Shino Tenshi

Engel und Dämon


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kehrt zu machen und wieder nach Hause zurückzugehen.

      Doch sein Stolz ließ es nicht zu. Er wollte dem Dorf beweisen, dass keine Bedrohung von diesem Haus ausging und er wollte auch die Frau kennen lernen. Schließlich hatte er sie bis jetzt nur einmal gesehen und zwar an dem Tag ihres Einzuges. Sie hatte das Haus betreten und war nie wieder heraus gekommen.

      Der Schrei, der in der darauf folgenden Nacht durch das Dorf hallte, ließ Kevin allein bei der Erinnerung schon das Blut in den Adern gefrieren, doch er schüttelte die Gedanken daran ab und zog noch einmal die Jacke enger um seine Schultern.

      Als er dann einen weiteren Schritt auf das Haus zutrat, wurde eine Lichtquelle in einem der Zimmer entzündet und erhellte den Weg, der zwischen ihm und dem Fenster lag, als würde das Haus ihn hereinbitten und sich wünschen, dass er näher trat. Der Lichtschein wirkte wie ein gelber Teppich aus Licht, der nur für Kevin ausgerollt wurde.

      Er trat näher heran. Erkannte Schemen in dem hell erleuchteten Zimmer, die es als Wohnstube enttarnten. Er hatte auch das Gefühl, dass auf der Couch ein Mensch lag, doch dieser bewegte sich nicht.

      Kevin trennten nur noch zwei Schritte von dem Fenster und er sah nun genug, um seine Vermutungen zu bestätigen. Es war eine Couch, die vor einem Kamin stand und auf ihr lag eine Person, die sich unter einer Decke zusammen gekauert hatte.

      Das Feuer tanzte zu einer ihm unbekannten Melodie. Es bewegte sich ungewöhnlich, wodurch es die Aufmerksamkeit von Kevin forderte. Als er näher hinsah, tauchte ein Kopf in dem Feuer auf, der ihn mit seinen Augen fixierte. Es war nicht zu erkennen, ob er einem Mann oder einer Frau gehörte, doch der Blick war stechend und drohend.

      Unwillkürlich kam Kevin näher um ihn genauer betrachten zu können. Im nächsten Moment löste sich der Kopf aus den Flammen. Schnellte mit einem Nerven zerreißenden Kreischen auf Kevin zu. Erschrocken wich dieser zurück und stürzte nach hinten, wobei er einen Schrei nicht gänzlich unterdrücken konnte.

      Sofort sah er sich um, doch anscheinend war sein Ausrutscher unbemerkt geblieben, wodurch er sich wieder nach oben arbeitete und zurück auf das Feuer, das ihm dieses Mal eine Gänsehaut über den Rücken jagte, sah.

      Vielleicht war es doch nicht so gut dieses Gemäuer zu betreten. Kevin spürte, wie er in seiner Entscheidung zu schwanken begann. Das Alles, was gerade passiert war, war irgendwie sehr unheimlich gewesen, wodurch er sich langsam nur noch nach dem sicheren Zuhause sehnte.

      „Komm, Kevin. Komm herein. Ich warte auf dich. Und du wolltest mich doch auch besuchen, oder nicht? Also, trau dich. Komm herein.“ Die Stimme hatte keine wirkliche Herkunft. Es wirkte, als wäre sie einfach nur in seinem Kopf erklungen. Dennoch konnte Kevin den Impuls sich umzusehen nicht unterdrücken.

      Doch er sah nichts. Er war alleine und auch die Stimme schwieg. Stattdessen wurde die Stille von einem leisen Knarzen durchbrochen und der Junge sah, wie sich die Tür einen Spalt weit öffnete. Fast so als wünschte man es sich wirklich, dass er dieses Haus betrat.

      Nur noch ein letztes Mal zögerte er und sah über seine Schulter zurück. Doch er war immer noch alleine und somit begann er einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich so unaufhörlich der Tür zu nähern.

      Seine Hand berührte das kalte, alte Holz, als er sie langsam und behutsam öffnete. Schwerfällig knarrte sie unter der Bewegung und gab den Blick auf einen verwahrlosten Flur frei, wobei ihm zeitgleich der Geruch von Staub, Alter und Fäulnis entgegenschlug.

      Hier hatte schon lange niemand mehr wirklich gelebt. Es wirkte eher gerade so, als wäre hier jemand beim Auspacken oder Einpacken gestört worden. Denn überall standen Körbe und Kisten herum, die mit Sachen gefüllt waren. Die einen mehr und die anderen weniger. Als hätte man einfach mitten drinnen aufgehört, weil man von irgendetwas unterbrochen wurde. Doch von was?

      Kevin verstand es nicht, doch er hatte eigentlich nur ein Ziel. Das Feuer mit dem Kopf und die Person auf dem Diwan. Auch wenn alles in ihm schrie, umzukehren und das Haus zu verlassen, so konnte er nicht mehr. Er war wie verzaubert von dem Gemäuer und trat näher. Hinein in das Licht und den Raum, der von dem Schein des Feuers erhellt wurde.

      Da lag sie. Die Decke und darunter…

      Kevin konnte es nicht genau zuordnen. Es waren eindeutig die zierlichen Umrisse einer Frau zu erkennen, doch sie wirkte noch lebloser als seine Mutter, wenn sie schlief und der Verwesungsgeruch wurde stärker. Immer stärker desto näher er sich der zugedeckten Frau näherte.

      Seine Hand zitterte als er sie nach der Decke ausstreckte. Er spürte den weichen Stoff und wollte gerade zugreifen, als plötzlich eine Bodendiele hinter ihm knarrte. Das Geräusch krallte sich in seinen Nacken und glitt über seinen Rücken bis tief in seine Beine.

      Erschrocken drehte er sich um, doch es war schon zu spät. Ein dumpfer Schlag traf seine Schläfe und alles um ihn herum wurde schwarz…

      „Er ist weg!“ Panik lag in der Stimme der Frau, als sie zu dem Esstisch eilte, wo ihr Mann saß, der sie nur verwirrt ansah. „Wer ist weg?“

      „Kevin! Er liegt nicht in seinem Bett und die Matratze ist schon kalt.“ Sie begann hysterisch zu werden, wobei ihre Stimme damit zu kämpfen hatte, dass sie sich nicht überschlug.

      „Was soll schon passieren? Er ist halt früh raus.“ Er zuckte mit den Schultern, doch sie wollte sich nicht beruhigen. Ihre mütterlichen Instinkte verrieten ihr, dass etwas nicht in Ordnung war und als es plötzlich an der Tür klopfte, wurde aus der Vermutung Gewissheit.

      „Morgen. Ist bei euch alles in Ordnung? Man hat gestern Nacht einen Schrei gehört.“ Ein Kloß bildete sich in der Kehle von Kevins Mutter, als sie die Worte des Nachbarn hörte, wobei sie ihn mit weit geöffneten Augen ansah. „Nein, Kevin ist weg.“

      Die Augen ihres Gegenüber wurden von Schrecken geweitet und im nächsten Moment wandte er sich ab, um davon zustürmen. Sofort brach ein wildes Treiben aus. Er klopfte an jede Tür, um die Dorfbewohner zur Suche zu alarmieren und auch die Eltern streiften mit ihren Nachbarn durch den Wald.

      Der Name des Jungen schallte bis zu den frühen Abendstunden durch den Wald, doch es kam keine Antwort. Niemand hatte auch nur die geringste Spur von Kevin gefunden. Er schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.

      „Leider konnten wir Kevin nicht finden.“ Der Dorfälteste, ein Mann, der von der Zeit gezeichnet war, mit tiefen Falten im Gesicht und schon weißen, schütteren Haar, sah die beiden Erwachsenen aus dunklen Augen bemitleidend an. „Aber gebt die Hoffnung nicht auf. Vielleicht haben wir ja das ein oder andere übersehen.“

      „Dorfältester! Dorfältester! Es ist schrecklich! Einfach grausam!“ Ein aufgebrachter Bürger stürmte auf die kleine Ansammlung zu und blieb dann schwer atmend vor ihnen stehen. „Irgendetwas hat das Wild zerfleischt!“

      „Das war bestimmt nur ein Wolf“, winkte der alte Mann ab, doch der Neuankömmling begehrte sofort dagegen auf: „Nein! Es kann kein Wolf sein. Ein Wolf würde seine Beute fressen, aber die Tiere wurden einfach nur zerfleischt. Keine Spuren davon, dass wirklich viel gegessen wurde. Als hätte man sie einfach nur der Grausamkeit willens getötete.“

      Die Augen des Dorfoberhauptes wurden schmaler und man erkannte, dass sämtliche Farbe langsam aus seinem Gesicht zu entweichen schien. „Du musst dich irren.“

      „Nein, es ist wirklich so. Vielleicht war es ja auch eine Seuche. Wer weiß. Es gibt doch kein Tier, das so grausam ist und nach einem Menschen sah es nicht aus.“ Der Bürger versuchte die von ihm angefachte Panik im Nachhinein ein wenig zu entschärfen.

      „Bete zu Gott, dass du Recht behältst. Gut, dann sperrt das Tier erst einmal für eine Weile in die Ställe. Es wäre schlecht, wenn sie sich bei dem Wild anstecken würden“, gab der alte Mann den nächsten Befehl, bevor er sich wieder zu den verzweifelten Eltern wandte: „Keine Sorge. Wir werden morgen weiter nach Kevin suchen. Der Junge wird schon auftauchen. Bis jetzt hat dieser Wald noch niemanden verloren.“

      Er versuchte die Angst der Beiden mit einem Lächeln ein wenig zu mildern, doch er erkannte in ihren Augen, dass er dies nicht geschafft hatte. Nur die Rückkehr von