Renate Dr. Dillmann

China – ein Lehrstück


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      „Made in China 2025“ zeigt den Stand des bisher Erreichten und Zielsetzung für die nächsten Jahre an. Dieses Programm baut darauf auf, dass die Volksrepublik in den letzten Jahrzehnten bereits sehr weit damit vorangekommen ist, sich selbst international konkurrenzfähige Unternehmen zu verschaffen, sprich: die Abhängigkeit von ausländischem Kapital zu verringern5. Es zeigt zudem, dass der chinesische Staat eine aktive und zielgerichtete nationale Industriepolitik betreibt, auch wenn inzwischen 50 % seiner Unternehmen keine Staatsunternehmen mehr sind.

      Einige Beispiele – ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

       Die staatliche Förderung von 15 Megaprojekten im Bereich von KI (Künstlicher Intelligenz) im 13. Fünfjahresplan, der Einbezug von Unternehmensvertretern aus diesem Bereich in die zahlenmäßig kleine, aber einflussreiche Politische Konsultativkonferenz des Volkskongresses, der staatlich initiierte Aufbau von 8.000 Gründerzentren6.

       Der Aufbau des größten E-Auto-Markts der Welt durch Interventionen der chinesischen Regierung: jährlich steigende Quote für reine Elektro- und Hybridautos (2019); Ende der Zulassung reiner Verbrennungsmotoren für 2035 angekündigt7; Umrüstung auf E-Bus-Flotten, wie bspw. in Shenzen, wo 16.000 E-Busse fahren. Chinesische Autohersteller wie Baic und Geely erobern durch den Umstieg auf E-Mobilität inzwischen rasch wachsende Marktanteile in China, viele westliche Autohersteller (Buick, Chevrolet, Ford, Citroen, Peugeot, Fiat) verlieren dagegen oder sind bereits ausgestiegen. Umgekehrt wollen Chinas Autokonzerne mit ihren E-Modellen nun auf den europäischen Markt; Batterien für E-Autos muss die deutsche Autoindustrie aus Südkorea oder China beziehen.

       Der Aufbau einer konkurrenzfähigen Flugzeugproduktion in China: Comac (Commercial Aircraft Corporation of China) arbeitet seit einigen Jahren daran, die bisher mit Boeing- und Airbus-Modellen ausgerüsteten chinesischen Fluglinien mit „heimischen“ Flugzeugen versorgen zu können. Obwohl noch nicht fertig, liegen bereits 815 Bestellungen von chinesischen Airlines vor.

      Diese und ähnliche Interventionen der chinesischen Staatsführung in ihre Wirtschaft werden der Volksrepublik von westlichen Politikern gerne als unlautere Eingriffe in den Wettbewerb zum Vorwurf gemacht; sie vergessen dabei gerne, welche Rolle auch in ihren Ländern staatliche (Kredit-)Hilfen bzw. Staatsunternehmen beim Aufbau konkurrenzfähiger Global Player gespielt haben und auch heute noch spielen (Volkswagen, Airbus, die Energiewirtschaft mit Atomkraftwerken wie alternativen Energien, Landwirtschaft, E-Mobilität, „Industrie 4.0“ – um nur einige deutsche Projekte zu nennen, die mit staatlicher Beteiligung, Staatssubventionen oder -krediten gegründet, reguliert oder gefördert werden)8. Umgekehrt gelten Chinas Staatseingriffe aus linker Perspektive als Anhaltspunkte dafür, dass China doch noch immer eine Art „Planwirtschaft“ sei – was einfach weglässt, welchem Ziel diese Eingriffe dienen. Es geht um den Aufbau von Unternehmen, die in der Weltmarktkonkurrenz erfolgreich abschneiden sollen – das ist das Unterfangen, bei dem die Volksrepublik erfolgreich sein will und das ihre Führung daher umsichtig und „planmäßig“ angeht.

      Dass solche staatlichen Interventionen in den kapitalistisch erfolgreichen westlichen Staaten zumindest in der Zeit vor „Corona“ nicht die gleiche Rolle wie in China spielen, sondern in den letzten Jahren eher eine Tendenz zur Privatisierung von Staatsunternehmen vorherrscht, liegt vor allem am zeitlichen Vorsprung, den diese Länder beim Aufbau ihres nationalen Kapitalismus haben. Es wird eine interessante Frage sein, ob die dazu passende ideologische Vorstellung vom Vorteil einer al umfassenden Liberalisierung (Stichwort: Neoliberalismus) angesichts der nach vorne stürmenden chinesischen Konkurrenz ihre besten Zeiten hinter sich hat …

      „Auf die eigenen Kräfte bauen“ 2.0

      Gerade weil chinesische Unternehmen auf dem Weltmarkt erfolgreich agieren sollen, will Chinas Führung das Land ein Stück weit weniger erpressbar machen und baut seinen Binnenmarkt weiter aus. Die Unternehmen sollen nicht alternativlos angewiesen sein auf internationale Zulieferer und Absatzmärkte, gerade angesichts dessen, dass USA und EU dem Land mit Importzöllen, exklusiven Handelsabkommen und zuletzt unberechenbaren Sanktionen immer mehr Hemmnisse in den Weg legen. Dieses Programm beinhaltet die gerade vorgestellten industriepolitischen Offensiven ebenso wie die staatliche Förderung alternativer Energieerzeugung, mit der die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten vermindert werden soll.

      Chinesische Atomkraftwerke

      Die Verfügung über zuverlässige Energiequellen zu sichern, gehört zu den elementaren Aufgaben jedes Staats, der seine Wirtschaft kapitalistisch erfolgreich machen und dafür die Abhängigkeit von Lieferstaaten minimieren will , die möglicherweise von seinen Konkurrenten/Gegnern unter Druck gesetzt werden. Darüber hinaus zielt kapitalistische Energiepolitik darauf ab, den Unternehmen möglichst billig möglichst viel Energie als Bedingung für eine möglichst umfangreiche Automatisierung und Digitalisierung ihrer Konkurrenzanstrengungen zur Verfügung zu stellen. Atomkraftwerken sind – insbesondere mit Blick auf Entsorgung und Endlager – nicht unbedingt kostengünstig, aber sie stehen ganz und gar unter der eigenen Regie. Die Gefährlichkeit dieser Art der Stromerzeugung fällt in den staatlichen Kalkulationen deshalb mit schöner Regelmäßigkeit unter den Tisch. Auch China hat sich – sogar nach dem Reaktorunfall Fukushima in seiner unmittelbaren Nachbarschaft und einigen Erdbebenkatastrophen im eigenen Land! – für den weiteren Ausbau seiner AKWs entschieden: 47 Atommeiler sind bereits in Betrieb, weitere sollen gebaut werden. Gibt es Protest dagegen? Durchaus. „Wenn die Anwohner definitiv gegen ein Projekt sind, dann kippen wir es“, lässt sich ein Beamter der obersten Energiebehörde NEA zitieren.(https://www.ausgestrahlt.de/informieren/atomkraft-in-anderen-laendern/atomkraft-china/). Zwei wichtige Bauvorhaben (eine Wiederaufbereitungsanlage in der Nähe von Shanghai und eine Brennelementefabrik in der Provinz Guangdong) wurden nach örtlichen Protesten zurückgezogen.

      Regenerative Energien

      „Allerdings lässt die Entwicklungs- und Reformkommission auch Sonne, Wind und Wasser in Rekordgeschwindigkeit ausbauen. Im Jahr 2015 hat sie 110 Milliarden Euro in erneuerbare Energien gesteckt, bis 2020 sind Ausgaben in Höhe von 350 Milliarden Euro geplant. Insgesamt sollen dann Windkraft- und Solaranlagen mit einer Kapazität von 320 bis 400 Gigawatt am Netz sein plus mindestens 340 Gigawatt Wasserkraft. Spitzenreiter soll die Kohle bleiben, mit 1.100 Gigawatt. Atomkraft hingegen kommt dem Plan zufolge trotz aller Neubauprojekte nur auf 58 Gigawatt.“1 Der Ausbau der chinesischen Energie-Infrastruktur bietet auch ausländischen Investoren Möglichkeiten – es ist durchaus nicht so, dass China gänzlich auf nützliche Kapitalimporte verzichten will: „Mittlerweile ist China die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Führend dagegen zeigt sich China in puncto erneuerbare Energien. Kein Land der Erde investiert mehr Geld in den Ausbau sauberer Energien. (…) Der chinesische Markt für die Energieinfrastruktur entwickelt sich sehr dynamisch. Digitalisierung und Automatisierung sowie die ambitionierte politische Flankierung eröffnen Chancen für den Einsatz neuer Technologien und forcieren Investitionen in den Ausbau und die Modernisierung des bestehenden Systems. Chancen bestehen zum Beispiel in der digitalen Nachrüstung und Vernetzung bestehender Anlagen. Technologien der Datenerfassungs- und Diagnosesysteme können dabei helfen, die Betriebseffizienz chinesischer Anlagen zu erhöhen. Zugangsmöglichkeiten ergeben sich vor allem in Kooperationen mit chinesischen Anbietern. Dies gilt sowohl für den lokalen Markt als auch die Zusammenarbeit auf Drittmärkten. Kooperationen, zum Beispiel in Form von Joint Ventures, Lizenzvereinbarungen oder Vertriebspartnerschaften bieten sich insbesondere deshalb als geeignetes Markteintrittsvehikel an, da der Energiemarkt sehr stark von Staatsunternehmen geprägt ist. Gerade hier kann die Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern, welche in der Regel einen besseren und vereinfachten Zugang zu Staatsunternehmen vorweisen, von Vorteil sein. Deutsche Unternehmen haben in Chinas staatlich dominierten Energiesektor vor allem als Lieferanten von Anlagen und Komponenten eine Chance.“2

      Zur Stärkung des Binnenmarkts gehört aus Sicht der Regierung in Beijing auch ihr riesiges, teilweise kapitalistisch noch nicht erschlossenes Land, das sie als „stille Reserve“ weiterer Expansion und Akkumulation ausgemacht hat. Mit kostspieligen und technisch aufwendigen (China