Dietmar Werner Wagner

Havarie


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war, jetzt fand sie alles bestens.

      Als letztes kam der Hut. Das i-Tüpfelchen, passend zum Chanel-Kostüm.

      »Okay«, dachte sie, »here we go.«

      Sie verließ das Haus und bahnte sich den Weg durch die Menge. Dicht gedrängt waren die Zuschauer auf dem gesamten Werftgelände verteilt. Schiffstaufe war im Kieler Stadtteil Friedrichsort auch immer ein Volksfest. Sie hörte die Musik des Spielmannszuges aus der Ferne. Ein Umzug setzte sich bei jeder Taufe durch den Stadtteil in Bewegung.

      Es war für Angela immer wieder beeindruckend. An diesen Tagen hatte sie ein Gefühl dafür, dass die Werft nicht nur Geld abwarf. Sie war etwas ganz besonders für die Menschen, die hier arbeiteten und lebten.

      Während die Menschenmassen in Richtung Docks und Helling strömten, ging Angela in die entgegengesetzte Richtung, zum Eingang. Dort warteten Klaus Neubach und Günter Petermann, der ungeduldig zur Uhr schaute, bereits.

      Taufe war für jeden in der Werft der Höhepunkt des Schiffsbaus, egal ob Schweißer, Buchhalter oder Geschäftsführer. Wer wollte, durfte mitfeiern, die geladenen Gäste feierten mit Champagner, alle anderen hatten traditionell immerhin Anspruch auf eine Wurst und ein Bier in der Werkskantine.

      Eine der Sekretärinnen war für die Blumensträuße zuständig. Bei Taufen überließ Klaus Neubach nichts, aber auch gar nichts dem Zufall. Die Blumensträuße wurden vorher ausgesucht, damit sie zur Farbe der Kleider passten. Das anschließende Festmenü im Hotel »Maritim« wurde drei, vier Mal probegegessen, bis es passte.

      Nun schaute auch Klaus Neubach zur Uhr. Fünf vor, es wurde Zeit. Vor der Taufe waren alle nervös, alles was schief gehen konnte, wurde schnell zum bösen Omen für das Schiff erklärt. Der Aberglaube wurde zwar weniger, aber ganz war er nicht wegzudenken. Da kam der Mercedes durch die Polizeiabsperrung. Herbert Linndner, Reeder aus Bremen, stieg zuerst aus. Er reichte seiner Taufpatin die Hand. Sina Relinghorst war diesmal die Glückliche. Taufpatin war immer eine Frau und es war immer Sache des Reeders, sie zu bestimmen. Diesmal war es die Tochter des Hauptfinanziers des Tankers. Die stolzen Eltern stiegen aus dem nächsten Mercedes aus.

      »Mein lieber Neubach«, Linndner ging auf die beiden Geschäftsführer zu. »Ich freue mich, wieder bei Ihnen zu sein, Stapellauf in Kiel ist für mich und meine Frau immer ein besonderes Ereignis.« Bei diesen Worte erinnerte er sich dann auch an seine Frau und half ihr aus dem Wagen. Sie erhielt, wie die anderen Damen umgehend den jeweils farblich passenden Blumenstrauß.

      Dann wies Klaus Neubach den Weg. »Wenn ich bitten darf.« Der engste Kreis wurde nun von einer Delegation der Geladenen begleitet, die sich ihre Kanzel-Pässe am VIP Tresen abholten. Auf der Taufkanzel hatten nur knapp 20 Leute Platz, entsprechend sorgfältig suchte Klaus Neubach die Auserwählten aus.

      Diesmal waren der Bremer Wirtschaftsminister Fink und sein Amtskollege aus Kiel mit von der Partie. Die beiden hatten hinter den Kulissen einige Finanzprobleme aus dem Weg geräumt, um den Bau des zweiten Doppelhüllentankers für die Bremer Reederei zu ermöglichen. Die Gruppe war auf dem Weg zur Helling, der schräg zum Wasser abfallenden Fläche auf dem die Neubauten entstanden. Das Heck des Tankers ragte 15 Meter hoch über die niedrigen Häuser der Umgebung.

      Anders als beim Konkurrenten HDW wurden die Schiffe bei Neubach sozusagen unter Aufsicht der Öffentlichkeit gebaut. Der Bug des Schiffes ragte fast bis zum Zaun, der direkt an der Straße verlief. Langsam ging sie die Stufen zur Kanzel hinauf. Nur keinen Fehler machen, dachte die Taufpatin, ein blutjunges, ziemlich dummes Ding, das es allein Papi zu verdanken hatte, hier heute die Ehre zu haben. Klaus geleitete sie hinauf, Angela folgte mit Reeder Linndner. Dahinter und immer aufs Neue genervt, weil nur in zweiter Reihe bei den Taufen, folgte Petermann mit der Gattin des Reeders. Danach gingen, ohne feste Reihenfolge, die anderen Mitglieder der Kanzel-Crew an »Bord.« Die Kapelle des Friedrichsorter Spielmannszug intonierte inzwischen eine Variation aus »Muss i denn« und »Ick hev mal ’n Hamburger Vermaster.« Dann gab Petermann ein Zeichen und die Kapelle kam zum Schluss.

      »...taufe ich Dich auf den Namen „Sealord“. Ich wünsche Dir immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel und allzeit gute Fahrt.« Und nun knallte Sina Relinghorst die Flasche mit aller Kraft gegen den Schiffsrumpf. Sie hätte sich nicht so ins Zeug legen müssen: Man hatte inzwischen dafür gesorgt, dass da nichts mehr schief gehen konnte und der Champagnerflasche eine automatische Beschleunigung gegeben, damit sie sicher am Rumpf zerschellte.

      Der Beifall brandete auf, die Gäste auf der Taufkanzel waren ebenso begeistert, wie die Menschen, die in der Nähe der Würstchenbuden und Bierständen das Schauspiel verfolgten. Und dann kam Petermanns Einsatz, die sogenannten Pale, die Stützen unter dem Schiffsrumpf, wurden der Reihe nach weggeschlagen. »Pal eins, los«, gab er ins Walki-Talki. Hinten am Heck des riesigen Tankers holten zwei Schiffbaumeister mit Vorschlaghammern aus und schlugen die Pfähle weg, die den Rumpf des Schiffes auf dem Trockenen in Balance hielten. Die Helling hatte einen Neigungswinkel von 5 Grad und war mit Schmierseife eingerieben worden. »Pal zwei, los«, gab Petermann ins Sprechgerät, zwei weitere Neubacher schlugen die nächsten Stützen weg. Jetzt begann das Schiff zu ächzen, die Stahlplatten rieben sich gegeneinander, das Schiff setzte sich millimeterweise in Bewegung.

      »Pal drei, los«, Petermann sprach ganz ruhig, obwohl es in ihm brannte. Das war sein Moment, das war der Lohn für die Arbeit. Seine Arbeit. Denn ohne ihn, würde der Riesentanker jetzt nicht in die Förde rutschen. »Pal vier, los.« Er liebte und hasste diese Momente auf der Taufkanzel. Er hatte hier auf der Werft das Sagen, alle Betriebsabläufe wurden durch ihn gesteuert, jede Bestellung musste durch ihn genehmigt werden. Ohne ihn kein Tanker. Aber ich bin halt nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden, sagt er zu sich und blickte rüber zu Neubach. Er war wie er meinte, sicher aus gutem Grund, vom Seniorchef zum gleichberechtigten Geschäftsführer neben Klaus berufen worden. Alle Betriebsabläufe lagen unter seinem Kommando. Klaus war für die Akquise zuständig und für die Außenrepräsentanz. Für Smalltalk und große Reden, wie heute. »Pal fünf, los.« Jetzt nahm das Schiff Fahrt auf und rutschte zentimeterweise, langsam schneller werdend über die Helling, das Heck berührte jetzt das Fördewasser.

      »Pal sechs, Pal sieben, Pal acht«, jetzt zischte der Tanker in die Förde. Der Schwung reichte, um ihn einige zehn Meter ins Wasser zu befördern. An Bord waren Mannschaften, die die Leinen der Schlepper einholten. Noch war der Tanker ja nichts als eine Hülle, ohne Maschine, ohne Führerhaus war er auf die Hilfe der Schlepper angewiesen. Die verbrachten den Tanker zum Kai der Neubachwerft. Schon am Nachmittag wird die Brücke auf die Hülle gesetzt, erhält das Schiff Kontur. In einigen Wochen wird der Tanker an die Reederei übergeben.

      »Wird auch Zeit«, dachte Klaus, »die Werft braucht frisches Geld.« Ein Drittel hatte die Reederei bei Auftragserteilung auf den Tisch gelegt, das zweite Drittel war heute fällig. Der Rest folgt bei Ablieferung, jedenfalls wenn keine Reklamationen kamen. Bei der Linndner Reederei war das meist nicht der Fall. Das waren noch ordentliche Geschäfte dachte Klaus. Aber das wurde mehr und mehr die Ausnahme. Reedereien forderten inzwischen viel, die Werften durften sich um die Charter, die Finanzierung, meist auch um die politische Rückendeckung der Finanzierung kümmern. Und zum Schluss gab es die, die dann nicht die volle Summe zahlen wollten. So ein Tanker wie die »Sealord« kostete immerhin mehr als 100 Millionen Mark. Das Geschäft wurde immer riskanter. Aber Klaus wollte sich heute nicht die Laune verderben lassen. Das war sein Tag, das war der Tag, für die sich all die Mühe lohnte.

      »Sehen Sie, war doch ganz einfach«, Klaus scherzte mit der Taufpatin. Die Kanzel-Gesellschaft applaudierte dem Schiff hinterher und schaute sich an, wie die Schlepper den Tanker einfingen und beibrachten. »Meine Damen und Herren«, Klaus verschaffte sich mit lauter Stimme Gehör. «ich darf Sie nun bitten, als Gäste der Reederei Linndner und der Neubachwerft uns ins Maritim zu folgen, wo wir den glücklichen Stapellauf der „Sealord“ feiern wollen. Angela bewunderte die Veränderung, die sich bei ihrem Mann an solchen Tagen abspielte. Aus dem genervten, mundfaulen, langsamen, fast gekrümmten Opfer all der Leiden dieser Welt, wurde ein vor Spannkraft protzender eloquenter Mann von Welt. »Er hätte Pressesprecher werden sollen«, dachte sie, »das wäre der Job für ihn gewesen.« Angela und Klaus nahmen die Taufpatin in ihre Mitte und stiegen in den bereitstehenden Firmen-Mercedes ein. Die anderen