Frederike Gillmann

Ei Ole Kiire


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herrschte einen Moment Stille und ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee, mein Vater hatte sich wieder seinem Buch zugewandt.

      „Herbert, leg doch mal das Buch weg“, nörgelte meine Mutter.

      „Warum denn das? Es redet doch eh keiner.“ Wo er recht hatte…

      „Herbert, Maia ist doch da“, wandte sie weiter ein.

      „Ach, macht euch um mich keine Sorgen“, nuschelte ich.

      „Maia, Schatz, brauchst du irgendetwas?“, fragte sie mich.

      „Vielleicht nur ein bisschen Ruhe. Ich gehe mal kurz `ne Runde um den Block spazieren“, sagte ich und stand auf.

      „Aber bleib nicht zu lange weg!“, rief mir meine Mutter hinterher. Manchmal behandelte mich meine Mutter echt wie ein kleines Kind.

      ***

      Kaum war ich aus der Haustür hinaus, atmete ich auch schon die frische Luft ein. Das fehlte mir manchmal in Hamburg, denn dort hatte ich oft das Gefühl, dass die Luft einfach stand. Natürlich hatte das Großstadtleben auch seine Vorteile – sonst wäre ich ja nicht in die Stadt gezogen –, aber immer öfter hatte ich das Gefühl, dass ich mehr Freiraum brauchte.

      Gedankenverloren wanderte ich die nahezu leere Dorfstraße rauf und runter, vorbei an den paar alten Bauernhöfen, die es noch immer gab und die Dorfgemeinschaft mit frischen Waren versorgten und mit deren Kindern ich in meiner Kindheit gespielt hatte – das waren noch Zeiten gewesen! Was aus denen wohl geworden war?

      Zu der frischen Landluft mischte sich ein leichter Geruch von Mist und altem Stroh, wie es eben so üblich war. Richtige Stadtmenschen würden dies wohl als Gestank wahrnehmen, aber für mich war das ein Duft der Unbeschwertheit.

      ***

      „Na, alles klar?“, fragte meine Mutter eine halbe Stunde später, nachdem ich meine Tour beendet hatte.

      „Ja, alles super“, bestätigte ich.

      „Du siehst trotzdem ein bisschen blass aus. Geht es dir wirklich gut?“, hakte sie weiter nach.

      „Ja, Mama. Mir geht es gut. Es gibt momentan nur viel zu tun.“

      „Na gut. Dann lasse ich dich mal in Ruhe. Es gibt aber bald Abendessen.“

      „Ist gut.“ Mit diesen Worten verschwand ich in mein ehemaliges Zimmer.

      Seitdem ich in meinen frühen Zwanzigern ausgezogen war – die erste Zeit meines Studiums hatte ich noch bei Eltern gewohnt und war immer gependelt –, hatte sich in meinem Zimmer nicht viel verändert. Hier und da hatte meine Mutter zwar ein bisschen mehr dekoriert – „es soll doch schön sein, wenn du uns besuchen kommst“ –, aber sonst war immer noch alles an Ort und Stelle. Und trotzdem war es für mich nie wieder der gleiche Ort. Ich brauchte nichts in diesem Zimmer zu suchen oder zu schauen, ob noch etwas da war, denn ich wusste, dass sich nichts verändert hatte. Sogar die Bücher waren immer noch die gleichen; die, die ich nicht mitgenommen hatte, weil ich sie als nicht reizvoll zum erneuten Lesen erachtet hatte.

      Ich wusste nicht, was ich tun sollte und setzte mich aufs Bett und holte mein Handy hervor – keine neuen Nachrichten. Dann lauschte ich einfach für einen Moment der absoluten Stille. Na ja, ganz so still war es dann doch nicht, denn ich hörte meine Mutter unten in der Küche rumoren und die Vorbereitungen für das Abendessen treffen.

      ***

      Das Essen wenig später verlief relativ schweigsam. Ich hatte nicht das Bedürfnis zu reden und meine Mutter verstand, dass sie mich zu nichts zwingen konnte. Mein Vater stellte hin und wieder mal eine Frage, die ich mehr oder weniger kurz angebunden beantwortete und dann herrschte auch schon wieder einen Moment Stille und man hörte nur das Kratzen des Geschirrs über die Teller.

      „Schmeckt es dir?“, fragte meine Mutter zweimal.

      „Hmmh, sehr gut“, machte ich.

      „Was isst du denn zu Hause immer?“, wollte sie wissen.

      „Das Übliche“, war meine Antwort. Was sollte ich sonst auch sagen.

      „Kochst du denn regelmäßig?“, hakte sie weiter nach.

      „Mama…“, sagte ich mit ein wenig leidiger Stimme. „Das weißt du ganz genau…“

      „Jetzt sei doch nicht immer so“, beschwerte sie sich.

      „Hört doch auf zu streiten“, wandte mein Vater ein.

      „Wir streiten doch gar nicht“, meinte meine Mutter, aber ihre Stimme war etwas harscher geworden.

      „Mama, ich komm schon klar. Mach dir um mich mal keine Sorgen“, beruhigte ich sie und damit war das Thema auch schon vorbei.

      „Brauchst du Hilfe beim Abwasch?“, fragte ich sie später.

      „Nein, das geht schon. Das macht schon die Spülmaschine.“

      „Gut, ich glaube, ich geh‘ dann mal schlafen. Gute Nacht.“

      „Gute Nacht, Maia.“

      Ich wünschte auch meinem Vater eine gute Nacht und ging dann wieder zurück auf mein Zimmer. Warum fühlte ich mich bei meinen Eltern immer so, als wäre ich auf einmal wieder ein kleines Kind?

      Kapitel 5

      Am nächsten Morgen fuhr ich meine Eltern zum Hafen und bereits im Auto machte mich meine Mutter fast wahnsinnig, indem sie ständig wiederholte, was sie alles eingepackt hatte und laut überlegte, ob sie nicht doch irgendetwas vergessen hatte.

      „Inge, jetzt mach mal halblang“, sagte mein Vater irgendwann. „Es wird alles gut sein und wenn nicht, landen wir ja auch nicht irgendwo in der Pampa.“

      Ich warf meinem Vater einen dankbaren Blick zu, denn er sprach genau das aus, was ich dachte. Danach gab meine Mutter Ruhe, aber ich konnte anhand ihrer Mimik erkennen, dass ihr Gehirn nach wie vor ratterte.

      ***

      „So, da sind wir“, verkündete ich ein wenig später – unnötigerweise –, als ich das Auto vor dem Hafenparkplatz abgestellt hatte.

      „Schaut mal, wie groß das Schiff ist“, sagte meine Mutter mit ehrlichem Erstaunen. Ich musste ihr recht geben, aber ansonsten schockierte mich das nicht wirklich.

      Ich half meinen Eltern beim Ausladen des Gepäcks und wollte mich von ihnen verabschieden.

      „Kommst du denn gar nicht mit an den Anleger?“, fragte meine Mutter, fast schon ein wenig traurig. „Herbert, unsere Tochter will uns noch nicht einmal bis zum Schiff begleiten.“

      Mein Vater verzog keine Miene.

      „Mama, ich muss wirklich arbeiten“, log ich. Insgeheim hatte ich schon gewusst, dass es darauf hinauslaufen würde und ich hatte keine Lust auf einen sentimentalen Abschied.

      „Und du kannst deine alten Eltern wirklich nicht noch bis zum Schiff bringen?“, hakte sie noch einmal nach.

      „Mama, wirklich nicht“, sagte ich mit so viel Überzeugung, wie ich aufbringen konnte. Ich wollte eigentlich nur noch weg von diesem Ort, ich wollte meine Ruhe.

      „Na gut“, machte sie dann. „Wenn das so ist…“ Ich seufzte innerlich.

      Ich breitete die Arme aus, um zu zeigen, dass ich es wirklich ernst meinte und meine Meinung nicht ändern würde. Meine Mutter hatte ein mauliges Gesicht aufgesetzt und als ich sie zum Abschied umarmte, merkte ich einen leichten Widerstand.

      Ich drückte auch meinen Vater und deutete einen Wangenkuss an.

      „Viel Spaß und schreibt mir eine Karte“, sagte ich und hob winkend die Hand, als meine