Shino Tenshi

Engel und Dämon


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du den Mut dazu aufbringen, auch nur einen Fuß in dieses Gemäuer zu setzen. Vor allem wenn man dich davor gewarnt hat, dass es dort gefährlich sein könnte“, spottete sie weiter über ihn, wodurch sein Blick sich verfinsterte.

      „Ein Mensch kann sich ändern“, grummelte er leise in sich hinein, wobei seine Schwester kurz auflachte: „Ja, dass kann er vielleicht, aber nicht, wenn er ein so großer Angsthase ist wie du. Du traust dich ja nicht einmal eine Spinne zu entfernen und rennst vor allem davon, was auch nur ansatzweise für Probleme sorgen könnte. Seien es nun Lehrer, Mitschüler oder Mutproben. Du bist und bleibst ein Feigling, Sebastian Hudo.“

      Sebastian spürte einen Kloß in seinem Hals. Sie hatte ihm sämtliche Argumente genommen, wodurch er sie nur entgeistert anstarrte, was sie mit einem kurzen Lächeln das Zimmer verlassen ließ. „Schach matt, Bruderherz. Lass die Bauern lieber selber damit klar kommen. Du bist der Letzte, der ihnen helfen kann.“

      Sie war gemein und Sebi spürte, wie er einen Groll gegen seine Schwester entwickelte. Warum machte sie sich so über ihn lustig? Ja, er war früher ein Feigling gewesen und ist den Problemen, wo es nur ging, aus dem Weg gegangen. Aber hatte er nicht auch eine Chance verdient, zu beweisen, dass er sich ändern konnte?

      Er starrte in sein Zimmer, bevor er sich langsam auf sein Bett fallen ließ und die mit Holz verkleidete Decke betrachtete. Ja, seine Familie war nicht arm gewesen. Sie gehörten zu der Oberschicht, deswegen war ihnen Bildung zuteil geworden, die anderen Kindern verweigert wurde.

      Seine Eltern waren hierher gezogen, um den Bauern zu helfen, ihre Krise zu überstehen, denn sie waren Abgesandte des Herzogs von diesem Landstrich. Sie zogen oft um. Viel zu oft. Wodurch sie sich darauf geeinigt hatten so wenig Gepäck wie nötig mitzunehmen, damit sie nicht allzu viel Zeit mit Ein- und Auspacken verschwendeten.

      Ein Seufzer stahl sich über seine Lippen, als er weiter über das Haus und die Bevölkerung nachdachte. Es schien ein wirklich gravierendes Problem zu sein, wenn seine Eltern gerufen wurden. Und die abgemagerten Bewohner bestätigten diese Vermutung sogar.

      Er wollte gar nicht wissen, wie viele kleine Kinder in dem Winter gestorben waren. Alleine bei dem Gedanken fröstelte es ihn, wodurch er nach der Decke aus Lammfell griff, um sich kurzerhand in sie einzuwickeln.

      Ob er diesen Leuten auch irgendwie helfen konnte? Wenn er nur wüsste, was sie heimgesucht hatte und nun plagte. Er spürte in sich den Wunsch diesen Leuten zu helfen. Egal wie. Einfach nur etwas für sie tun, dass sie wieder einen Funken Hoffnung bekamen. Dass sie wieder die Chance verspürten, doch noch irgendwie weiterleben zu können.

      War er dazu wirklich in der Lage? Er fühlte sich plötzlich so alleine und schwach. Niemand stand hinter ihm. Seine Freunde waren nicht hier und seine Schwester verspottete ihn nur.

      Keiner war hier, der an ihn glaubte. Sein bester Freund nicht und die beiden anderen auch nicht. Es waren nur drei gute Freunde, aber Sebastian war immer schon der Meinung, dass er lieber wenig gute, als viele schlechte Freunde haben wollte, deswegen ließ er nur die wenigsten an sich heran.

      Sie fehlten ihm und er spürte, wie dieses Gefühl sich immer tiefer in seine Brust bohrte. Wie gerne würde er jetzt einfach zu ihnen gehen und sie um Rat fragen. Bestimmt würden sie ihm sogar behilflich sein, diesen Menschen zu helfen.

      Eine einzelne Träne lief über seine Wange, als er langsam seine Augen schloss und sich zusammenrollte. Er wollte einfach nur schlafen. Ein wenig schlafen und diese Einsamkeit und Hilflosigkeit vergessen, wodurch er sich in die Traumwelt geleiten ließ, um den Problemen erneut zu entkommen…

      Ein lauter Schrei ließ Sebastian aus seinen Schlaf hochschrecken. Erst glaubte er, dass er sich das Geräusch eingebildet hat, doch als weitere Geräusche des Chaos an sein Ohr drangen, war er hellwach.

      Er dachte nicht viel nach, als er aus dem Bett sprang und nach unten stürzte. Immer wieder drang ein kurzer Schrei zu ihm hindurch. Sie gehörten alle seiner Schwester und die Panik wuchs mit jedem weiteren Geräusch, das er vernahm.

      Nicht jetzt. Nicht jetzt durfte er zu spät kommen. Schneller. Er musste schneller laufen, sonst würde er sie nicht retten können und das durfte nicht passieren. Nein, er musste einfach rechtzeitig ankommen.

      Die Treppenstufen nahm er gleich mehrfach und sprang mehr, als dass er lief. Weit ausgreifende Schritte brachten ihn immer näher an sein Ziel, wobei er sich an dem Geländer festhalten musste, als er um die Ecke bog.

      Dennoch wurde er abrupt gestoppt. Irgendetwas lag im Weg und brachte ihn somit zu Fall. Hart prallte er längs auf den Boden auf. Sein Kopf schnellte in die Höhe und er sah in das Gesicht von Sarah. Ihr Körper war erschlafft und ihre Augen geschlossen. Anscheinend war sie ohnmächtig geworden. Der Stress war wohl zu viel für sie gewesen oder sie hatte den Anblick ihres Entführers nicht verkraftet.

      Ein Kloß bildete sich in seiner Kehle als er sah, wer oder besser gesagt was Sarah gerade über seiner Schulter trug. Eine behaarte Bestie stand auf zwei Beinen in der Mitte des Zimmers und erfüllte den Raum mit dem Geruch von nassem Hund.

      Der Wolfsschwanz peitschte unruhig hin und her, während immer wieder Blut auf den Boden tropfte. Das eine Bein war länger als das andere, genauso wie die Arme unterschiedlich aussahen. Hier und da erblickte man einen Knochen, der durch das Fleisch brach.

      Plötzlich kam Bewegung in den Koloss und Sebastian konnte sehen wie der Geifer von dem Maul tropfte und eine Pfütze auf den Boden bildete, wobei ihn ein eisiger Schauer durchstreifte, als er in das Gesicht der Bestie sah.

      Der Kiefer wirkte ausgerenkt, und war voller scharfer und krummer Zähne. Hellrosaner Schaum klebte an den Lefzen und im Fell. Das Gesicht war voller Narben, während ein einzelnes giftgrünes Auge den Jungen fixierte. Die andere Augenhöhle war leer. Das dunkelgraue Fell wurde immer wieder von Wunden, Knochen und Narben durchbrochen, weshalb sich der Brustkorb schwerfällig hob und senkte.

      „Wenn du deine Schwester wiedersehen willst, dann komm zu mir in den Wald. Ich werde auf dich warten.“ Das Maul bewegte sich nicht, dennoch erfüllte die dunkle Stimme den Raum und Sebastian wollte gerade antworten, doch mit einem Satz war die Kreatur auch schon durch das Fenster verschwunden.

      „Warte.“ Sebastian streckte seine Hand aus, doch seine Bitte blieb unerhört, wodurch er sich langsam erhob und in dem Raum umsah. Der Tisch und die Stühle waren umgestoßen. Sämtliche Teller und Bestecke waren quer über den Boden verteilt.

      Anscheinend hatte es Sarah der Bestie nicht unbedingt einfach gemacht. Dennoch wurde sie gefangen und es lag an ihm sie zu befreien. Doch konnte er das wirklich? Er lauschte in sein Inneres. Hörte das schnelle Schlagen seines Herzens und wie der Puls in seinen Ohren pochte.

      Dennoch verspürte er keine Angst. Er hatte keine Furcht vor diesem Tier. Denn auch wenn es grausam aussah, es wirkte nicht so. Es hatte in keiner Sekunde Bedrohung ausgestrahlt und wahrscheinlich hatte es auch seine Gründe, warum es Sarah entführt hatte.

      Sebastian atmete noch einmal tief ein und aus, bevor er sich dann abwandte und das Haus verließ. Seine Schritte führten ihn zielstrebig zu dem Wald, der das Dorf umschloss, um dann in dessen Schatten einzutauchen. So schnell wie möglich, bevor die Angst zurückkam und den Mut verschlang. Er musste sie retten. Nur er alleine. Das wollte die Bestie so und auch wenn Sebastian es nicht verstand. Vielleicht war jetzt der Tag gekommen, an dem er sich verändern konnte. An dem er endlich beweisen konnte, was in ihm steckte...

      Der Weg war matschig von dem Tauwasser des Schnees und ließ die Füße des Jungen immer wieder ein Stück weit versinken. Sebastian wusste nicht, wo er hin musste, doch er folgte einfach seiner Nase. Irgendein Gefühl sagte ihm, dass es der richtige Weg war.

      Vielleicht lag es daran, dass es nur diesen einen zu geben schien. Die Bäume wichen vor ihm zurück. Öffneten sich oder verschlossen sich vor ihm. Unbekannte Geräusche drangen an sein Ohr, die ihn das Blut in den Adern gefrieren ließen.

      Die Bäume schienen immer näher zu kommen. Sebastian begann bei jedem Geräusch zusammen zu zucken und sich panisch umzudrehen. Doch er erkannte in der Dunkelheit nichts außer tanzenden Schatten, die sich in seinem Geist zu grausigen Gestalten