Kathrin Brückmann

Halbe-Halbe, einmal und immer


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und es ging ein lebhafter Wind, der den am Vortag gefallenen Schnee wegschmolz. Der Fußmarsch durch die nassen, windigen Straßen tat Sophie gut. Sie fand das Bestattungsinstitut ohne Mühe. Der Bestatter schien erfreut über ihr Kommen.

      »Unser tief empfundenes Beileid, Frau Schatz, zu Ihrem Verlust«, sagte er eingeübt, als sie ihm in seinem Büro gegenübersaß. Es roch nach welken Blumen.

      »Danke.«

      »Der Nachlasspfleger hat Sie uns schon angekündigt.« Der Bestatter machte Fotokopien von Sophies Personalausweis und dem Erbschein. Dann schob er ihr eine schmale silbergraue Mappe über den Schreibtisch entgegen.

      »Die Sterbeurkunden für Sie.«

      Sophie klappte die Mappe auf. Oben auf den Urkunden lag die Rechnung des Instituts. Die Tote war für 310 Euro und ein paar Gebühren eingeäschert worden, aber eine Beisetzung war nicht berechnet. Das konnte nur heißen … Sophie sah auf.

      Der Bestatter hielt ihr eine Urne hin und sagte: »Möchten Sie vielleicht eine Tragetasche?«

      Eine Minute später stand sie wieder auf der Straße. Vom Bestattungsinstitut zur Bank war es nicht weit.

      Das Bankkonto der Großtante war bis auf einen symbolischen Betrag leer.

      »Die Rente Ihrer Großtante«, sagte eine fitte junge Frau, die die Kontoschließung bearbeitete, den Blick fest auf ihren Bildschirm gerichtet, »ist immer an das Seniorenheim überwiesen worden. Auch das Geld von ihren Sparbüchern, als die aufgelöst wurden. Hätten wir einen Käufer für ihr Haus gefunden, wäre der Kaufpreis ebenfalls an das Heim gegangen.«

      Moment, dachte Sophie. Sie sagte: »Sie haben versucht, das Haus zu verkaufen?«

      »Unsere Immobilienabteilung.«

      »Mit jemandem von der Abteilung möchte ich mal sprechen.«

      »Gern. Ich mache Ihnen einen Termin.«

      »Jetzt«, sagte Sophie. »Ich wohne fünfhundert Kilometer weit entfernt. Ich kann nicht irgendwann wiederkommen, wenn Sie einen Termin freihaben, oder so lange hier in einem Hotel warten.«

      Die Immobilienabteilung der Bank bestand aus einem einzelnen Büroraum und einem Mann. Er war nicht mehr jung und auch nicht fit. Sophie konnte ihn atmen hören und roch, dass er Raucher war. Er war aber auch einer derjenigen, die ihren Kunden noch ins Gesicht sahen, wenn sie mit ihnen sprachen, und Papier umblätterten, statt eine Tastatur zu bedienen. Nach allem, was Sophie von Jens über Banken wusste, war der Mann ein Auslaufmodell. Als sie sich vorgestellt und ihr Anliegen vorgebracht hatte, suchte und fand er einen schmalen Aktenordner und studierte eine Minute lang dessen Inhalt.

      »Grobitzer 210 … ja …«, sagte er dann. »Interessantes Objekt, schönes Haus. Schöne Gegend. Ich war im letzten Sommer ein paar Mal mit Interessenten da draußen. Aber keiner hat sich getraut.«

      »Woran lag das?«

      »Kennen Sie das Haus nicht?«

      »Erst seit gestern.«

      »Also … wo soll ich anfangen? Erst mal liegt das Objekt am Ende der Welt. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn das Haus wenigstens Telefon hätte. Hat es aber nicht. Mein Handy hatte da draußen auch kein Netz, aber vielleicht ist das mittlerweile ja besser geworden.«

      Ist es nicht, dachte Sophie.

      »Dann ist das Haus einfach zu groß, um nur darin zu wohnen, und zu klein, um es zu einem Hotel, einem Gästehaus, einer Tagungsstätte oder etwas Ähnlichem zu machen. Ein Umbau käme ohnehin nicht infrage, weil es unter Denkmalschutz steht. Das macht auch die Renovierung extra kompliziert und teuer. Sie müssen nämlich den Bau und seine Ausstattung komplett erhalten, und sich bei allem, was sie ausbessern oder ersetzen, am Originalzustand orientieren. Die Denkmalschutzbehörde nimmt es da ganz genau. Die achtet auch darauf, dass Sie Ihr Haus nicht einfach sich selbst überlassen, bis es einstürzt. Dann bekommen Sie nämlich ein sattes Bußgeld und werden schlimmstenfalls auch noch enteignet.«

      Ich sitze in der Falle, dachte Sophie.

      »Es gab Interessenten, die hätten das Objekt gern als Grundstück gekauft.«

      »Warum? Was ist damit?«

      »Es ist groß, hat mehr als einen Hektar Fläche, und die Lage auf der Anhöhe ist ausgesprochen schön. Es gab Investoren, die wollten darauf bauen, aber das geht nicht. Das Grundstück liegt in einem Landschaftsschutzgebiet und ist abwassertechnisch nicht erschlossen.«

      »Abwassertechnisch …?«

      »Ihr Haus hat eine Sickergrube. Das ist heute keine erlaubte Methode mehr, Abwässer zu entsorgen, aber bei alten Häusern weitab von öffentlichen Abwassersystemen wird das noch geduldet. Bestandsschutz nennt man das. Neubauten ohne Anschluss ans Abwassernetz sind unmöglich. Auf Ihrem Grundstück kann also auch nichts Neues gebaut werden.«

      »Ich sitze in der Falle«, sagte Sophie, aber mehr zu sich selbst.

      »Wie bitte?«

      »Ach, nichts. Was mache ich denn nun mit diesem wertlosen Haus?«

      »Es ist nicht grundsätzlich wertlos«, sagte der Immobilienmann. »Nur im Moment. Eigentlich ist es ein sehr schönes Haus. Wäre es bezugsfertig renoviert, könnte es …« er wiegte den Kopf hin und her: »… 200 bis 250.000 bringen. Oder sogar mehr. Die Frage ist aber, was die Renovierung kostet und ob dann noch Gewinn bleibt. Spezialfirmen, die Denkmalschutzhäuser restaurieren, sind teuer und selten.«

      »Das hilft mir jetzt nicht weiter«, sagte Sophie. »Ich habe nicht die Mittel, um das Haus renovieren zu lassen. Ich habe auch nicht die Zeit, darauf zu warten, dass es mir, teuer renoviert, vielleicht, irgendwann, deutlich mehr einbringt, als das, was ich bekomme, wenn ich es jetzt gleich verkaufe, wie es ist.«

      »Vorausgesetzt, Sie finden einen Käufer«, sagte der Immobilienmann.

      »Finden Sie einen für mich«, sagte Sophie. »Bieten Sie das Haus noch einmal an. Billig – 22.000 Euro sind mir genug. Ich will nur nicht darauf sitzen bleiben.«

      »Wir müssen schon etwas mehr verlangen«, sagte der Immobilienmann, »unsere Bank muss ja auch was verdienen. Ein Objekt, das zu einem Spottpreis weggeht, bringt uns nicht viel mehr als eines, das sich gar nicht verkauft.«

      »Verlangen Sie, was Sie für richtig halten«, sagte Sophie. »Nur … verkaufen Sie es.«

      Der Immobilienmann seufzte. Dann kramte er in einer Schublade seines Schreibtischs. »Das hier ist ein Vermittlungsvertrag«, sagte er und schob Sophie ein paar eng bedruckte Seiten Papier über seinen Schreibtisch zu. »Setzen Sie Ihre persönlichen Daten und die des Objekts ein, unterschreiben Sie und senden oder faxen Sie mir den Vertrag zusammen mit einem Grundbuchauszug zu.«

      Einem was? Sophie sagte: »Was ist denn ein Grundbuchauszug und wo kriege ich den her?«

      »Vom Grundbuchamt. Haben Sie das Grundbuch schon berichtigen lassen?«

      »Ich weiß nicht einmal, was das bedeutet«, sagte Sophie.

      Der Immobilienmann erklärte es ihr.

      Fünf Minuten später war sie auf dem Weg zum Amtsgericht, wo sich das Grundbuchamt befand.

      15 – Sophies Telefon tüdelte,

      als sie gerade die Stufen zum Eingang des Amtsgerichts nahm. Die Nummer des Anrufers sagte ihr nichts.

      »Ja?«

      »Sofia-Freundin-von-Will?«

      »Marek, sind Sie das?«

      »Ja. Marek Kapuczinsky. Sofia, Ihr Auto läuft wieder. Können Sie jederzeit abholen.«

      »Was denn, jetzt schon?«

      »Wir sind schnell«, sagte Marek.

      »Wie viel Geld muss ich mitbringen, Marek?«

      »Ist