Renate Dr. Dillmann

China – ein Lehrstück


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nachgewiesen, schlimmstenfalls – und mit entsprechenden Konsequenzen – Verrat am Ziel der Revolution.Solche Techniken des Denkens beherrschen die Genossen in Moskau selbstverständlich auch – und zwar vorbildlich. Schon die Empfehlung der Komintern an die chinesische KP, sie solle sich mit der Guomindang verbünden, ist nach diesem Muster zustande gekommen. Praktisch liegt ihr der Wunsch der russischen KP nach einer verlässlichen Ostgrenze zugrunde. Die Sowjetunion hat gerade den konterrevolutionären Bürgerkrieg im eigenen Land überstanden und ist interessiert an Nachbarstaaten, die ausländischen Imperialisten und ihren Truppen kein Einfallstor bieten. Der zerrüttete Zustand der chinesischen Staatsgewalt ist dafür alles andere als günstig: Das Land von warlords beherrscht, die Ostküste bis teilweise tief ins Landesinnere von europäischen Mächten und Japan durchsetzt. Ihrer Schwesterpartei, die sich eben erst gründet, trauen die russischen Kommunisten nicht allzu viel zu. Die Guomindang hatte sich ihrerseits bereits unter Sun Yatsen an Moskau gewandt und von dort materielle und ideologische Unterstützung erhalten. Also fordert die Komintern, die zu dieser Zeit bereits mehr oder weniger den Standpunkt sowjetischer Außenpolitik vertritt, die fortschrittlichen Kräfte in China zur Zusammenarbeit auf. Begründet wird diese Anweisung dann historisch-materialistisch, nämlich damit, dass in China eine sozialistische Revolution momentan nicht anstehe, da das Land nach der Etappe des Feudalismus zunächst eine bürgerlich-demokratische Phase durchlaufen müsse.Von dieser Linie geht die Komintern auch dann nicht ab, als Ciang Caishek 1927 die Volksfront überraschend und mit harten Konsequenzen für die KPCh aufkündigt. Die KP hat ab 1925 in Shanghai und Kanton große Streiks und eine Welle nationaler Unruhe gegen die ausländischen Unternehmen und die halbkoloniale Verwaltung organisiert. Ciang Caishek sieht seine Guomindang in Gefahr, die Unterstützung der national-chinesischen Bourgeoisie zu verlieren und durch die Kommunisten, die bereits ein Drittel der GMD-Mitglieder stellen,18 übernommen zu werden – zumal sich diese überall als Aktivisten der Bewegung betätigen. 1927 marschiert er in einer Überraschungsaktion gegen die Kommunisten und schafft es in der Folgezeit fast, die Partei auszurotten.19 Auch wenn das im Zentrum der kommunistischen Weltbewegung als harter Schlag empfunden wird, führt es keineswegs dazu, dass die Sowjetregierung der GMD die Freundschaft kündigt. Für die gibt es nämlich – wie oben erläutert – die harte Grundlage eines sicherheitspolitischen Interesses. Was ex post in Zweifel gezogen wird, sind vielmehr die eigenen Deutungen und Einschätzungen. Das Massaker der Nationalisten lässt die russischen Kommunisten »einsehen«, dass sie sich die revolutionären Möglichkeiten in China viel zu rosig vorgestellt und dem chinesischen Proletariat viel zu viel zugetraut haben. Der Niederlage wird damit ex post eine gewisse Notwendigkeit zugesprochen: Linkes Abenteurertum muss am Werk gewesen sein, weil und wenn etwas schiefgegangen ist.Praxis und TheorieAllerdings raten weder die russischen Genossen noch die Komintern der chinesischen KP dazu, sich aufzulösen angesichts dieser widrigen Bedingungen (die sie ein Stück weit mitverursachen). Die Vorstellung einer gelungenen kommunistischen Revolution findet nach wie vor ganz selbstverständlich ihre Zustimmung. Mit dem kommunistischen Gewerkschaftler Li Li-san unterstützt Stalin die Linie eines in den Städten geführten proletarischen Kampfes. Gleichzeitig – sozusagen als realistische Rückversicherung – hält die Sowjetregierung allerdings auch an ihren guten Beziehungen zur Guomindang als real existierender nationaler Kraft fest. Sie unterstützt sie in den 1930er Jahren in ihrem Kampf gegen die Japaner erneut materiell. Dabei sieht sie großzügig darüber hinweg, dass die GMD ihrerseits den Kampf gegen die Kommunisten zur Hauptsache erklärt – »Die Japaner sind eine Hautkrankheit, die Kommunisten sind ein Herzleiden« (Ciang Caishek 1941, zit. nach White/Jacoby 1949: 155) – und mit mehreren Feldzügen gegen die inzwischen auf dem Land gegründeten Sowjetregierungen vorgeht. Hier hat man eines der ersten Beispiele für den Übergang von revolutionärem Internationalismus zu einer sowjetischen Außenpolitik. Für die russischen Kommunisten klafft ihr Wunsch nach möglichst vielen revolutionären Umtrieben auf der Welt und ihr Bedürfnis, die Revolution in ihrem Land zu verteidigen, auseinander. Auswärtige Kommunisten werden zunehmend unter dem Gesichtspunkt betrachtet und behandelt, was sie zur Verteidigung der russischen Revolution beitragen (können) – so als ob das Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion ihr erster und wichtigster Zweck sein müsste, und nicht der Umsturz der Verhältnisse in ihrem Land. Damit setzt die russische KP sich und ihre Interessen in einen regelrechten Gegensatz zu den Zielen der diversen kommunistischen Bewegungen, indem sie diesen als internationale Solidarität Unterstützungsleistungen abverlangt, die nicht einfach mit deren eigenen Zwecken zusammenfallen und -passen. Die Sowjetkommunisten rufen einen Nationalismus dieser Parteien geradezu auf den Plan bzw. verstärken notwendigerweise einen sowieso vorhandenen. Gerade die kommunistischen Parteien Chinas und Jugoslawiens – die sich aus eigener Kraft in ihren Ländern durchgesetzt haben – haben den Aufbau ihres Sozialismus denn auch immer in Konkurrenz zu und Absetzung von der Sowjetunion betrieben.Nach dem ersten Angriff Ciang Caisheks organisiert sich die hart getroffene KP neu. Während ein Teil unter Li Li-san in den Städten erneut das industrielle Proletariat zu mehreren blutigen, letztlich allerdings erfolglosen Aufständen aufwiegelt, versuchen andere, die Bauern auf dem Land für die Revolution zu gewinnen. Mao Zedong hält das – vor allem angesichts der Niederlage von 1927 – für den einzigen in China möglichen Weg. Als KP-Beauftragter für die Bauernfrage hat er in den Jahren zuvor damit begonnen, Bauern in Südchina gegen die Eigentumsverhältnisse auf dem Land zu mobilisieren. Die Bürgerkriegswirren und die rücksichtslose Plünderungspolitik der warlords hat die Lage der Bauern stetig verschlechtert, sodass es überall im Land bereits zu kleineren verzweifelten Aufständen gekommen war. Schon vor 1927 hatte Mao deshalb versucht, in der KP eine Linie durchzusetzen, die die Bauern als »revolutionäre Klasse« anerkannte, war damit aber mehrmals gescheitert. Nun sammelt er, gegen die damals offiziell gültige, von der Sowjetunion und der Komintern genehmigte Parteilinie von Li Li-san, im wahrsten Sinne des Wortes alles ein, was er an Anhängerschaft bekommen kann: Arme Bauern, die er mit Enteignungs- und Strafaktionen gegen reiche Bauern und Grundherren gewinnt; Räuber- und Rebellenbanden, denen er angesichts der Aussichtslosigkeit ihres Lebens zumindest die Perspektive eines Kampfs um bessere Verhältnisse bietet; Gefangene gegnerischer Truppen usw. usf.Damit ist er immerhin so erfolgreich, dass er in Kiangsi eine erste Sowjet (=Räte)republik ausrufen kann. Das setzt seine Theorie innerhalb der KP und auch in den Augen der sowjetischen Kommunisten im Nachhinein ins Recht.20 Sein Erfolg ruft aber auch die Guomindang auf den Plan. Ciang Caishek führt insgesamt fünf Feldzüge gegen die Kiangsi-Republik, bis er die Kommunisten so in die Defensive drängt, dass sie Ende 1934 abziehen. Es folgen der ebenso verlustreiche wie legendäre »Lange Marsch«, der Aufbau der Sowjetrepublik in Shensi (Nordchina), die erneute Einheitsfront mit der GMD gegen die japanische Invasion. Ohne dass hier detailliert auf diese Ereignisse eingegangen wird,21 sollen einige Punkte hervorgehoben werden:Die Rote Armee steht am Ende des Kriegs gegen Japan für die Gleichung von Landreform und nationaler Befreiung. Die KP ist damit die Partei der chinesischen Bauern wie chinesischer Patrioten aller Klassen und Schichten. Mit ihrem Marsch nach Norden zeigt sie sich im Vergleich zur Guomindang als diejenige nationale Kraft, die den Kampf gegen die Japaner ernsthaft als ihr wichtigstes Ziel betreibt. Damit sichert sie sich patriotisch gesonnene Bündnispartner unter den warlords. Mit zunehmendem Erfolg erhält sie die Unterstützung Stalins und untergräbt allmählich auch ein Stück weit die Moral der GMD-Truppen, denen der Kampf gegen die »Roten« angesichts der Bedrohung des chinesischen Vaterlands immer weniger einleuchtet. Sie agitiert die Bauern, sich nicht weiter schicksalhaft in ihre elenden Verhältnisse zu ergeben, sondern gegen Grundherren ebenso wie gegen den eigenen Geisterglauben und religiöse Traditionen anzugehen. Diese mit Sicherheit eher grob politmoralischen Appelle gewinnen für ihre Adressaten in dem Maße an Überzeugungskraft, wie die Kommunisten die jeweils reichsten Grundherren und Bauern verjagen oder umbringen, das Land neu verteilen, eine bessere landwirtschaftliche Produktion anleiten, Alphabetisierungskampagnen durchführen etc. Die Kommunistische Partei zeigt damit praktisch, dass sie für ein Staatsprogramm einsteht, das erstmals in China die Bauern nicht als Masse begreift, an deren kümmerlichen Erträgen sich die herrschende Klasse parasitär bereichert. Sie will vielmehr »dem Volke dienen«.»Die acht Regeln der Roten Armee: Stelle alle Türen wieder an ihren Platz, wenn du das Haus verlässt;* Rolle die Strohmatten zusammen, auf denen du schläfst, und gib sie zurück; Sei höflich und zuvorkommend und hilf, wenn du kannst; Gib alle geliehenen Gegenstände zurück; Ersetze, was du beschädigt hast; Sei ehrlich in allen Verhandlungen mit den Bauern; Bezahle für alle gekauften