schloss und so kehrte das Zwielicht in das Gebäude zurück.

      Das hüftlange Haar ließ die Umrisse des Jungen breiter wirken, als sie wirklich waren, doch es war ihm egal, denn er sah sich in den leicht erhellten Zimmer um. Die Möbel standen alle noch so da, wie sie es bei seinem ersten Besuch getan hatten. Niemand hatte etwas umgestellt oder gar entfernt. Also würde sie auch immer noch hier liegen.

      Ein enttäuschter Seufzer schlich sich über seine Lippen, doch er schüttelte den Kopf, um dann dem Fäulnisgeruch ins Wohnzimmer zu folgen. Auch dort ist alles gleich geblieben. Der Deckenhaufen lag immer noch auf der Couch und darunter würde sie auf ihn warten: Die Leiche seiner Mutter.

      Eigentlich hatte er gehofft, dass er sie hier lebendig antreffen würde. So lange hatte er nach ihr gesucht. So oft gehofft, dass sie ihn wieder abholen würde. Doch es geschah nicht. Es würde nie wieder geschehen. Sie war für immer fort.

      Ihr Lächeln würde für ihn für immer unerreichbar bleiben. Nie wieder würde er ihre Stimme hören. Nur noch der kalte Stein ihres Grabes würde seine Familie sein. Zumindest die Familie zu der er zurückkehren möchte.

      Er schluckte schwer, als er sich dazu zwang näher an den Haufen zu gehen und sich endlich der Wahrheit zu stellen. Sie war tot und er musste sie beerdigen. Das war er ihr schuldig. Schließlich war er ihr einziger Sohn.

      Gerade wollte er seinen Arm nach der Decke ausstrecken, als er plötzlich eine Diele hinter sich krächzen hörte, wodurch er sich panisch umdrehte und den Schlag in letzter Sekunde ausweichen konnte.

      Er hechtete an der Geschalt in schwarzer Kleidung vorbei und rannte auf die Tür zu, denn er wusste, dass sie sich niemals bei Tageslicht im Dorf zeigte. Sie konnte es nicht ohne ihre Identität preis zu geben und das schien sie mit aller Macht verhindern zu wollen.

      Doch als seine Hand die Türklinke umfasste und das Holz aufdrücken wollte, bewegte sie sich keinen Zentimeter. Sie war verschlossen. Er war hier gefangen, wodurch er die Schritte näher kommen hörte und im nächsten Moment tauchte schon der Schatten in der Tür zum Wohnzimmer auf. Verdammt! Wo sollte er hin? Was war die nächste Möglichkeit?

      Die Panik trieb Cido nach oben in den ersten Stock. Er nahm gleich immer zwei Treppenstufen auf einmal, um so schnell wie möglich das Ende der Treppe zu erreichen, wobei er dann nicht einmal wusste, wohin er eigentlich fliehen sollte.

      Das Haus war ihm unbekannt. Er kannte sich hier keinen Zentimeter aus, wodurch er einfach mal nach Links abbog. „Hoffentlich kann ich dort irgendwo raus. Ich muss diesem Zauberer entkommen.“

      Ohne lange nach zudenken, sperrte er sich in das nächstbeste Zimmer ein, wobei er sich an die Tür gelehnt zusammenkauert und hoffte, dass der Kerl daran vorbeigehen würde.

      Er wollte hier nicht sterben. Er durfte hier einfach nicht sterben. Schließlich musste er doch seine Mutter befreien. Er war der Letzte, der sie kannte und es für sie tun konnte. Das war er ihr schuldig. Damit ihr Geist in Frieden ruhen konnte. Sie durfte hier nicht für alle Zeit gefangen sein. Das hatte sie nicht verdient. Nicht sie.

      Die Schritte kamen näher, wobei man deutlich hörte, dass der Zauberer sich Zeit ließ. Er war sich seiner Beute sicher, wodurch Cido das Zittern seines Körpers nicht mehr bändigen konnte. War er so einem Feind überhaupt gewachsen? Er hatte doch gar keine Kampferfahrung.

      Sie verstummten. Direkt hinter ihm. Auf der anderen Seite der Tür. Die Gedanken von Cido überschlugen sich, als er versuchte zu begreifen, was das für ihn zu bedeuten hatte. Aber er wollte es nicht. Das durfte nicht sein. Sie mussten weitergehen.

      So lange geschah nichts. Es blieb still und Cido dachte schon, dass er aufgegeben hatte, als plötzlich an dem Türknauf gewackelt wurde. Immer wieder und energischer, bevor dann wieder Stille einkehrte. Cido traute sich kaum zu atmen. Er wollte auf keinen Fall durch irgendein unbedachtes Geräusch entdeckt werden.

      Zwei Schritte ertönten, die sich leicht entfernten und Cido wartete auf den Rest. Darauf dass sich die Gestalt gänzlich zurückzog, doch es geschah nicht. Denn nach ein paar Herzschlägen hörte er schon einen dumpfen Aufprall und das Holz hinter ihm vibrierte leicht unter dem Schlag.

      Er war gefunden. Jetzt würde er sterben. Cido spürte die Tränen in seinen Augen, doch er zwang sie nieder und sah sich im Zimmer um. Es war nur sehr spärlich eingerichtet.