Dann die rituelle Gymnastik, die auch die Gnome im Inneren des Hügels aufrüttelte und sie veranlasste, sich fluchend noch tiefer ins Erdreich zurückzuziehen. Schließlich das Gebet. Goiba, Goiiiiibaaaaa. Du Allerhöchste Gööööööttttin. Dann schälten sich Hände und Pfoten aus dem haarigen Gestrüpp, Kard öffnete die Pillenschachtel, nahm eine heraus und legte sie Madad auf die Zunge und schüttete ihm danach Wasser in den offenen Schlund. Auch für sich selbst nahm Kard dann eine Pille heraus, warf sie sich zwischen die Zähne und nahm einen kräftigen Schluck aus der Wasserflasche. Hoffentlich gibt es diesmal keine überraschenden Nebenwirkungen.
Eine Weile verharrten die Freunde in Ehrfurcht davor, dass sie den Anweisungen der Packungsbeilage so brav Folge geleistet hatten. Doch dann spürten beide, wie sich die Wirkung der Pille in ihrem Inneren entfaltete. Ein übler Brechreiz gepaart mit dem Geschmack von mehreren Litern Verdauungsresten stieg beiden in die Kehle. Die zwei Riesenperücken begannen zu stöhnen und zu fluchen und rollten erst auf der Kuppe des Hügels herum, dann aber, da sie offensichtlich keine Kontrolle mehr über ihre Körperbewegungen hatten, den Hügel hinab und hinein in das hohe Gras. Wie auf ein Kommando standen sie dann auf, stolperten, hüpften, rannten zum Ufer der Klatsch und tranken auf dem Bauch liegend den halben Fluss leer.
»Mann, das ist ja so ekelhaft.« Kard war der erste, der wieder seine Stimme gefunden hatte. Von Madad kamen nur einige gurgelnde Geräusche.
»Wenn ich überlege, wie lecker die Haarwuchspillen waren, scheint es irgendwie logisch, dass das Haarschrumpfmittel dann das Gegenteil bewirkt.«
»Oh, Madad ist jetzt ein Philosoph.« In Kards Stimme kämpften Ironie und Ekel miteinander.
»Yo, genau. Alles hat seinen Preis. Man bekommt nichts geschenkt. Und so weiter.« Madad schien es schon wieder besser zu gehen, wenn er zu solch tiefsinnigen Erkenntnissen kommen konnte.
»Auf Nacht folgt Tag, auf Leckereien Ekel. Oder so.« Kard wollte es sich nicht nehmen lassen, auch seine philosophischen Qualitäten zum Besten zu geben.
»Du sagst es, lieber Freund. In dem Sinne würde ich sagen. Jetzt sind wir wach. Lass uns schlafen gehen.«
»Gut gesprochen, du kluger Cu. Lass uns zum Hügel hochgehen und in die Sterne schauen.«
Am nächsten Morgen wachten die beiden nicht wie sonst die vergangenen Tage in einem Nest neuer Haare auf, sondern fanden sich in der gleichen Haarpracht wieder, in der sie eingeschlafen waren. Das stetige Haarwachstum war gestoppt. In ihren Mündern hatte sich aber auch der schlechte Geschmack nach alten Füßen gemischt mit Essenzen getrockneter Kuhfladen gehalten. Selbst nachdem sie sich den Rachen erst mit reinem Flusswasser, dann mit einer Mischung aus nach Minze duftender Wiesengräser mehrfach gespült hatten, blieb ein Rest des unangenehmen Geschmackes unter der Zunge hängen. Nachdem sie das Haar dann auf Knöchelhöhe gestutzt hatten, noch wagten sie sich nicht aus der Anonymität heraus, zottelten sie daher missmutig zum Pfad, der entlang der Klatschfälle zum Hochplateau führe.
Der Weg schlängelte sich in vielen Serpentinen den steilen Abhang hinauf bis zum Hochplateau von Asch-by-lan. Obwohl sie bereits am frühen Morgen aufgebrochen waren, benötigten sie bis zum Nachmittag, bis sie ihr Ziel erreichten. Auf dem Weg waren ihnen einige Karawanen entgegengekommen, die ihre Last zum unteren Umschlagplatz transportierten, und die sie alle für seltsame Wahter hielten, denn was sollten diese behaarten Gestalten sonst sein? Kard gab ihnen auch mit verstellter Stimme bereitwillig Auskunft und bestätigte den Reisenden ihre Herkunft.
»Jetzt gehen wir zurück nach Hause, in den Dunklen Wald.«
Auch auf dem Hochplateau gab es einen Umschlagplatz für die Waren, die aus der Alten Stadt kamen oder dorthin sollten. Der Wasserfall unterbrach hier den Fluss, der bis zu dieser Stelle schiffbar war. Er war es wesentlich voller, als bei Kards letztem Besuch vor wenigen Wochen. Damals war er Rosie hinterhergeeilt, die den Cu als Trophäe nach Amazonien geschleppt hatte. Madad konnte sich kaum noch an seinen letzten Aufenthalt hier erinnern. Die listige Rosie hatte ihm damals ein Betäubungsmittel ins Futter gegeben. In seiner Erinnerung war alles verschwommen.
Auf dem damals leeren Gelände, auf dem die Waren für den Transport ins Tal gesammelt wurden, konnte Kard jetzt verschiedene Lager von Reisenden entdecken, die offensichtlich nicht hinunter ins Tal wollten, sondern in die Alte Stadt. Auf jeden Fall feilschten einige von ihnen mit den wenigen Lastkahn-Kapitänen, die in der Anlegebucht festgemacht hatten. Und zum ersten Mal seit ihrer Flucht aus Conchar beziehungsweise ihrer Stippvisite in Bo-Baoghalta entdeckten sie auch wieder die schwarzen Uniformen der Wachen. Instinktiv duckte sich Kard und schaute gehetzt in alle Richtungen. Aber weder Laoch oder andere Schergen noch die Faolskis waren zu sehen. Die Wachen standen bei den Booten und kontrollierten die Reisenden. Manche wurden abgewiesen und liefen dann fluchend zurück zum Lagerplatz. Offensichtlich hatte sich hier die Oberste Verwaltungsbehörde eingemischt, denn ohne offizielle Reisegenehmigung ließen die Wachen niemanden an Bord. Kard entspannte sich ein wenig, als er feststellte, dass die Wachen tatsächlich nur an der Anlegestelle standen und dort überwachten, wer auf dem Wasserweg in die Alte Stadt wollte.
Auch eine fluchende kleine Gestalt, die ein Riesenkaninchen hinter sich her zerrte, war abgewiesen worden.
»Hey du! Warum haben sie dich nicht auf das Schiff gelassen?«
»Hey du. Wieso hast du so lange Haare?« Der Kleinwüchsige war schlecht gelaunt, das war klar, aber er war offensichtlich auch neugierig.
»Wir sind Wahter.«
»Aha, eher eine Fatamorgana. Ha. Ha.« Der Kleine schlug sich auf die speckige Lederhose, die er trug und lachte herzhaft über seinen eigenen Witz. »Ich habe schon Wahter gesehen, die waren zwar haarig, aber nicht so haarig wie ihr. Seid ihr verflucht, habt ihr Filzläuse, sollen die Vögel Nester in euren Haaren bauen?« Wieder lachte der kleine Mann, offensichtlich ein geborener Scherzbold.
Kard erzählte kurz die Geschichte von der Wette, dem Mädchen und der langen Reise.
»Aha, und jetzt geht es zurück in den heimatlichen Wald. Schön. Wir würden ja auch gerne in die Richtung. Zur Alten Stadt. Da findet der Kongress der Respektlosen statt. Natürlich ganz geheim. Aber jeder weiß es. Alle Respektlosen Haragors versammeln sich. Jawohl!«
»Respektlose?« Kard hatte zwar mehr zu sich selbst gesprochen, aber natürlich hatte der kleine Kerl seine Worte gehört.
»Sag nicht, du hast noch nie von den Respektlosen gehört? Den Scherzkeksen? Den Unsinn-Machern? Den Troubadouren der Sinnlosigkeit? Den königlichen Hofnarren?«
Kard zuckte unter seiner Haarpracht die Schultern, was der Kleine ganz richtig deutete. Der gute Mann summte dann kurz, um sich in die richtige Tonlage zu bringen und fing dann an zu singen.
»Wir kennen keine Herren und auch keine Frau
denn dafür sind wir nä-ähmlich viel zu schlau.
Wir kennen keine Gesetze und auch keinen Richter,
denn dafür sind wir nä-ähmlich viel zu helle Lichter.
Wir kennen keine Götter und zahlen keine Steuer,
und dafür nennen uns die anderen schreckliche Ungeheuer.«
Stolz warf sich der kleine Mann, nachdem der letzte Ton verklungen war, in die Brust. »Darf ich mich vorstellen, Oiklihd, ehemaliger Hofnarr im Dienste Flanakans, jetzt Riesenkaninchen-Rebell.«
»Äh, ja, wir sind…«, Kard überlegt, er hatte keine Ahnung, welche Namen die Wahter trugen. »Nenn uns einfach Tim und Tom, unsere Waldnamen kann kein Mensch aussprechen.«
»Tim und Tom?«
»Genau! Ich bin Tim und der Bucklige ist Tom. Und entschuldige die Frage, aber was macht man denn so als Respektloser.«
Der Kleine schaute Kard erstaunt an.
»Ihr Hinterwäldler bekommt ja wohl auch gar nichts mit, oder? Die Respektlosen, die Gesetzlosen, die Gottlosen? Noch nie von gehört?«
Anscheinend wollte Oiklihd schon wieder anfangen zu singen, doch Madad kam ihm zuvor.
»Yo,