Frank Pfeifer

Der Junge mit dem Feueramulett: Der heilige Vulkan


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du hast recht, wirklich lecker. Nach Anis, würde ich sagen.«

      »Anis? Noch nie gehört.«

      »Macht Mama immer zu diesem Fest, wo die Menschen Kerzen auf einen Baum stecken.«

      »Echt? Kenne ich nicht. Obwohl, damals im Waisenhaus gab es, glaube ich, auch so was. Aber daran kann ich mich kaum noch erinnern. Bei Wallas gab es das auf jeden Fall nicht. Ist ja auch voll gefährlich. Kerzen auf einem Baum. So ein Quatsch. Echt lecker, die Pillen, oder?«

      »Ja, lecker, gib mal noch eine her.«

      Und ehe sie sich versehen hatten, hatten die beiden die komplette Packung geleert. Bevor Kardania dann die Augen zufielen, streifte ihr Blick noch einmal die Pillenschachtel. 3-Monate-Vorratspackung stand da. Ach egal, wenn die jetzt schon alle sind, ich komme ja auch so als Mädchen durch.

      Hatte Kard wunderbar geschlafen! Er wollte gar nicht die Augen aufmachen. Wann hatte er zuletzt so wunderbar weich in einem Bett gelegen? War er überhaupt schon einmal in seinem Leben mit diesem samtweichen Gefühl aufgewacht? Kard rekelte sich wohlig in den Holzspänen, die an diesem Morgen überhaupt nicht mehr kratzten. Er öffnete die Augen. Aber seltsamerweise blieb alles dunkel. Hatten sie die Fensterläden gestern Abend noch geschlossen? Und konnten sie so dicht sein, dass kein Schimmer Tageslicht in die Kammer fiel? Und was kitzelte ihn da an der Wange? Kard hob die Hand, um sich zu kratzen und landete in einer weichen, strähnigen Masse. Und während sich seine Finger automatisch durch diese Masse wühlten, um an die juckende Stelle heranzukommen, zupfte es an seiner Kopfhaut. Aha, das sind also meine Haare, dachte er in seinem halbwachen Kopf. Er strich sich die Strähnen aus dem Gesicht und schon lichtete sich die Dunkelheit.

      »Hey, Madad, bist du wach?«

      Kard wollte seinem Freund erfreut die langen Haare zeigen, bekam aber vor Schreck einen halben Herzanfall, als sich neben seiner Lagerstätte ein abscheuliches Wesen erhob und dumpfe Laute von sich gab. Wie eine Trauerweide, die von magischer Hand emporgehoben wurde. Nur dass dieses Wesen statt mit Ästen und Blättern über und über mit dunklen Strähnen überzogen war. Das Untier zitterte heftig unter seiner pelzigen Last. Was, bei Branu, ist das für ein Monster? Kard sprang auf, wollte zur Tür hasten, aber unbekannte Kräfte zogen an seinem Körper und brachten ihn zu Fall. Er konnte sich wieder hochrappeln, erreichte die Tür, öffnete sie und konnte einen Schritt in die Werkstatt tun, als ihn die Schreie von Thomasius und Magdalena, die gerade die Treppe herunterkamen, stutzen ließen.

      »Was ist das für ein Untier?«, schrie er die beiden an. Doch Thomasius und Magdalena sahen ihn an und statt ihm zu helfen, schrieen sie noch lauter. Dann hasteten sie die Treppe herunter, öffneten mit einem Schwung, der die Grundfesten des Gebäudes erzittern ließ, die Haustür und flohen vor dem Grauen, das sich ihn dargeboten hatte. Zum Glück hörte Kard nun hinter sich die vertraute Stimme von Madad.

      »Was…wer… bist du?«

      Kard drehte sich um, froh, dass sein Freund von dem Untier nicht gefressen worden war, und wollte Madad eigentlich warnen. Aber mit Entsetzen stellte er fest, dass nicht Madad, sondern das haarige Untier hinter ihm stand und auf seltsame Art mit dem Cu verschmolzen war, denn zwischen den Haaren erblickte er die unverkennbaren Augen seines Freundes. Und auch die Stimme war eindeutig die von Madad. Welcher böser Zauber ist hier am Werk?

      »Madad? Was ist mit dir passiert? Du, du… bist du verzaubert? Das bist doch du? Oder bist du ein Dämon, der uns von Branu und seinen Brüdern geschickt worden ist?«

      »Also Mama sagt immer, dass Goiba die schlimmste Hexe ist. Warum sollte uns Branu verzaubert haben?«

      »Wieso wir? Also bist du es? Du bist Madad? Mein lieber, echter Madad?«

      Erleichtert wollte Kard auf seinen Freund zugehen, um ihn zu umarmen, aber er verfing sich in irgendetwas und landete der Länge nach auf dem Bauch.

      Madad lachte. Was bitte schön war daran komisch?

      »Yo, Kard, wie du aussiehst!« Madad, oder dieses haarige Bündel, das sich als Madad ausgab, verformte sich zu einer Fellkugel und rollte lachend über den Boden. Kard fand das nicht witzig. Zum Glück war er weich gefallen. Aber als er aufstehen wollte, fiel er gleich schon wieder hin. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, als ob ihn jemand an den Haaren gezogen hätte. Wütend wollte er sich umdrehen, um dem hinterlistigen Angreifer Paroli zu bieten, aber da war niemand. Stattdessen fiel er wieder hin. Es war wie verhext. Ein Schreck durchlief ihn. Hat Tsarr uns gefunden und mit einem Fesselzauber belegt?

      »Madad, was ist hier los. Sind wir verhext worden.«

      Das rollende Fellbündel kam zum Stillstand, dann erscholl aus diesem Haarberg das unverkennbare Lachen des Cus.

      »Nein, Kard. Ich befürchte, wir haben uns selbst verhext.«

      »Wie, was? Was meinst du?«

      »Einmal tief durchatmen und nicht bewegen?«

      »Nicht bewegen?«

      »Genau! Und jetzt ganz langsam den Kopf drehen?«

      Kard schob sich die Haare aus dem Gesicht und folgte Madads Ratschlag. Ganz langsam bewegen. Es ziepte schon wieder auf seiner Kopfhaut. Vielleicht hatten sich winzige Vampyre in seinem Haar ein Nest gebaut und zogen nun daran?

      »Und was siehst du?«

      Kard sah an sich herunter. Und um sich herum. Überall Haare. Lange, schwarze Haare. Welch schlimmer Zauber hat mich in dieses Gefängnis gesperrt?

      »Haare, Madad, überall Haare«, flüsterte Kard sichtlich schockiert.

      »Genau, Kard. Haare. Und zwar deine eigenen.«

      »Äh, wieso…?«

      Langsam dämmerte es Kard. Das Haarwuchsmittel. Das leckere Haarwuchsmittel. Das leckere MAGISCHE Haarwuchsmittel. Als ihm diese Erkenntnis kam, musste er sich erstmal setzen. Natürlich. Das waren seine eigenen Haare. Er war sich dauernd selbst auf die Haare getreten und daher hingefallen. Kein Wunder, dass der Tischler und seine Frau die Flucht vor ihnen ergriffen hatte.

      »Ist vielleicht ganz gut so?«

       Wie schafft es Madad nur, immer so fröhlich zu klingen?

      »Wieso gut, Madad? Wie sind Haarmonster. Schau dich mal an. Überall Haare. Wir sehen ja aus wie wandelnde Riesenperücken.«

      »Genau. Und das ist doch nicht schlecht. Ich glaube nicht, dass Laoch oder jemand anderes nach zwei wandelnden Riesenperücken sucht. Oder?«

      Da hatte Madad natürlich recht. Das war ein Vorteil. Aber auch der einzige.

      »Aber ich kann ja noch nicht einmal zwei Schritte gehen, ohne über die eigenen Füße… äh Haare zu fallen. So kommen wir nie zur Alten Stadt.«

      »Das stimmt.« Jetzt wirkte auch Madad etwas ratlos.

      »Aber ich habe eine Idee. Wir gehen zu dieser Credna-Priesterin zurück und die soll uns ein Haarschrumpfmittel verkaufen. Muss es doch geben, oder? Wenn es Haarwuchsmittel gibt, muss es auch Haarschrumpfmittel geben!« Zwischen seinen Haaren blickte Kard seinen Freund verzweifelt an. Er würde doch jetzt nicht bis ans Ende seines Lebens als Riesenperücke herumlaufen müssen? Der Fellhaufen schüttelte sich, anscheinend hatte Madad genickt.

      »Das machen wir, Kard. Gute Idee. Aber ich finde, wir sollten das als Zeichen des Schicksals sehen. So wie wir jetzt sind, erkennt uns keiner. Ich könnte mir vorstellen, dass man einen ganz anständigen Wahter aus dir machen könnte. Überall Haare und so groß bist du auch nicht. Und ich bin ein zahmer Faol! Die Wahter könnten zahme Faols haben. Für die Jagd. Oder als Abschreckung. Das weiß hier doch auch keiner.«

      Kard überlegte. Madads Plan könnte klappen. Die Wahter lebten im Dunklen Wald am Fuße des Drachengebirges. Es waren kleine, scheue Waldmenschen, die man nur selten in den Städten sah. Das wäre eine gute Tarnung. Trotzdem brauchten sie auch dieses Haarschrumpfmittel. Wer weiß, wie viel ihre Haare sonst noch wuchsen? Am Ende würden sie die ganze Stadt noch mit ihren Haaren überfluten.

      Nachdem