klatschend, noch einen Schritt auf Oiklihd zu, der aber milde lächelnd stehen blieb und dem Blick des großen Mannes standhielt.
»UND WAS WOLLT IHR IN DER ALTEN STADT?«
»WIR BESUCHEN MEINE GROSSMUTTER.«
»DIE GROSSMUTTER?«
»GENAU. LUDMILLA KAMILLA MARIONELLA. STUMPFGASSE 7.«
»AHA. DAS WERDEN WIR ÜBERPRÜFEN.«
Der Soldat drehte sich um und stapfte zu seinen Männern. Kard beobachtete, wie er zu einem Tisch ging, auf dem ein riesiges Buch lag. Dort sprach er mit seinem Kollegen, der daraufhin geschäftig in den Seiten blätterte. Irgendwann schienen sie gefunden zu haben, was sie gesucht hatten. Aber Kard bemerkte, wie sie sich kopfschüttelnd unterhielten. Kurz darauf kam die Wache zu ihnen zurück.
»LUDMILLA KAMILLA MARIONELLA. STUMPFGASSE 7?«
»GENAU. MEINE GROSSMUTTER!«
»IHR SEID NICHT DIE EINZIGEN, DIE EURE GROSSMUTTER BESUCHEN. VOR EUCH WAREN SCHON SIEBEN ANDERE GRUPPEN DA. WAS IST DA LOS?«
»SIE WIRD HUNDERT JAHRE ALT, LIEBE WACHE. EIN GROSSES FEST. DA KOMMEN ALLE KINDER, ENKELKINDER, URENKEL, URURENKEL AUS GANZ HARAGOR.«
»AHA. UND WIE ERKLÄRST DU, DASS LUDMILLA KAMILLA MARIONELLA EINE TORAK IST UND DU SO EIN KLEINER ZWERG?«
»ANGEHEIRATET, LIEBE WACHE. DER BRUDER MEINER GROSSMUTTER, DESSEN KINDER, DAVON WIEDER DER SCHWAGER. VON DEM DER SCHWIEGERSOHN. DAS IST DER BRUDER MEINES VATERS.«
Kurze Stille.
»AHA. VERSTEHE. NA DANN.«
Misstrauisch betrachtete er die Gruppe und erblickte dann die vermeintlichen Wahter.
»AUCH ANGEHEIRATET, WIE?«
Madad räusperte sich unter seiner Fellmatte. »VOM BESAGTEN ONKEL DIE TANTE. DAVON DIE SCHWESTER. WIR SIND DIE STIEFKINDER.«
Wiederum ein Moment vollkommener Lautlosigkeit.
»AHA. VERSTEHE.«
Erneute Stille. Scharrende Riesenkaninchenpfoten in trockenem Sand. Pfeifender Wind. Das hohle Krächzen einer Schwarzkrähe weit oben in den Wolken. Das Glucksen von Kards Magen.
»UND EURE PASSIERSCHEINE?«
Die Oberste Verwaltungsbehörde schien, was die Einreise in die Alte Stadt betraf, nichts dem Zufall zu überlassen.
»WIR HABEN NUR DIE EINLADUNG UNSERER GROSSMUTTER!«
Oiklihd holte ein Flugblatt heraus, auf dem für das Treffen der Respektlosen geworben wurde.
»NACH PARAGRAF 123 DER REISEGENEHMIGUNGSAUSNAHMEVERORDNUNG UND LAUT BESCHLUSS DER OBERSTEN VERWALTUNGSBEHÖRDE IM FALL HANSEN GEGEN KLATSCHMÜNDE IST DIES EINE OFFIZIELLE, ALLEN OFFIZIELLEN ANFORDERUNGEN GENÜGENDE REISEGENEHMIGUNG.«
Die Wache sah Oiklihd ausdruckslos an, drehte sich dann auf dem Absatz herum und ging zu seinen Männern zurück. Kard beobachtete, wie sie die Köpfe zusammensteckten und dann mehrmals mit den Schultern zuckten, als ob keiner wüsste, wie hier zu entscheiden wäre. Schließlich kam die Wache zurück und stellte sich in Position.
»PASSIEREN!«
Schweigend hoppelten die Reisenden erst an dieser Wache, dann an der versammelten Mannschaft der Uniformierten vorbei. Kard hörte die Wache leise vor sich hinmurmeln. »Paragraf wie? Onkel von wem?« Schweißtropfen hatten sich auf seiner Stirn gebildet und man konnte förmlich sehen, wie er sich den Kopf zermarterte. Kard war wirklich froh, dass der Uniformierte nun angestrengt Paragrafen und Verwandtschaftsgrade durchging und sie nicht weiter beachtete. Auch die anderen Wachen murmelten leise vor sich hin, während die Schar an ihnen vorüberzog. Wer hatte sie nun beschützt? Goiba oder Branu? Kard suchte nach einem Zeichen. Etwas, was ihm die Sicherheit gab, dass die Götter ihnen ihren Segen gegeben hatten. Aber das einzige, was er spürte, war das kalte Pulsieren des Drachenzahns auf seinem Brustbein. Also doch Branu?
Der Weg zur Alten Stadt war bei weitem nicht so gut in Schuss, wie die Straßen, die nach Conchar führten. Tiefe Schlaglöcher, vom Regen gerissene Rinnen und heruntergefallene Äste machten den Reisenden das Fortkommen schwer. Die Riesenkaninchen mussten im Zickzack springen, um die Hindernisse zu umrunden. So kamen sie langsam aber dafür stetig voran. Waren sie anfangs noch durch die Wildwiesen der Hochebene gehoppelt, veränderte sich bald das Landschaftsbild. Der Boden wurden steiniger, unfruchtbarer, das Gras verschwand langsam und machte weiten, karg bewachsenen Geröllfeldern Platz, in denen nur dorniges Gebüsch noch Nahrung fand. Die Kaninchen bewegten sich langsamer, da auch der Weg nun hart und steinig war. Das Drachengebirge schob sich immer näher und Kard konnte die dunklen Wälder sehen, in die sie bald eindringen würden, um den Onchu zu suchen. War das Gebirge bisher nur ein schmaler Strich am Horizont gewesen, oft nicht sichtbar, da die Luft zu trübe, die Wolken zu dicht gewesen waren, zeigte es sich nun immer mehr in seiner ganzen Mächtigkeit. Seit Kard denken konnte, war dieser Ort immer nur ein Sagengebilde gewesen, angereichert mit den Geschichten der Drachenkönige und der Fabel vom Großen Krieg. Und das, obwohl er die ersten Jahre seines Lebens doch im Waisenhaus unweit der Alten Stadt verbracht hatte! Aber in seiner Erinnerung spielte der Wald und das Gebirge keine große Rolle. Sein Leben hatte innerhalb der Mauern des Waisenhauses stattgefunden und nur zum Holz holen war man in den Wald gegangen. Die Govas hatten ihnen eingeschärft, die Wege nicht zu verlassen und sie vor den Schrecken des Waldes gewarnt. Die braven Waisenkinder hatten auf die Warnungen der Priesterinnen immer gehört.
Er konnte sich auch nicht erinnern, zurückgeblickt zu haben, damals, als die Alte und Wallas ihn mitgenommen hatten. Ein kleiner Junge, ängstlich aber aufgeregt, der sich gleich an den großen Torak gedrängt hatte und der neugierig nach vorne, in die Zukunft geschaut hatte. Erst jetzt, als Kard sich seiner alten Heimat näherte, nahm er das Dunkle und die Schwere des Waldes und die Weite und die scheinbare Unendlichkeit des Gebirges wirklich wahr. Und er empfand auch nicht gerade Wiedersehensfreude. Ganz im Gegenteil. Alles wirkte befremdlich und auch irgendwie feindlich. Selbst der Drachenzahn auf seiner Brust beruhigte ihn diesmal nicht wirklich, sondern sein Pochen erschien ihm fast schmerzhaft. Auch der Humor der Respektlosen hatte nachgelassen, vorsichtig, jeden Sprung bedenkend, bewegten sich die Riesenkaninchen mit ihren Reitern durch die Steinwüste.
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