Edward Bulwer

Das Geschlecht der Zukunft


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ich später erfuhr, blieb ich viele Tage, ja nach unserer Zeitrechnung mehrere Wochen in diesem bewußtlosen Zustande. Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem fremden Zimmer. Mein Wirt und seine ganze Familie waren um mich versammelt, und zu meinem höchsten Erstaunen sprach mich die Tochter in meiner eigenen Sprache, nur mit einem etwas fremdartigen Accent, an.

      »Wie fühlen Sie sich?« fragte sie.

      Es währte einige Augenblicke, bevor ich meine Überraschung beherrschen und stammeln konnte: »Sie kennen meine Sprache? Wie ist das möglich? Wer, was sind Sie?«

      Mein Wirt lächelte und gab einem seiner Söhne ein Zeichen, worauf dieser von einem Tische eine Anzahl dünner Metallblätter nahm, auf denen verschiedene Gegenstände, ein Haus, ein Baum, ein Vogel, ein Mensch und anderes mehr gemalt waren.

      In diesen Abbildungen erkannte ich meine eigene Art zu zeichnen wieder. Unter jeder Figur stand die Bezeichnung derselben in meiner Sprache und in meiner Schreibart geschrieben und in einer anderen Schrift ein mir fremdes Wort darunter.

      »So fingen wir an«, sagte der Wirt; »und meine Tochter Zee, die zu dem ›Colleg der Weisen‹ gehört, ist sowohl Ihre wie unsere Lehrerin gewesen.«

      Darauf brachte mir Zee andere Metallblätter, auf denen erst Worte, dann Sätze in meiner Schrift geschrieben standen. Unter jedem Worte und jedem Satze wären wieder fremde Buchstaben von anderer Hand. Ich nahm meine Sinne zusammen und begriff, daß man eine Art Wörterbuch hergestellt hatte. War das geschehen, während ich besinnungslos gewesen war? »Das ist für jetzt genug«, sagte Zee in befehlendem Ton. »Ruhen Sie und genießen Sie etwas«.

      Siebentes Kapitel

      In dem geräumigen Gebäude wurde mir ein Zimmer für mich allein angewiesen. Es war sehr hübsch und phantastisch ausgestattet, aber ohne allen Schmuck von Metall und Edelsteinen, wie in den mehr öffentlichen Räumen. Die Wände sowie der Fußboden waren mit einer bunten, aus Fasern und Pflanzenstengeln gearbeiteten Matte bekleidet.

      Das Bett war ohne Vorhänge, seine eisernen Träger ruhten auf krystallenen Kugeln. Die Decken bestanden aus einem feinen weißen baumwollenartigen Stoffe. Auf verschiedenen Regalen standen Bücher. Eine durch Gardinen abgeschlossene Nische führte zu einem großen Bauer, der Singvögel aller Art enthielt. Keiner von ihnen glich denen, die ich auf der Erde gesehen habe, eine schöne Taubenart ausgenommen, doch auch diese zeichnete sich durch einen hohen Kamm bläulicher Federn von unseren Tauben aus. Alle diese Vögel waren zu kunstvollem Gesänge abgerichtet. Sie übertrafen bei weitem unsere Buchfinken, die kaum zwei Töne hervorzubringen vermögen und wohl nicht im Chore singen können. Man glaubte sich in eine Oper versetzt, wenn man dem Gesänge jener Vögel lauschte. Da ertönten Duette und Terzette, Quartette und Chöre, alles zu einem Musikstücke zusammengefügt. Wollte ich die Vögel zum Schweigen bringen, brauchte ich nur die Gardine vor den Bauer zu ziehen; sobald sie sich im Dunkeln befanden verstummte der Gesang. Eine andere Öffnung bildete ein Fenster ohne Scheibe. Bei dem Druck auf eine Feder schloß sich die Öffnung durch einen Laden, der, von einer zwar weniger durchsichtigen Substanz als unser Glas, doch noch klar genug war, um einen freien Blick auf das Bild draußen zu gewähren. Vor diesem Fenster befand sich ein Balkon oder richtiger ein hängender Garten, in dem herrliche Pflanzen und prächtige Blumen wuchsen. Der Charakter dieses Zimmers und alles dessen was dazu gehörte war fremdartig in seinen Einzelheiten, doch als Ganzes entsprach es dem modernen Begriffe von Luxus. Es hatte etwas Heimisches, und würde, wenn man es zwischen den Gemächern einer englischen Herzogin oder eines modernen französischen Autors gefunden hätte Bewunderung erregt haben. Vor meiner Ankunft war es Zee's Zimmer gewesen, sie hatte es mir gastfreundlich überlassen.

      Einige Stunden nach meinem Erwachen, das ich im letzten Kapitel beschrieb, lag ich auf meinem Lager und versuchte meine Gedanken zu konzentrieren und über die Natur und den Geist des Volkes, unter das ich geraten war, nachzudenken, als mein Wirt und seine Tochter Zee in das Zimmer traten. Ersterer fragte mich höflich in meiner Muttersprache, ob es mir angenehm wäre, mich zu unterhalten, oder ob ich vorzöge, allein zu bleiben. Ich erwiderte, daß ich mich sehr geehrt und verbunden fühlen würde, wenn mir Gelegenheit geboten würde, meinen Dank für die Gastfreundschaft und Liebenswürdigkeit auszudrücken, die ich in einem Lande, indem ich ein Fremdling war, empfangen habe, und so viel von seinen Sitten und Gewohnheiten kennen zu lernen, um nicht mit meiner Unwissenheit dagegen zu verstoßen.

      Während ich sprach, hatte ich mich natürlich von meinem Lager erhoben, aber Zee ersuchte mich höflich, mich wieder niederzulegen. Obgleich mich das sehr verwirrte, lag doch etwas in ihrer Stimme und ihrem Auge, was mich zwang, ihr zu gehorchen. Sie setzte sich selbst am Fußende des Bettes nieder, während ihr Vater wenige Schritte davon auf einem Divan Platz nahm.

      »Von welchem Weltteile kommen Sie nur,« fragte mein Wirt, »daß wir Ihnen sowohl wie Sie uns so fremd erscheinen? Außer den ursprünglichen Wilden, die in den einsamsten, unkultiviertesten Höhlen wohnen, die kein anderes Licht als das vulkanischer Feuer kennen und, wie so viele kriechende und fliegende Dinge, zufrieden ihren Weg im Dunkeln tappen, außer ihnen habe ich wohl von fast allen von uns abweichenden Rassen einzelne Exemplare gesehen. Aber unmöglich können Sie ein Glied jenes barbarischen Stammes sein, nein, Sie müssen einem zivilisierten Volke angehören.«

      Etwas gereizt über diese letzte Bemerkung erwiderte ich, daß ich die Ehre hätte, einer der zivilisiertesten Nationen der Erde anzugehören. Daß ich, was das Licht beträfe, bewundere, mit welcher Gleichgültigkeit und Geringschätzung des Kostenaufwandes mein Wirt und seine Mitbürger Regionen beleuchteten, in die kein Sonnenstrahl dringt, daß ich aber nicht begreifen könne, wie irgend jemand, der nur einmal die Himmelskörper geschaut habe, die künstlichen von Menschen erfundenen Lichter ihrem Glänze vorziehen könne. Aber mein Wirt sagte, daß er von den meisten Rassen Exemplare gesehen hätte, außer den von ihm erwähnten elenden Barbaren. Nun, war es möglich, daß er nie auf der Oberfläche der Erde gewesen war, und seine Worte bezogen sich wohl nur auf die Bewohner, die im Innern der Erde begraben waren.

      Mein Wirt schwieg während einiger Augenblicke. Auf seinem Antlitze drückte sich hohe Überraschung aus, wie sie diese Bewohner selbst in den außergewöhnlichsten Fällen nur selten kund geben. Aber Zee war klüger und rief aus: »Da siehst Du, Vater, daß in der alten Sage, an die alle Stämme zu allen Zeiten glaubten, Wahrheit liegt, volle Wahrheit!«

      »Zee«, entgegnete mein Wirt sanft, »Du gehörst zu dem Colleg der Weisen und solltest klüger sein als ich; aber als oberster Verwalter der Beleuchtung ist es meine Pflicht, nichts eher zu glauben, als bis ich es mit meinen eigenen Sinnen geprüft habe.« Darauf wandte er sich zu mir und tat mehrere Fragen über die Oberfläche der Erde und die Himmelskörper. Obgleich ich ihm nach bestem Wissen antwortete, schienen ihn meine Antworten weder zu befriedigen, noch zu überzeugen. Ruhig schüttelte er mit dem Kopfe, und den Gesprächsgegenstand rasch wechselnd, fragte er mich, wie ich von einer Welt in die andere herabgekommen sei, wie er sich auszudrücken beliebte. Ich entgegnete, daß in der Erde Minen seien, die sehr viele Mineralien und Metalle enthielten, die zu unserem Gebrauche und zum Vorwärtsschreiten unserer Kunst und Industrie sehr notwendig seien. Dann gab ich eine kurze Erklärung des unglücklichen Zufalles, durch den mein armer Freund und ich beim Ausforschen einer dieser Minen einen Blick in diese Regionen erhalten hatten, wie wir hinabgestiegen waren und dieses Wagnis meinem armen Freunde das Leben gekostet hatte. Als Beleg für die Wahrheit meiner Erzählung berief ich mich auf das Tau und die Haken, die der Knabe in das Haus gebracht hatte, das mich zuerst beherbergte.

      Mein Wirt fuhr fort, mich über die Sitten und Gewohnheiten der auf der Erdoberfläche lebenden Bewohner auszufragen, namentlich über die, die wie er sich auszudrücken beliebte, in der Kunst am meisten fortgeschritten seien, in einer Gemeinde die glückliche Zufriedenheit zu verbreiten, die einen tugendhaften und gutorganisierten Staat ausmacht. Von dem natürlichen Wunsche beseelt, die Welt, von der ich kam, im besten Lichte darzustellen, berührte ich die veralteten und in Verfall geratenden Einrichtungen Europas nur oberflächlich, um mich um so ausführlicher über die gegenwärtige Größe und den in Aussicht stehenden Vorrang der glorreichen Republik Amerikas zu ergehen, in der Europa neiderfüllt sein Vorbild sucht und zitternd seinen Verfall sieht. Als Beispiel des sozialen Lebens in den