Dietmar Werner Wagner

Havarie


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Laptop.

      Sein iBook.

      Sein iBook hatte Matthias mit ins Bett genommen. Er hatte die Angewohnheit, abends noch Mails zu checken und manchmal sogar Artikel zu schreiben - im Bett. Eine beknackte Angewohnheit, wie Beate meinte. Aber auf jeden Fall stand das Laptop am Bett, wenn er es nicht unterwegs benutzte.

      Und jetzt war es weg.

      »Ich glaube, er ist wieder jemandem auf die Füße getreten«, Beate sah Kaiser entschlossen an.

      »Aber diesmal eine Nummer zu groß für ihn«, sagte ihr Kollege, ohne überlegenen Unterton.

      4 Time

       (Havarie, Seite 35)

      Als er den Wagen vom Werftgelände steuerte, war er sehr nachdenklich. Was ihm sein Vater eröffnete, war nicht wirklich überraschend, doch nun stand das Wort im Raum: Konkurs.

      Klaus Neubach bog hinter dem Werkstor rechts statt links ab, er wollte noch nicht nach Haus. An der nächsten Kreuzung bog er erneut rechts ab und steuerte seinen Mercedes ans Skagerakufer. Er hielt an und stieg aus. Die Kälte sprang ihn geradezu an. Jetzt im Februar war es noch immer eiskalt, auch wenn kein Schnee mehr lag. Er ging hinunter ans Wasser.

      Die Wellen rauschten an den kleinen Strand, der sich hier zwischen das Werftgelände und die großen Maschinenfabrik von Caterpillar quetschte. Eine Idylle, eingeengt zwischen den wuchtigen Docks auf der einen und den großen Anlegern auf der anderen Seite. Klaus Neubach mochte diese stille Natur-Auszeit zwischen den lärmenden Industrie-Giganten. Er kam hierher, wenn er nachdenken musste. Und das war jetzt der Fall. Was ihm sein Vater eröffnet hatte, war das Startzeichen für ihn. Er sollte nun übernehmen. Aus dem Konkurs sollte er eine neue Firma schmieden, die den Schiffbau in dritter Generation fortsetzen würde.

      Es war klar, dass der Tag kommen würde, aber jetzt senkte sich dieser Gedanke schwerer über ihn, als er sich je ausgemalt hatte. Die Vorstellung, das Ruder zu übernehmen, verfolgte ihn nun schon mehr als 20 Jahre. Er erinnerte sich, wie in der Schule nach den Berufswünschen der Kinder gefragt wurde. Er beneidete die Mitschüler, die Rennfahrer oder Schauspieler werden wollten. Ja sogar die, die Schaffner oder Feuerwehrmann als Ziel hatten. Denn er wusste: Die konnten sich noch zehn Mal anders entscheiden. Als die Reihe an ihn kam, sagte er »Schiffbauer und Chef.« Und er wusste, dass das so kommen würde. Er hatte keine Wahl.

      Er blickte auf die Kieler Förde. Auf Dock 1 »seiner« Werft waren noch Schweißer am Werk. Ein russischer Tanker war in der Ostsee havariert und nun zur Reparatur ins große Neubach-Trockendock geschleppt worden. Mit diesem Dock war sein Großvater 1945 aus Memel über die Ostsee geflohen. Die blauen und gelben Flammenspritzer der Schweißarbeiter kontrastierten mit dem Schwarz des Docks und dem tiefen Dunkelblau des Wassers. Das Scheinwerferlicht auf den Docks spiegelte sich im kabbeligen Wasser der Förde. Seine Mutter hatte ihm mal gestanden, dass sie keine vier Kinder gewollt hatte. Aber er, der »Stammhalter«, der, der alles weiterführen sollte, kam erst als Nummer drei, nach seinen Schwestern zur Welt. Sein jüngerer Bruder war dann noch ein »Betriebsunfall«, wie seine Mutter sagte.

      Weiter hinten konnte er den großen Kran von HDW sehen, der sich als Wahrzeichen der Stadt über deren Rest-Silhouette erhob. HDW, dachte er, da war keine Insolvenz zu befürchten. Wenn da mal etwas schief ging, war die Politik da und sorgte mit helfenden Händen und vor allem Steuermillionen dafür, dass HDW überlebte. Größe war ein entscheidender Faktor in dieser Branche. Wer zu klein war, ging unter. Und Klaus Neubach war sich nicht sicher, ob seine Werft groß genug war, um zu überleben. Seine Werft. Ihn fröstelte.

      Und Klaus Neubach war sich nicht sicher, ob das am Winter lag.

      5 Welcome To The Machine

      Beate ging ins Verlagshaus, wusste aber eigentlich noch gar nicht, mit wem sie sprechen wollte. Beate fing einfach mal oben an: »Müller, Kripo Kiel, ich möchte zur Geschäftsführung, danke.«

      Die Dame hinter der Schalterscheibe starrte auf den hingehaltenen Dienstausweis. Der Besuch der Polizei war ihr sichtlich unangenehm. Sie nahm den Telefonhörer und rief in der Chefetage an.

      »Ich hab hier eine Dame von der Kripo für Herrn Dr. Jansen, ja, okay. Bitte gehen Sie durch die Tür zum Fahrstuhl, es ist der erste Stock, Zimmer 213.«

      Beate betrat das Zimmer 213 und hatte die Wahl zwischen links und rechts oder einem Tresen in der Mitte. Links eine Dame, rechts eine Dame, beide lächelten ihr zu. »Die Dame von der Kripo?« »Ja Kripo Kiel, ich möchte bitte mit der Geschäftsleitung sprechen.«

      »Herr Dr. Jansen ist noch in einem Telefonat, ist es Ihnen recht, mit unserem stellvertretenden Geschäftsführer Herrn Meinert zu sprechen?«

      Okay, fangen wir halt irgendwo an, dachte Beate und nickte stumm.

      »Bitte kommen Sie.«

      Fast servil kam ihr ein sehr dicker Mann mit Schnurrbart und Halbglatze entgegen, dessen wirkliche Konfektionsgröße in allem eine Nummer über dem lag, was er trug.

      »Sie sind von der Kripo, was kann ich für Sie tun? Ich hoffe, ich hab nichts ausgefressen...«

      Beate liebte solche Eröffnungen. »Achtung Vollpfosten« raunten sich Beate und Kaiser dann oft zu.

      »Das weiß ich noch nicht, was ich aber weiß, ist, dass Matthias Kerner tot ist.«

      Das saß. Da wurde es bei »Mister Vollpfosten« ruhig hinter der Stirn.

      »Bitte wer...«, stammelte der eben noch so vollmundige Alleswisser.

      »Wir haben Grund zu der Annahme, dass Ihr Matthias Kerner gestern erschossen wurde«,

      »Erschossen?«

      »Erschossen!«

      Beate ließ alle Ungeduld raus, sie mochte den Mann nicht und sie wusste auch, dass er eine unrühmliche Rolle in der damaligen Affäre, die Matthias mit seiner Artikelserie losgetreten hatte, spielte. Sich und seinen Posten hatte er aber retten können.

      »Ja, erschossen. Das ist, wenn man jemanden mit einer Schusswaffe tötet.« Den Satz hatte sie schon öfter gebraucht, sie hatte Gefallen daran gefunden, die Tragik des Todes mit der Lächerlichkeit solcher Sätze zu verbinden. Und sie hoffte, mit ihrer gewollten, ja notwendigen Flappsigkeit niemanden zu verletzen, der tatsächlich unter dem Tod eines geliebten Menschen litt. Manchmal eine Gratwanderung, heute nicht, entschied sie.

      Der Mann der ihr gegenüber saß, hatte die Feinfühligkeit einer Betonplatte. Dafür die Schweißproduktion eines Marathonläufers. Beate machte es Freude, dass ihre Eröffnung den Mann unter Feuer brachte. Also legte sie nach.

      »Wollen Sie kooperieren?«

      »Ja, natürlich, was kann ich für Sie tun?«

      »Wir haben Hinweise, dass Kerner an einer Geschichte arbeitete, die er vielleicht auch dem Anzeiger anbieten wollte. Wissen Sie, ob das geschehen ist?«

      »Ich kenne Herrn Kerner nur aus seiner Zeit, als er hier ein zuverlässiger Mitarbeiter war«, log Meinert, und Beate wusste es. Matthias hatte ihr von seinen Gesprächen mit Meinert erzählt, die Beschreibung seiner unangenehmen Fettleibigkeit konnte sie nun gut nachvollziehen. Wie in Matthias Beschreibungen rutschte das zu kleine Hemd an einer Stelle aus der Hose, der Stuhl unter ihm ächzte unter dem Gewicht von vielleicht 140 Kilo.

      »Sie hatten auch danach Kontakt mit Herrn Kerner, das wissen wir.«

      »Ich hole mal unseren Chefredakteur, Herrn Wohlert, hinzu. Er stand auf und steckte den Kopf durch den Türrahmen. »Frau Blichenberg, bitten Sie Herrn Wohlert bitte her.«

      Jochen Wohlert war etwas konsterniert, als die Chefsekretärin ihn für »sofort« in die Chefetage rief. »Worum geht's?«

      »Kann ich Ihnen nicht sagen, eine Dame von der Kripo ist hier.«

      Der bullige Chefredakteur erhob sich langsam und ging bedächtig zum Fahrstuhl. Paul Gerhard, Volontär im ersten Jahr, kam ihm aus dem