Dietmar Werner Wagner

Havarie


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die rund 50 Arbeiter aus, die die Ehre hatten, gemeinsam mit ihren Ehefrauen oder Partnerinnen am großen Festmenü teilhaben durften.

      Das Hotel »Maritim« lag an einem Sahnestück der Landeshauptstadt. Auf einer Anhöhe direkt an der Förde im Nobelviertel Düsternbrook. Das Gebäude aus den 70ern war nicht schön, aber der Blick daraus atemberaubend. Die Hotelangestellten geleiteten die Tauf-Gäste in den Saal »Friesland.« Von hier aus konnte man sogar noch bis zur Werft sehen, die »Sealord« lag am Pier, die Arbeiten daran hatten bereits begonnen.

      »Meine sehr verehrte Taufpatin, lieber Herr Linndner, liebe Gäste, liebe Mitarbeiter«, Klaus Neubach ließ es sich nicht nehmen die Eröffnungsrede zu halten. Später würde auch Petermann noch etwas sagen, der Reeder natürlich und ein Sprecher der Mitarbeiter. Aber jetzt war er dran. »Wieder mal ein großer Tag für uns Neubacher

      3 Shine On You Crazy

       Diamond

      Wer hätte ein Interesse an seinem Tod haben können? Raubmord schloss Beate sofort aus. Warum, wusste sie selbst nicht. Aber bei einem Mann wie Matthias wäre das zu lächerlich gewesen. Außerdem wurden Raubmorde meist eher aus der Situation heraus und selten mit einer Schusswaffe durchgeführt.

      Sie war sofort davon überzeugt, dass es mit seiner Arbeit zu tun hatte. Seine Vorliebe für investigativen Journalismus hatte ihm weder viele Freunde noch viel Glück eingebracht. Sein Magazin ist pleite gegangen, er arbeitete an Buchprojekten. Zum Teil Auftragsarbeiten, zum anderen Teil die Arbeit an einem neuen Roman. Sein erstes Werk hatte für allerlei Unruhe in Teilen der Upper Class der Fördestadt geführt. Ausführlich beschrieb er darin, wer in Kiel das Sagen hatte. Viele erkannten sich selbst oder Menschen aus ihrem Bekanntenkreis darin wieder. Die Liebe zum Detail führte bei einigen zu peinlichen Ausführungen.

      Wenn er schrieb, war er in seinem Element, dachte Beate. Langsam kam sie wieder zur nüchternen Betrachtung der Situation. Natürlich muss sie sich als erstes um seine Wohnung, besser um seinen Schreibtisch kümmern. Woran arbeitete er zuletzt. Sie klappte das Handy auf und rief Kaiser an. »Fahr zu Matthias’ Wohnung, wir treffen uns da.«

      Beate nahm sich ein Taxi. »Schloßstraße bitte.« Die Kurzstrecke war nicht die Traumroute des Taxifahrers, soviel machte seine Mimik deutlich.

      Als sie fünf Minuten später vor der Haustür stand, fiel es ihr schwer, Job und Gefühl zu trennen. Verdammt oft hatten sie sich hier getroffen. Kaiser wartete schon auf sie, gemeinsam gingen sie das enge Treppenhaus des Hinterhofhauses hinauf. Im Gebäude gab es nur eine Wohnung ganz oben. Die beiden anderen Stockwerke waren zu Büros umgewandelt worden. Diese Stufen war sie oft hinaufgegangen. Sie schob die Erinnerungen beiseite. Der Schlüssel lag an derselben Stelle, wie sie es damals vereinbart hatten. Kaiser kannte keine Details, aber genug, um sich nicht zu wundern.

      Sie schloss die Tür auf, ging voran auf dem langen Flur, roter Teppich, weiße Tapete, an den Wänden hingen vergrößerte Fotos, die er gemacht hatte. Konzertfotos, Kaiser erkannte Joe Cocker, Heinz Rudolf Kunze, ein anderes zeigte eine Sängerin, merkwürdigerweise von hinten. Kaiser blickte Beate fragend an.

      »Konzertfotos, das ist Patricia Kaas, Matthias hat als Fotograf angefangen, das Schreiben kam erst später dazu.«

      Sie gingen weiter zum Wohnzimmer. »Kein schlechter Blick«, kommentierte Kaiser die Aussicht auf die Nikolai-Kirche, die im Zentrum der Kieler Altstadt eine Idee davon gab, dass Kiel wirklich mal eine Altstadt hatte.

      Ledercouch, dänischer Lesesessel, in der Ecke ein Schreibtisch. Rechts und links des weißen iMacs lagen Stapel von Papieren. Beate blickte sie oberflächlich durch. Viele unbezahlte Rechnungen und Mahnungen. Mit Geld umgehen war nie seine Stärke, dachte sie. Hatte er was, gab er es aus, hatte er nichts, machte er Schulden.

      Links Recherchematerial, Ausdrucke von Internetseiten, Wikipedia, Google. Hauptsächlich über Schiffe und deren Finanzierungen. Nicht gerade sein Fachgebiet, dachte sie. Sie schaltete den Mac an. Mit dem typischen Einschaltton, der sie an den Schlussakkord von »A Day in the Life« vom Sgt. Pepper’s Album der Beatles erinnerte, nahm der formschöne Apple seine Arbeit auf. Beate erinnerte sich, wie Matthias fast liebevoll über seinen iMac und sein Macbook gesprochen.

      Kaiser setzte sich auf den Lederbürostuhl, nahm die Maus in die rechte Hand. »Kennst Du sein Password?« Nein, dachte sie, eigentlich nicht. Aber sie wusste, dass er soetwas immer sehr nachlässig behandelt hatte. Und immer Passwörter genommen hatte, die er nicht vergessen konnte. Eine zeitlang hatte er die Albumtitel seiner Lieblingsbands genommen. »Versuch mal „darksideofthemoon“.« Pink Floyd war die Band, die er am meisten geschätzt hatte, das Album hatte er oft als Bibel der Rockgeschichte bezeichnet. Aber es passte nicht.

      »Weißt Du noch andere Titel von Floyd-Alben, möglichst ein Wort«, Kaiser kramte in seinem wenig ausgeprägten Musik-Gedächtnis vergeblich nach diesen Alben. Ihm lagen klassische Klänge weitaus näher.

      Beate ging zum Plattenregal über der alten schwarzen Kenwood-Anlage und dem Thorens-Plattenspieler. Pink Floyd stand hier komplett: »Obscured by clouds«, »Wish You were here«, »Animals«, »Dark side of the Moon« sogar gleich dreimal in verschiedenen Aufnahmen. »Versuchs mal mit ,Ummagumma’«, das passte zu ihm.

      »Treffer«, Kaiser klickte Dateien an, die auf dem Schreibtisch lagen, öffnete den Ordner Dokumente. Offenbar Artikel, die er geschrieben hatte, aber nichts Aktuelles. Die neueste Datei war vom Januar, also zwei Monate alt. Für einen Journalisten eher unüblich, zwei Monate nichts zu schreiben.

      Kaiser öffnete Safari, die Chronik des Internetbrowsers war leer. »Matthias hat immer Firefox benutzt, such mal in den Programmen.« Die Firefox-Chronik enthielt das, was sie in Papierform auf dem Tisch fanden, aber auch hier alles zwei Monate alt.

      Offenbar hatte Kerner den Computer nicht gebraucht in den letzten acht Wochen. Ebensowenig die letzten Word-Dokumente. »Geh mal auf das Programm Pages, damit hat er meistens gearbeitet.« Beate erinnerte sich, dass Matthias eine nicht nachvollziehbare Abneigung gegen alles gehabt hatte, was aus dem Hause Microsoft kam.

      Kaiser öffnete das Programm und ging auf den Reiter „Benutzte Dokumente“. Hier waren fünf Dateien aufgelistet: »Havarie« hieß das zuletzt benutzte. Kaiser klickte darauf.

      »Die Datei konnte nicht gefunden werden«, vermeldete der Computer. Auch die anderen Dateien kamen zum gleichen Ergebnis.

      »Havarie? Was mag uns das wohl sagen?«

      »Ich muss jetzt erstmal eines wissen«, Kaiser hatte die Frage lange unterdrückt, nun war sie überfällig.

      »Wie nah standet Ihr euch? Ich weiß, Ihr hattet eine Affäre. War es mehr?«

      Beate wäre froh gewesen, wenn sie die Frage hätte beantworten können. Genau genommen ging ihr diese Frage seit dem Tag durch den Kopf, als sie Matthias gesagt hatte, dass sie nicht mehr wolle. War es mehr gewesen? Zugleich ärgerte sich Beate über die Frage. Was ging ihn das an?

      »Ich habe immer Job und Privates getrennt, ich gedenke, das auch weiter so zu handhaben«, entgegnete sie, kühler als gewollt.

      Sie wusste, Kaiser gehörte zu denen, die ihr nicht schaden wollten. Vielleicht hatte er das Recht, die Frage zu stellen. Aber sie wollte, sie konnte das nicht beantworten.

      »Es ist ja ganz brauchbar, dass Du Passwörter knackst, weißt, wo der Haustürschlüssel liegt, und wenn Du seine Unterhosengröße kennst, hab ich auch nichts dagegen. Aber ich muss wissen, wann Du emotional zu belastest bist, um normal zu agieren. Es geht um einen Mordfall.«

      Beate wusste, dass er Recht hatte, und hatte trotzdem keine Lust, sich in ihren Gefühlen zu offenbaren. Nicht hier, nicht vor einem Kollegen, nicht jetzt.

      »Du kannst sicher sein, dass ich den Punkt kenne, wenn einem die Ermittlung aus den Fingern rutscht. Das ist hier nicht der Fall.«

      Sie war sich sogar sicher, dass das stimmte. Kaiser gab sich zufrieden, erstmal.

      Beate ging durch die anderen Räume der Wohnung, Küche, Bad, Schlafzimmer. Klar, dachte sie, da bin ich ganz cool, was soll mich