Frederike Gillmann

Ei Ole Kiire


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selten sein Handy griffbereit.

      Guillaume hatte ich bei einer Reise für ein neues Werk in Paris kennengelernt. Ich war gerade in einem Café am Frühstücken, als er – wie ein echter Franzose – mich ansprach und nachdem wir uns unterhalten und ein paar weitere Male getroffen hatten, hatte er sich ein paar mehr Hoffnungen gemacht, die ich ihm dann aber leider zunichte gemacht habe. Trotzdem waren wir seit dem Zeitpunkt gut befreundet.

      Nachdem das also geklärt war, überkam mich wieder diese Leere. Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Na ja, eigentlich schon, denn ich musste irgendetwas schreiben. Etwas, was präsentabel war, was ich abgeben konnte. Etwas, was mir den Lebensunterhalt über die kommenden paar Wochen sicherte. Ich nahm meinen Laptop, öffnete das Schreibprogramm und starrte auf den blinkenden Cursor, der nur darauf wartete, dass ich in die Tasten haute. Bitte, nur ein einziger Gedanke, ein Geistesblitz. Ich glaubte nicht an Gott oder sonst ein göttliches Wesen, aber das war einfach intuitiv. Stattdessen hörte ich wieder die Stimme meines Verlegers in meinem Kopf: Maia, Deine Sachen waren auch schon mal besser. Ja, das tat weh, aber ich wusste, dass er recht hatte. Aber was sollte ich denn tun? Irgendwann war nun einmal alles gesagt. Und mein Metier waren eben diese einfachen Frauenromane. Sollte ich mich etwa neu erfinden und mal versuchen Krimis oder Thriller zu schreiben? Nein, das war einfach nicht meine Art. Ich musste das schreiben, was ich fühlte, aber in letzter Zeit war da einfach nichts. Noch dazu kam, dass alle Menschen um mich herum gefühlt in glücklichen Beziehungen waren und nur ich war Single. Ich meine, für mich war das nicht so schlimm, aber man bekommt dann immer von der Umwelt suggeriert, dass mit einem nicht alles in Ordnung sei.

      Ich starrte weiter auf den Cursor und er schien zurückzustarren. Unbarmherzig blinkend, als würde er mich dazu auffordern wollen, dass ich nun endlich etwas auf dieses virtuelle Papier brachte. Los, komm Maia. Jetzt hörte ich auf einmal schon Stimmen, wie der Computer mit mir sprach. Geht’s noch? Ich tippte fünf Buchstaben: ein L, dreimal E und ein R – Leere. Ja, das war es, was ich fühlte. Und auf einmal fühlte ich mich ein wenig besser. Einfach nur, weil ich es aufgeschrieben hatte. Ich brauchte keinen Therapeuten, was ich brauchte war einfach nur ein Schreibprogramm.

      Ich hörte, wie mein Telefon eine neue Nachricht ankündigte: Salut Chérie. Qu’est-ce qu’il y a? Guillaume.

      Ich war zwar für einen Moment etwas verwundert, dass er doch so zeitnah geantwortet hatte, aber das freute mich umso mehr. Außerdem hatte mich dieses Klingeln mal wieder in die Realität befördert, bevor ich mich wieder ganz diesen depressiven Gedanken hingegeben hatte. Ach was, was heißt denn depressiv? Ich doch nicht. Das hat doch jeder mal.

      Ich musste auch ein wenig über Guillaumes Chérie lächeln. Wir wussten beide, dass das nicht ernst gemeint war und trotzdem machte er sich einen Spaß daraus, mich hin und wieder so zu nennen, als wären wir ein Paar.

      Da ich nichts Besseres zu tun hatte, beschloss ich, ihm direkt zu antworten und erklärte ihm die Situation mit meinen Eltern. Je me sens nulle – ich fühle mich schlecht, setzte ich noch hinterher, denn irgendwie hatte ich dann doch das Bedürfnis, einem meiner besten Freunde meine Gefühle zu offenbaren. . . .

      Je t’appelle ce soir. Bises, kam die Antwort. Gut, dann musste ich also noch bis heute Abend warten, bis er mich zurückrief. Ich drückte auf das rote Kreuz des Schreibprogramms. Möchten Sie die Änderungen an Dokument 1 speichern? Für einen Moment zögerte ich, dann drückte ich auf Ja, gab als Titel nur einen Buchstaben – L – ein, klappte dann meinen Laptop zu und atmete noch einmal tief durch.

      Kapitel 3

      Donc, dis-moi, chérie, sagte Guillaume, nachdem ich den Anruf entgegengenommen hatte. Natürlich sprach Guillaume ein nahezu perfektes Deutsch, aber er machte sich doch hin und wieder einen Spaß daraus, mit mir Französisch zu sprechen.

      Ich wiederholte das, was ich ihm am Vormittag geschrieben hatte und dass es mir nur wenig besser ging. Mittlerweile fühlte ich mich auch ein wenig schlecht, weil ich meine Eltern angelogen hatte.

      „Aber das ist doch nicht schlimm“, meinte mein Freund. „Ich kann verstehen, dass du deine Eltern nicht beunruhigen möchtest.“

      „Aber was ist, wenn es wirklich mit mir bergab geht? Wenn meine Karriere jetzt schon vorbei ist?“, jammerte ich.

      „Ma chère Maia“, begann Guillaume. „Das ist ganz normal. C’est la vie. Mach dir doch nicht so viele Gedanken.“

      Ich schätzte Guillaume wirklich für seine Worte, allerdings half mir das in diesem Moment nicht weiter.

      „Mais quoi faire?“, fiel ich ebenfalls ins Französische. Was sollte ich tun?

      „Wie wäre es denn mal mit Urlaub?“, schlug Guillaume vor. „Wann warst du denn das letzte Mal richtig weg?“

      „Öh…“, machte ich und musste einmal wirklich überlegen.

      „Eh ben…tu vois?“, sagte er und ich konnte eine Spur Triumph in seiner Stimme hören.

      „Ja, vielleicht hast du recht…“, gab ich zu, wenn auch etwas widerwillig.

      „Willst du mich vielleicht besuchen kommen?“, schlug er vor. „Vielleicht bringt Paris dich auf andere Gedanken.“

      „Na ja, erst einmal muss ich auf das Haus meiner Eltern aufpassen. Danach werde ich weitersehen.“

      „Überleg’s dir. Du bist hier immer willkommen.“

      „Je sais.“ – Ich weiß.

      „Bon…Mach dir nicht zu viele Sorgen. Das macht Falten“, sagte Guillaume. Ich musste lächeln, auch wenn er das nicht sehen konnte.

      „Ich versuche es. Ich melde mich bald wieder bei dir“, versprach ich. „Salut.“

      „Salut, mon amour“, antwortete Guillaume und ich musste noch einmal kichern. Er gab es wohl nie auf.

      Nach dem Gespräch mit Guillaume fühlte ich mich wirklich ein wenig besser. Und wenn sogar er sagte, dass ich mal Urlaub machen sollte…Ich war halt immer so beschäftigt und darauf bedacht, meine Projekte rechtzeitig abzugeben. Schließlich hing ja mein Unterhalt davon ab, aber irgendwie war mir das für einen Moment egal. Nun ja, erst einmal würde ich mich um das Haus meiner Eltern kümmern und dann würde ich weitersehen.

      Ich machte wieder meinen Laptop an und rief noch einmal das Dokument mit dem Namen „L“ auf. Leere. Zumindest war das Dokument jetzt nicht mehr ganz so leer. Leere – ein Wort, das Leere/leer bedeutet, aber eigentlich gar nicht so leer ist. Ein Wort, das nichts und doch alles bedeutet, ein Wort, das leer ist und doch so viel Inhalt halt. Zumindest dieses Dokument war jetzt nicht mehr leer. Komisch wie sehr einem erst die Bedeutung eines Wortes oder seine Gegensätzlichkeit bewusst wird, wenn man erst einmal darüber nachdenkt. Leere. Was ist Leere?, tippte ich auf den Bildschirm, um meine Gedanken auf dieses imaginäre Papier zu bringen. Mir war bewusst, dass das eigentlich nur Worthülsen waren, aber manchmal tat es gut, so etwas aufzuschreiben.

      Ich wusste schon früh, dass ich am liebsten Schriftstellerin werden wollte. Oder eben irgendwas mit Schreiben, denn ich konnte mich schon immer besser auf Papier ausdrücken, als wenn ich Dinge gesagt habe. Beim Sprechen hatte ich immer das Gefühl, ich kann gar nicht so viel sagen, wie ich denke. Papier ist da sehr viel geduldiger. Ja, öfters hat man mir sogar gesagt, ich würde so wenig sagen und ich solle doch mal den Mund aufmachen. Ich habe das nie so richtig verstanden, denn warum sollte ich denn mehr sagen als notwendig, wenn ich den Rest aufschreiben kann?

      Schließlich habe ich mich dann für ein Journalismus-Studium entschieden, denn damit – so redete ich es mir zumindest ein – hätte ich am ehesten Chancen, in der Branche zu landen. Das Studium hat mir auch sehr viel Spaß gemacht, bis ich dann ein paar Jahre später mit der harten Welt der Branche konfrontiert wurde. Ich habe es zwar irgendwie immer geschafft, irgendwie über die Runden zu kommen, aber so