Frederike Gillmann

Ei Ole Kiire


Скачать книгу

mehr oder weniger um Frauen, die das Glück suchten – meistens in Form einer glücklichen Beziehung. Ich weiß nicht so genau, warum ich gerade solche Geschichten geschrieben habe. Vielleicht, weil es mir so einfach erschien, die Welt zu idealisieren. Wünscht sich nicht fast jede Frau eine glückliche Beziehung beziehungsweise definiert man sein Glück nicht allzu oft darüber, ob man in einer Beziehung ist oder nicht?

      Vielleicht war das ja auch einfach Wunschdenken, weil ich das Gefühl hatte, dass mein Leben einfach so unglaublich chaotisch war und ich in der Liebe offensichtlich auch kein Glück hatte.

      „Du musst mal mehr rausgehen“, war der ständige Ratschlag meiner Mutter, wenn sie sich erkundigte, ob ich denn einen Freund hätte und ich jedes Mal verneinte. Offensichtlich hatte sie bereits Angst, dass sie enkellos sterben würde. Na ja, da gab es zumindest noch Tim.

      „Irgendwann, Mama“, versprach ich ihr dann immer. Und manchmal glaubte ich es selbst.

      „Herbert, sag doch auch mal was. Oder willst du, dass wir komplett ohne Enkel von der Erde verschwinden?“

      „Hm…“, war dann die typische Reaktion meines Vaters, dem das Thema offensichtlich weniger wichtig war als meiner Mutter. Meistens war das Thema dann allerdings auch schon vorbei und es gab Wichtigeres zu besprechen.

      Leere ist nicht leer, tippte ich weiter. Einfach, weil ich nichts Besseres zu tun hatte. Und dann: Leer ist auch nicht leer. Was sollte das denn jetzt? Ich überlegte, den Satz wieder zu löschen, ließ ihn aber dann doch stehen.

      Fühlte ich mich leer? Physisch gesehen war ich es jedenfalls nicht, aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr musste ich wieder an die Worte von Doktor Keimel denken. Und auch an das Angebot von Guillaume, ihn zu besuchen. Aber eigentlich hatte ich gar nicht so viel Lust auf Paris. Hamburg war für mich von der Größe schon grenzwertig, aber Paris war mir dann doch eine Nummer zu viel. Zu viele Menschen…

      Alles mit der Ruhe, sagte ich mir und atmete noch einmal tief durch. Es wird alles gut.

      Kapitel 4

      Ich hatte keine Ahnung, wie ich den Rest der Woche überstanden hatte. Mein Tag bestand in der Regel aus Aufstehen, Frühstücken und dann irgendwie die Zeit zwischen den Mahlzeiten totschlagen. Ich hatte wirklich versucht, aus meiner aktuellen Krise (eigentlich wollte ich meine Situation so nicht beschreiben) herauszukommen, indem ich spazieren ging und vielleicht beim Anblick eines Baumes, durch ein Geräusch oder sonst irgendeinen Input einen Geistesblitz zu bekommen. Aber da war nichts. Und ich hatte das Gefühl, je krampfhafter ich es versuchte, desto weniger Ideen hatte ich, welche ich doch so unbedingt brauchte. Ich hatte mich auch zwischendurch hin und wieder bei Guillaume ausgejammert, doch wir beide wussten, dass er mir auch nicht weiterhelfen konnte. Ça va aller, chérie, hatte er immer nur wieder geschrieben – es wird alles schon irgendwie gehen.

      Jeden Tag das gleiche: Aufstehen, Frühstücken, nichts tun. Und am nächsten Tag wieder: Aufstehen, Frühstücken, nichts tun.

      Darum war ich nahezu froh, als ich mich am Sonntagnachmittag ins Auto setzte und zu meinen Eltern fahren konnte, die etwas außerhalb von Hamburg wohnten.

      „Da bist du ja endlich!“, rief meine Mutter aus, als sie mir die Tür öffnete. Endlich? Ich dachte schon, ich wäre zu früh.

      „Hallo Mama“, begrüßte ich sie und beugte mich etwas runter, um sie auf beide Wangen zu küssen.

      „Dein Vater ist im Wohnzimmer“, wies sie mich an, als ich über die Türschwelle getreten und an ihr vorbeigegangen war. Eigentlich wusste ich bereits, wo mein Vater zu finden war, denn er verbrachte ungefähr achtzig Prozent des Tages damit, in seinem Sessel zu sitzen und zu lesen.

      „Hallo Papa“, begrüßte ich ihn. Er schaute von seinem Buch auf und über seine Brillengläser hinweg.

      „Na, wer macht uns denn mal wieder die Ehre?“, fragte er rhetorisch. Ich schaute leicht schuldbewusst drein.

      „Gibt halt viel zu tun“, meinte ich so zerknirscht wie möglich.

      „Jaja, die Leute von heute immer. Die haben ja immer sooo viel zu tun“, sagte er und machte dabei eine leicht theatralisch-dramatische Handbewegung.

      „Herbert, jetzt lass doch mal Maia in Ruhe“, beschwerte sich meine Mutter, die gerade ins Wohnzimmer getreten war.

      „Ach, ich mach doch nur Spaß“, erwiderte er.

      „Maia, Schatz, möchtest du etwas essen? Ich habe extra Kuchen gebacken.“

      „Na ja, wohl eher der Bäcker“, warf mein Vater erneut ein.

      „Herbert!“, zischte meine Mutter. Das hätte mich tatsächlich gewundert, wenn meine Mutter selbst erfolgreich einen Kuchen gebacken hätte.

      „Nein, danke“, lehnte ich ab. „Vielleicht nur einen Kaffee.“

      „Sollst du haben“, sagte meine Mutter und verschwand für einen kurzen Moment in der Küche. Derweil setzte ich mich auf einen freien Sessel. Stille. Bezüglich der Sprechquantität kam ich wohl eher nach meinem Vater. Wir beide redeten mehr oder weniger nur das Minimum und auch wenn wir beide alleine waren, brauchten wir nicht zu reden, um uns zu verstehen.

      „So, hier ist er schon“, sagte meine Mutter, was ein wenig unnötig war und sie dies – wie ich wusste – nur tat, weil sie so eine Stille überhaupt nicht mochte, und stellte den Kaffee auf den Wohnzimmertisch.

      „Jetzt erzähl mal: Wie geht es dir?“

      „Gut“, war meine knappe Antwort. Was sollte ich sonst erzählen?

      „Wie läuft die Arbeit?“, fragte sie weiter.

      „Ist in Ordnung“, meine ich erneut kurz angebunden.

      „Wie ist denn dieses neue Projekt, von dem du erzählt hast?“

      Ich musste einen kurzen Moment überlegen, was meine Mutter meinte und dann viel mir wieder ein, dass ich ihr erzählt hatte, dass ich gerade an einem neuen großen Projekt arbeitete.

      „Ganz gut.“

      „Und was machst du da?“ Konnte meine Mutter diese Fragerei nicht einfach sein lassen?

      „Das kann ich dir nicht sagen. Das ist noch alles geheim“, versuchte ich meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und hoffte, dass meine Mutter nicht merkte, dass ich mich zunehmend unwohl fühlte. Ich hasste es, meine Eltern anzulügen, weil ich nicht wollte, dass sie sich Sorgen um mich machten.

      „Wie geht es euch denn? Habt ihr schon alles gepackt?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln.

      „Ja, alles bereit“, bestätigte sie. „Ich habe dir übrigens noch einmal alles aufgeschrieben, auf was du achten musst. Vor allem frisst Schnorri gerade nicht so gut, aber er soll auch nicht zu viele Leckerchen bekommen.“

      Das war typisch meine Mutter: Das war nicht das erste Mal, dass ich auf das Haus meiner Eltern aufpasste und trotzdem schien meine Mutter Angst zu haben, dass ich irgendetwas falsch machen – und im schlimmsten Fall das Haus in die Luft jagen – könnte.

      Anscheinend hatte der Kater meiner Eltern das Wort Leckerchen gehört, denn auf einmal zwängte er sich durch den Spalt der angelehnten Tür und fing an, um meine Beine zu streichen. Ein wenig geistesabwesend kraulte ich ihm den Kopf.

      „Och, mein alter Schnorri“, sagte meine Mutter mit säuselnder Stimme. „Du gibst gut auf ihn Acht, ja?“

      „Natürlich, Mama. Er wird gar nicht merken, dass ihr weg seid“, versprach ich. Ich selbst hatte das Gefühl, Schnorri würde sich gar nicht so sehr dafür interessieren, dass meine Eltern nicht da waren, sondern eher dafür, dass es eine Hand gab, die ihn fütterte. Aber ich wusste auch, dass es meiner Mutter wichtig war, dass man ihr bestätigte, dass unser Kater sie brauchte. Ich hatte auch mal tatsächlich versucht, sie davon