Edward Bulwer

Das Geschlecht der Zukunft


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Ecken sich hohe pyramidenförmige Türme erhoben. In der Mitte des Hofes war ein gewaltiger Springbrunnen aus dem ein blendender Strahl hervorschoß, den ich für Feuer hielt. Durch einen offenen Eingang betraten wir das Haus und kamen in eine große Halle, wo mehrere Gruppen Kinder, anscheinend wie in einer großen Fabrik beschäftigt waren. In der Mauer war eine große Dampfmaschine in voller Tätigkeit. Sie hatte Räder und Zylinder und glich unseren Dampfmaschinen, nur daß sie reich mit kostbaren Steinen und Metallen verziert war und ein mattes Phosphor-Licht auszuströmen schien. Viele der Kinder waren bei einer geheimnisvollen Arbeit an dieser Maschine tätig. Andere saßen an einer langen Tafel. Es wurde mir gestattet, lange genug zu verweilen, um die Art ihrer Beschäftigung näher zu betrachten. Kein Laut ließ sich vernehmen. Kein Gesicht wandte sich uns zu. Die Kinder blieben so still und gleichgültig wie Geister, durch deren Mitte lebende Wesen unbeachtet schreiten.

      Nachdem wir die Halle verlassen hatten, führte mich mein Begleiter durch eine Galerie, deren reiche Malereien mit ihren viel mit Gold gemischten Farben den Bildern Lukas Kranachs glichen.

      Die Gemälde stellten, wie es mir schien, geschichtliche Ereignisse der Rasse dar, in deren Mitte ich mich jetzt aufhielt.

      Die meisten der darauf befindlichen Figuren glichen den menschenähnlichen Geschöpfen, die mich hier umgaben, aber nicht alle trugen dieselbe Kleidung, auch hatten nicht alle Flügel. Auch die abgebildeten Tiere und Vögel waren mir gänzlich fremd. Soweit mir meine unvollkommene Kenntnis der Malkunst eine Meinung gestattet, schienen mir die Bilder sehr gut in der Zeichnung und reich in der Farbe zu sein. Sie zeugten von genauer Kenntnis der Perspektive, die Komposition jedoch war nicht geschlossen, es fehlte ein Augenpunkt, sodaß der Effekt unbedingt, zerstreut und verwirrend war. Die Bilder glichen fremdartigen Fragmenten aus einem Traume über Kunst.

      Von hier gelangten wir in ein Zimmer von mittlerer Größe, in dem, wie ich später erfuhr, die Familie meines Führers versammelt war und um einen zur Mahlzeit gedeckten Tisch saß. Die Gruppe bestand aus der Gattin meines Begleiters, seiner Tochter und zwei Söhnen. Ich erkannte sofort den Unterschied zwischen beiden Geschlechtern, obgleich die Frauen größer und robuster waren als die Männer und ihre Gesichtszüge, wenn auch regelmäßiger in der Form, doch völlig den weichen und zurückhaltenden Ausdruck entbehrten, der dem Frauenantlitze, wie wir es droben auf unserer Erde sehen, so großen Reiz verleiht.

      Die Frau trug keine Flügel, aber die ihrer Töchter waren größer als die der Männer.

      Auf einige Worte meines Führers hin erhoben sie sich alle von ihren Plätzen und begrüßten mich mit dem ihnen eigentümlichen milden Blicke und der Bewegung, die ich schon einmal erwähnte und die diesem furchtbaren Geschlechte allgemein eigen ist.

      Dieser Gruß besteht darin, daß sie einem die rechte Hand sehr sanft auf den Kopf legen und in weichem, zischendem Tone »S. Si« flüstern, was so viel wie: »Willkommen!« heißt.

      Die Herrin des Hauses hieß mich neben ihr niedersitzen und reichte mir eine goldene Schüssel.

      Die Speisen waren mir alle fremd. Ich bewunderte ihren Wohlgeschmack und mehr noch ihren fremdartigen Duft. - Während ich aß, unterhielt sich die Familie ruhig und zwar vermied sie, wie es mir schien, jede direkte Beziehung auf mich, sowie jede genaue Prüfung meiner Erscheinung. Und doch war ich das erste Geschöpf einer Art von Menschen, die sie noch nicht gesehen hatten und war allen eine höchst eigentümliche und ungewöhnliche Erscheinung.

      Aber diesem Volke ist jede Roheit fremd. Dem jüngsten Kinde wird gelehrt, jede Heftigkeit und Aufregung zu verachten. Als die Mahlzeit beendet war, nahm mein Führer mich wieder bei der Hand, ging zurück in die Galerie und berührte hier einen metallenen mit wunderlichen Figuren gezierten Knopf, den ich mit Recht für etwas unserem Telegraphen Ähnliches hielt.

      Es senkte sich eine Platte herab, auf der wir dieses Mal viel höher als in dem vorigen Gebäude gelangten. Bald befanden wir uns in einem Zimmer mittlerer Größe, das im Allgemeinen einen Besucher aus der Oberwelt wohl anheimeln konnte. An den Wänden befanden sich Regale mit Büchern. Sie waren sehr klein, meist in Duodezformat und in feine Metallschalen gebunden. Einige wunderlich aussehende Stücke Mechanismus, dem Anschein nach Modelle, wie man sie öfter in der Arbeitsstätte eines Mechanikers findet, lagen zerstreut umher. Vier Automaten, durch die bei diesem Volke die häuslichen Dienste verrichtet werden, standen gespensterhaft in jeder Ecke. Eine Nische barg ein niedriges Lager, eine Art Bett mit Kissen. Das Fenster, dessen zurückgeschobene Gardinen aus irgend einem faserigen Stoffe angefertigt waren, führte auf einen großen Balkon. Mein Wirt trat hinaus und ich folgte ihm. Wir waren auf der höchsten Galerie einer eckigen Pyramide. Der Blick hinab war von feierlich hinreißender Schönheit.

      Es ist unmöglich, ihn zu beschreiben. Lange Reihen steiler Felsen bildeten den fernen Hintergrund. Die dazwischenliegenden Täler mit geheimnisvoll buntem Strauchwerke, das Blitzen der Wasser, deren Ströme roten Flammen glichen, der helle Glanz, der sich von den Myriaden Lampen über das alles ergoß, bildete ein Ganzes, das sich mit Worten nicht beschreiben läßt, - glänzend war es und doch so düster, anmutig und ehrfurchterweckend.

      Bald wurde meine Aufmerksamkeit von dieser Landschaft abgelenkt. Eine fröhliche Musik tönte plötzlich wie von der Straße herauf, dann schwebte eine geflügelte Gestalt in den Raum, eine andere folgte ihr, wie um jene einzuholen; noch und noch eine folgte, bis sich eine dichte Menge zusammengeschaart hatte, so daß sie nicht mehr zu zählen waren. Wie soll ich die phantastische Grazie dieser Gestalten in ihren schwebenden Bewegungen beschreiben! Wie es schien, überließen sie sich irgend einem Scherz oder Vergnügen. Jetzt bildeten sie Quarre's, dann zerstreuten sie sich wieder; jetzt durchschnitt eine Gruppe die andere, durchschwebte und umgarnte sie - das alles geschah im Takte der Musik, wie in dem Zaubertanze Peris.

      In fieberhaftem Staunen wandte ich den Blick nach meinem Wirte. Ich wagte, meine Hand auf die großen Flügel zu legen, die auf seiner Brust übereinanderfielen, aber kaum hatte ich das getan, als ein leichter wie elektrischer Schlag mich durchzuckte. Erschreckt fuhr ich zurück. Mein Wirt lächelte und breitete, als ob er gütig meine Neugier befriedigen wollte, langsam seine Schwingen aus. Da bemerkte ich, daß seine Kleider sich unter denselben blähten wie eine mit Luft gefüllte Blase. Die Arme schienen in die Flügel zu gleiten, und im nächsten Augenblicke hatte er sich in die glänzende Atmosphäre geschwungen und schwebte dort mit ausgebreiteten Schwingen wie ein Adler, der sich in der Sonne wiegt. Dann tauchte er rasch nieder zwischen der Gruppe, schwebte durch die Mitte und schwang sich plötzlich wieder in die Lüfte. Darauf tauchten drei Gestalten, eine schien die Tochter meines Führers zu sein, aus der Gruppe auf und folgten ihm flüchtig wie ein Vogel dem anderen. Meine Augen, von den Lichtern und der Menge geblendet und verwirrt, vermochten nicht mehr die Kreise und Wendungen der geflügelten Gespielen zu unterscheiden; da tauchte mein Begleiter wieder aus der Menge hervor und war wieder an meiner Seite.

      All das Seltsame, was ich gesehen hatte, begann meine Sinne zu verwirren. Mein Geist fing an, unruhig zu werden. Obgleich ich nicht abergläubisch bin und bisher nie daran gedacht hatte, daß der Mensch in körperliche Beziehungen zu Dämonen treten könne, empfand ich doch jetzt den Schrecken und die wilde Aufregung, in der sich zur Römerzeit ein Reisender befand, der glaubte daß er einen Sabbat von Teufeln und Hexen sähe. Ich erinnere mich dunkel, daß ich durch heftige Gestikulationen und laute, unzusammenhängende Worte die Bemühungen meines höflichen, liebenswürdigen Wirtes, mich zu beruhigen und zu besänftigen, zurückzustoßen suchte. Daß ich seine Vermutung zurückwies, daß mein Schreck und meine Furcht von dem Unterschiede in Form und Bewegungen zwischen uns herrührten. Die Flügel, die beim Gebrauche meine höchste Verwunderung erregten, schienen nur noch mehr hervorzutreten, sein freundliches Lächeln, mit dem er um meine Furcht zu zerstreuen, die Flügel herabhängen ließ, um mir zu zeigen, daß sie nur eine mechanische Erfindung wären, konnte mich nicht beruhigen. Diese plötzliche Umwandlung vergrößerte meine Angst nur noch mehr; und wie das höchste Entsetzen oft zu höchsten Wagnissen anspornt, sprang ich wie ein wildes Tier auf ihn los und faßte ihn bei der Kehle. Im nächsten Augenblicke lag ich wie von einem elektrischen Schlage am Boden hingestreckt. Das letzte wirre Bild, das ich vor Augen hatte, bis mir die Besinnung gänzlich schwand, war die Gestalt meines Wirtes, wie sie neben mir kniete, mit der einen Hand auf meiner Stirne, und das schöne ruhige Antlitz seiner Tochter, deren große, tiefe,